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Jacobi, Johann Friedrich: Betrachtungen über die Weisen Absichten Gottes, bey denen Dingen, die wir in der menschlichen Gesellschaft und der Offenbahrung antreffen. Bd. 2. Göttingen, 1745.

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gezeuget worden. Dieser Trieb würckte
die erste Zeit so heftig, daß ich alle übrige
natürlichen Triebe nicht mehr fühlete. Auch
das Gefühl des sonst überaus starcken
Triebes zum Leben verlohr sich, und ich
lebte, weil ich es für eine Pflicht achtete zu
leben. Jch fühlte einen Schmertz, dem
ich nicht wie andern Schmertzen auszu-
weichen suchte, nein, die Unterhaltung des-
selben war mein eintziges Vergnügen. Al-
les, was ich sonst liebte, war mir entweder
gleichgültig oder gar zuwider. Das Le-
ben selbst schien mir eine beschwerliche Last,
und ich glaubte, nie würde ich sanfter ster-
ben, als bey dem Sarge meines erblaßten
Kindes. Jch erinnerte mich indessen doch,
daß es sich weder für einen weisen Mann,
noch vielweniger für einen Christen schicke,
sich dergestalt von einer rege gemachten
Leidenschafft hinreissen zu lassen. Jch ge-
dachte an Exempel solcher, welche auch den
Tod geliebter Kinder großmüthig ertragen,
und suchte alle die Gründe hervor, welche
ein solches Schicksal können leidlicher ma-
chen. Allein ich erhielt dadurch weiter
nichts, als daß ich nicht wider die weise
Vorsehung murrte, welche dieses Verhäng-

niß



gezeuget worden. Dieſer Trieb wuͤrckte
die erſte Zeit ſo heftig, daß ich alle uͤbrige
natuͤrlichen Triebe nicht mehr fuͤhlete. Auch
das Gefuͤhl des ſonſt uͤberaus ſtarcken
Triebes zum Leben verlohr ſich, und ich
lebte, weil ich es fuͤr eine Pflicht achtete zu
leben. Jch fuͤhlte einen Schmertz, dem
ich nicht wie andern Schmertzen auszu-
weichen ſuchte, nein, die Unterhaltung deſ-
ſelben war mein eintziges Vergnuͤgen. Al-
les, was ich ſonſt liebte, war mir entweder
gleichguͤltig oder gar zuwider. Das Le-
ben ſelbſt ſchien mir eine beſchwerliche Laſt,
und ich glaubte, nie wuͤrde ich ſanfter ſter-
ben, als bey dem Sarge meines erblaßten
Kindes. Jch erinnerte mich indeſſen doch,
daß es ſich weder fuͤr einen weiſen Mann,
noch vielweniger fuͤr einen Chriſten ſchicke,
ſich dergeſtalt von einer rege gemachten
Leidenſchafft hinreiſſen zu laſſen. Jch ge-
dachte an Exempel ſolcher, welche auch den
Tod geliebter Kinder großmuͤthig ertragen,
und ſuchte alle die Gruͤnde hervor, welche
ein ſolches Schickſal koͤnnen leidlicher ma-
chen. Allein ich erhielt dadurch weiter
nichts, als daß ich nicht wider die weiſe
Vorſehung murrte, welche dieſes Verhaͤng-

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[258/0276] gezeuget worden. Dieſer Trieb wuͤrckte die erſte Zeit ſo heftig, daß ich alle uͤbrige natuͤrlichen Triebe nicht mehr fuͤhlete. Auch das Gefuͤhl des ſonſt uͤberaus ſtarcken Triebes zum Leben verlohr ſich, und ich lebte, weil ich es fuͤr eine Pflicht achtete zu leben. Jch fuͤhlte einen Schmertz, dem ich nicht wie andern Schmertzen auszu- weichen ſuchte, nein, die Unterhaltung deſ- ſelben war mein eintziges Vergnuͤgen. Al- les, was ich ſonſt liebte, war mir entweder gleichguͤltig oder gar zuwider. Das Le- ben ſelbſt ſchien mir eine beſchwerliche Laſt, und ich glaubte, nie wuͤrde ich ſanfter ſter- ben, als bey dem Sarge meines erblaßten Kindes. Jch erinnerte mich indeſſen doch, daß es ſich weder fuͤr einen weiſen Mann, noch vielweniger fuͤr einen Chriſten ſchicke, ſich dergeſtalt von einer rege gemachten Leidenſchafft hinreiſſen zu laſſen. Jch ge- dachte an Exempel ſolcher, welche auch den Tod geliebter Kinder großmuͤthig ertragen, und ſuchte alle die Gruͤnde hervor, welche ein ſolches Schickſal koͤnnen leidlicher ma- chen. Allein ich erhielt dadurch weiter nichts, als daß ich nicht wider die weiſe Vorſehung murrte, welche dieſes Verhaͤng- niß

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Zitationshilfe: Jacobi, Johann Friedrich: Betrachtungen über die Weisen Absichten Gottes, bey denen Dingen, die wir in der menschlichen Gesellschaft und der Offenbahrung antreffen. Bd. 2. Göttingen, 1745, S. 258. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jacobi_betrachtungen02_1745/276>, abgerufen am 21.11.2024.