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Jacobi, Johann Friedrich: Betrachtungen über die Weisen Absichten Gottes, bey denen Dingen, die wir in der menschlichen Gesellschaft und der Offenbahrung antreffen. Bd. 1. Göttingen, 1741.

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zweifeln, ob selbige auf eine GOtt an-
ständige Art könne erklärt werden. Wir
wollen zeigen, was wir hierdurch verste-
hen, und unten soll offenbahr werden, daß
diese Erklärung nichts in sich halte, so
den göttlichen Vollkommenheiten wie-
derspricht. GOtt hat seiner eigenen Ge-
rechtigkeit gnug gethan, heisset: GOtt
hat selbst den Gehorsam geleistet, den sei-
ne Gesetze von uns forderten, und die
Strafen, so unser Ungehorsam verdienet,
auf die Menschheit geleget, wormit er sich
persönlich vereiniget, damit er uns Sün-
dern auf eine weise Art wiederum Gnade
erzeigen könne. Wir finden hier und da
in den weltlichen Geschichten auch Exem-
pel von gerechten Gesetzgebern dieser Er-
den, daß sie auf eine ähnliche Art Gnade
erzeiget. Zaleucus gab seinen Locren-
sern
das Gesetz: Wer im Ehebruch ge-
funden würde, solte mit dem Verlust bey-
der Augen gestraft werden. Sein Sohn
war der erste, welcher wider dieses Ge-
setz sündigte. Es that diesem gerechten
Gesetzgeber wehe, daß sein eigen Kind
des völligen Gesichts solte beraubet wer-
den, und dennoch wolte er auch das An-
sehen des Gesetzes dadurch nicht schwä-
chen, daß er bey seinem Sohne davon
abgienge. Er ergriff derowegen dieses
Mittel, er ließ seinem Sohn ein Auge

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zweifeln, ob ſelbige auf eine GOtt an-
ſtaͤndige Art koͤnne erklaͤrt werden. Wir
wollen zeigen, was wir hierdurch verſte-
hen, und unten ſoll offenbahr werden, daß
dieſe Erklaͤrung nichts in ſich halte, ſo
den goͤttlichen Vollkommenheiten wie-
derſpricht. GOtt hat ſeiner eigenen Ge-
rechtigkeit gnug gethan, heiſſet: GOtt
hat ſelbſt den Gehorſam geleiſtet, den ſei-
ne Geſetze von uns forderten, und die
Strafen, ſo unſer Ungehorſam verdienet,
auf die Menſchheit geleget, wormit er ſich
perſoͤnlich vereiniget, damit er uns Suͤn-
dern auf eine weiſe Art wiederum Gnade
erzeigen koͤnne. Wir finden hier und da
in den weltlichen Geſchichten auch Exem-
pel von gerechten Geſetzgebern dieſer Er-
den, daß ſie auf eine aͤhnliche Art Gnade
erzeiget. Zaleucus gab ſeinen Locren-
ſern
das Geſetz: Wer im Ehebruch ge-
funden wuͤrde, ſolte mit dem Verluſt bey-
der Augen geſtraft werden. Sein Sohn
war der erſte, welcher wider dieſes Ge-
ſetz ſuͤndigte. Es that dieſem gerechten
Geſetzgeber wehe, daß ſein eigen Kind
des voͤlligen Geſichts ſolte beraubet wer-
den, und dennoch wolte er auch das An-
ſehen des Geſetzes dadurch nicht ſchwaͤ-
chen, daß er bey ſeinem Sohne davon
abgienge. Er ergriff derowegen dieſes
Mittel, er ließ ſeinem Sohn ein Auge

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[375[371]/0407] zweifeln, ob ſelbige auf eine GOtt an- ſtaͤndige Art koͤnne erklaͤrt werden. Wir wollen zeigen, was wir hierdurch verſte- hen, und unten ſoll offenbahr werden, daß dieſe Erklaͤrung nichts in ſich halte, ſo den goͤttlichen Vollkommenheiten wie- derſpricht. GOtt hat ſeiner eigenen Ge- rechtigkeit gnug gethan, heiſſet: GOtt hat ſelbſt den Gehorſam geleiſtet, den ſei- ne Geſetze von uns forderten, und die Strafen, ſo unſer Ungehorſam verdienet, auf die Menſchheit geleget, wormit er ſich perſoͤnlich vereiniget, damit er uns Suͤn- dern auf eine weiſe Art wiederum Gnade erzeigen koͤnne. Wir finden hier und da in den weltlichen Geſchichten auch Exem- pel von gerechten Geſetzgebern dieſer Er- den, daß ſie auf eine aͤhnliche Art Gnade erzeiget. Zaleucus gab ſeinen Locren- ſern das Geſetz: Wer im Ehebruch ge- funden wuͤrde, ſolte mit dem Verluſt bey- der Augen geſtraft werden. Sein Sohn war der erſte, welcher wider dieſes Ge- ſetz ſuͤndigte. Es that dieſem gerechten Geſetzgeber wehe, daß ſein eigen Kind des voͤlligen Geſichts ſolte beraubet wer- den, und dennoch wolte er auch das An- ſehen des Geſetzes dadurch nicht ſchwaͤ- chen, daß er bey ſeinem Sohne davon abgienge. Er ergriff derowegen dieſes Mittel, er ließ ſeinem Sohn ein Auge aus- A a 4

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Zitationshilfe: Jacobi, Johann Friedrich: Betrachtungen über die Weisen Absichten Gottes, bey denen Dingen, die wir in der menschlichen Gesellschaft und der Offenbahrung antreffen. Bd. 1. Göttingen, 1741, S. 375[371]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jacobi_betrachtungen01_1741/407>, abgerufen am 04.06.2024.