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Jacobi, Friedrich Heinrich: Eduard Allwills Briefsammlung. Mit einer Zugabe von eigenen Briefen. Königsberg, 1792.

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Ich gerieth auf einige Stunden lang an das
Bett einer Sterbenden. Sie war eine gute
Bekannte meiner Tante Moßel; mich gieng
sie weiter nichts an, stand mit mir in keinem
eigentlichen persönlichen Verhältnisse; ein all-
tägliches Geschöpf, sehr dumpfen Sinnes, aber
ohne alles Arge. Ihre Leiden auf dem Ster-
bebette waren groß. Man hatte zu ihrer Ge-
nesung eine der schrecklichsten Operationen ver-
sucht. Das alles stand sie gelassen aus: es
war die Fassung ihres Temperaments, schlichte
Fortsetzung ihres Lebens bis ans Ende. Vier
Stiefkinder (eigene hatte sie nie) standen um
ihr Bett; näher ihr Mann, der es blos wegen
Gewinn und Gewerbe geworden war. Alle
weinten und schluchzten recht ernstlich; gewiß,
Clerdon, ihre Trauer gieng von Herzen. Aber
im Grunde, was war es? Etwa ein wenig
Reue, ein wenig Erkenntlichkeit, arm-
selige Scheu vor der Befremdung,
wenn sie jetzt nicht mehr da seyn würde,
Bangen vor dem Bilde des Todes. -- O wie
gleicht doch alles einander so widerlich! Ich

Ich gerieth auf einige Stunden lang an das
Bett einer Sterbenden. Sie war eine gute
Bekannte meiner Tante Moßel; mich gieng
ſie weiter nichts an, ſtand mit mir in keinem
eigentlichen perſoͤnlichen Verhaͤltniſſe; ein all-
taͤgliches Geſchoͤpf, ſehr dumpfen Sinnes, aber
ohne alles Arge. Ihre Leiden auf dem Ster-
bebette waren groß. Man hatte zu ihrer Ge-
neſung eine der ſchrecklichſten Operationen ver-
ſucht. Das alles ſtand ſie gelaſſen aus: es
war die Faſſung ihres Temperaments, ſchlichte
Fortſetzung ihres Lebens bis ans Ende. Vier
Stiefkinder (eigene hatte ſie nie) ſtanden um
ihr Bett; naͤher ihr Mann, der es blos wegen
Gewinn und Gewerbe geworden war. Alle
weinten und ſchluchzten recht ernſtlich; gewiß,
Clerdon, ihre Trauer gieng von Herzen. Aber
im Grunde, was war es? Etwa ein wenig
Reue, ein wenig Erkenntlichkeit, arm-
ſelige Scheu vor der Befremdung,
wenn ſie jetzt nicht mehr da ſeyn wuͤrde,
Bangen vor dem Bilde des Todes. — O wie
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[2/0040] Ich gerieth auf einige Stunden lang an das Bett einer Sterbenden. Sie war eine gute Bekannte meiner Tante Moßel; mich gieng ſie weiter nichts an, ſtand mit mir in keinem eigentlichen perſoͤnlichen Verhaͤltniſſe; ein all- taͤgliches Geſchoͤpf, ſehr dumpfen Sinnes, aber ohne alles Arge. Ihre Leiden auf dem Ster- bebette waren groß. Man hatte zu ihrer Ge- neſung eine der ſchrecklichſten Operationen ver- ſucht. Das alles ſtand ſie gelaſſen aus: es war die Faſſung ihres Temperaments, ſchlichte Fortſetzung ihres Lebens bis ans Ende. Vier Stiefkinder (eigene hatte ſie nie) ſtanden um ihr Bett; naͤher ihr Mann, der es blos wegen Gewinn und Gewerbe geworden war. Alle weinten und ſchluchzten recht ernſtlich; gewiß, Clerdon, ihre Trauer gieng von Herzen. Aber im Grunde, was war es? Etwa ein wenig Reue, ein wenig Erkenntlichkeit, arm- ſelige Scheu vor der Befremdung, wenn ſie jetzt nicht mehr da ſeyn wuͤrde, Bangen vor dem Bilde des Todes. — O wie gleicht doch alles einander ſo widerlich! Ich

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Zitationshilfe: Jacobi, Friedrich Heinrich: Eduard Allwills Briefsammlung. Mit einer Zugabe von eigenen Briefen. Königsberg, 1792, S. 2. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jacobi_allwill_1792/40>, abgerufen am 24.11.2024.