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Jacobi, Friedrich Heinrich: Eduard Allwills Briefsammlung. Mit einer Zugabe von eigenen Briefen. Königsberg, 1792.

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Erst gestern war jemand bey uns, der war
recht voll von hieher und daher, und wollte
meinem Clerdon anstreiten, alles käme von der
Eigenliebe: und wie uns etwas Nutzen oder
Schaden, Freude oder Leid brächte; so hielten
oder ließen wirs. Damit hatte diesem Herrn
die Welt angefangen. Clerdon machte einige
Einwürfe; darüber kamen Heinrich und Carl
den Saal herein gedreht und getanzt, und hien-
gen sich dem Vater an Hände und Arme, und
ließen sich wegschleudern, daß sie auf dem Tep-
pich herumtummelten, und kamen dann zur
Mutter sie zu zerren, zu drängen und zu necken.
Sehen Sie, sagte Clerdon zu dem klugen
Manne: wenn Ihre Philosophie auch ganz die
meinige gewesen wäre; so hätte ich sie dieser
Knaben wegen aufgeben müssen. Das Daseyn
uneigennütziger Liebe, eines Wohlthuns ohne
den entferntesten Gedanken an Ersatz, einer
alles überwiegenden Treue, habe ich durch sie
als Thatsache in mir selbst. Und schon das
Weib da, auch ohne Kinder, hätte mich um
jene Philosophie gebracht. Sie würden mir

G 3

Erſt geſtern war jemand bey uns, der war
recht voll von hieher und daher, und wollte
meinem Clerdon anſtreiten, alles kaͤme von der
Eigenliebe: und wie uns etwas Nutzen oder
Schaden, Freude oder Leid braͤchte; ſo hielten
oder ließen wirs. Damit hatte dieſem Herrn
die Welt angefangen. Clerdon machte einige
Einwuͤrfe; daruͤber kamen Heinrich und Carl
den Saal herein gedreht und getanzt, und hien-
gen ſich dem Vater an Haͤnde und Arme, und
ließen ſich wegſchleudern, daß ſie auf dem Tep-
pich herumtummelten, und kamen dann zur
Mutter ſie zu zerren, zu draͤngen und zu necken.
Sehen Sie, ſagte Clerdon zu dem klugen
Manne: wenn Ihre Philoſophie auch ganz die
meinige geweſen waͤre; ſo haͤtte ich ſie dieſer
Knaben wegen aufgeben muͤſſen. Das Daſeyn
uneigennuͤtziger Liebe, eines Wohlthuns ohne
den entfernteſten Gedanken an Erſatz, einer
alles uͤberwiegenden Treue, habe ich durch ſie
als Thatſache in mir ſelbſt. Und ſchon das
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jene Philoſophie gebracht. Sie wuͤrden mir

G 3
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[101/0139] Erſt geſtern war jemand bey uns, der war recht voll von hieher und daher, und wollte meinem Clerdon anſtreiten, alles kaͤme von der Eigenliebe: und wie uns etwas Nutzen oder Schaden, Freude oder Leid braͤchte; ſo hielten oder ließen wirs. Damit hatte dieſem Herrn die Welt angefangen. Clerdon machte einige Einwuͤrfe; daruͤber kamen Heinrich und Carl den Saal herein gedreht und getanzt, und hien- gen ſich dem Vater an Haͤnde und Arme, und ließen ſich wegſchleudern, daß ſie auf dem Tep- pich herumtummelten, und kamen dann zur Mutter ſie zu zerren, zu draͤngen und zu necken. Sehen Sie, ſagte Clerdon zu dem klugen Manne: wenn Ihre Philoſophie auch ganz die meinige geweſen waͤre; ſo haͤtte ich ſie dieſer Knaben wegen aufgeben muͤſſen. Das Daſeyn uneigennuͤtziger Liebe, eines Wohlthuns ohne den entfernteſten Gedanken an Erſatz, einer alles uͤberwiegenden Treue, habe ich durch ſie als Thatſache in mir ſelbſt. Und ſchon das Weib da, auch ohne Kinder, haͤtte mich um jene Philoſophie gebracht. Sie wuͤrden mir G 3

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Zitationshilfe: Jacobi, Friedrich Heinrich: Eduard Allwills Briefsammlung. Mit einer Zugabe von eigenen Briefen. Königsberg, 1792, S. 101. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jacobi_allwill_1792/139>, abgerufen am 28.11.2024.