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Immermann, Karl: Münchhausen. Bd. 4. Düsseldorf, 1839.

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Heute aber bin ich keine Braut mehr, nein gewiß
nicht. Warum ich Keine mehr bin, das kann ich
Ihnen nicht sagen; ich schäme mich zu sehr. Ihrer
lieben Frau werde ich es anvertrauen, wenn ich
erst ruhiger geworden bin, ganz in der Stille.

Ein Mädchen, welches kein Kind mehr ist,
denkt wohl zuweilen an das Heirathen und so habe
ich denn auch hin und wieder daran gedacht, ob-
gleich ich wenig Aussicht dazu hatte. Wenn mir
aber die Vorstellungen davon kamen und von der
Liebe, so war immer das erste Gefühl, daß
die Liebe die ganze Wahrheit und nichts als Wahr-
heit sei und zwar die Wahrheit in der Brust, und
eine solche Offenheit, daß man dem Anderen auch
nicht das Kleinste verschweigt. Hätte ich eine
Sünde begangen, wovor mich freilich Gott geschützt
hat, so würde ich meinem Freunde die Sünde
haben beichten müssen, ehe ich ihm noch meine
Liebe gestand. Denn wenn zwei Menschen, wie
es ja lautet, ein Leib und eine Seele werden
sollen, so darf doch auch nicht ein Stäubchen zwi-
schen ihnen seyn von Verschweigen, Hinterhalt,
Verstellung und Künstelei. Ja, noch offener soll
man gegen den Liebsten seyn, als gegen Gott, denn

Heute aber bin ich keine Braut mehr, nein gewiß
nicht. Warum ich Keine mehr bin, das kann ich
Ihnen nicht ſagen; ich ſchäme mich zu ſehr. Ihrer
lieben Frau werde ich es anvertrauen, wenn ich
erſt ruhiger geworden bin, ganz in der Stille.

Ein Mädchen, welches kein Kind mehr iſt,
denkt wohl zuweilen an das Heirathen und ſo habe
ich denn auch hin und wieder daran gedacht, ob-
gleich ich wenig Ausſicht dazu hatte. Wenn mir
aber die Vorſtellungen davon kamen und von der
Liebe, ſo war immer das erſte Gefühl, daß
die Liebe die ganze Wahrheit und nichts als Wahr-
heit ſei und zwar die Wahrheit in der Bruſt, und
eine ſolche Offenheit, daß man dem Anderen auch
nicht das Kleinſte verſchweigt. Hätte ich eine
Sünde begangen, wovor mich freilich Gott geſchützt
hat, ſo würde ich meinem Freunde die Sünde
haben beichten müſſen, ehe ich ihm noch meine
Liebe geſtand. Denn wenn zwei Menſchen, wie
es ja lautet, ein Leib und eine Seele werden
ſollen, ſo darf doch auch nicht ein Stäubchen zwi-
ſchen ihnen ſeyn von Verſchweigen, Hinterhalt,
Verſtellung und Künſtelei. Ja, noch offener ſoll
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[74/0086] Heute aber bin ich keine Braut mehr, nein gewiß nicht. Warum ich Keine mehr bin, das kann ich Ihnen nicht ſagen; ich ſchäme mich zu ſehr. Ihrer lieben Frau werde ich es anvertrauen, wenn ich erſt ruhiger geworden bin, ganz in der Stille. Ein Mädchen, welches kein Kind mehr iſt, denkt wohl zuweilen an das Heirathen und ſo habe ich denn auch hin und wieder daran gedacht, ob- gleich ich wenig Ausſicht dazu hatte. Wenn mir aber die Vorſtellungen davon kamen und von der Liebe, ſo war immer das erſte Gefühl, daß die Liebe die ganze Wahrheit und nichts als Wahr- heit ſei und zwar die Wahrheit in der Bruſt, und eine ſolche Offenheit, daß man dem Anderen auch nicht das Kleinſte verſchweigt. Hätte ich eine Sünde begangen, wovor mich freilich Gott geſchützt hat, ſo würde ich meinem Freunde die Sünde haben beichten müſſen, ehe ich ihm noch meine Liebe geſtand. Denn wenn zwei Menſchen, wie es ja lautet, ein Leib und eine Seele werden ſollen, ſo darf doch auch nicht ein Stäubchen zwi- ſchen ihnen ſeyn von Verſchweigen, Hinterhalt, Verſtellung und Künſtelei. Ja, noch offener ſoll man gegen den Liebſten ſeyn, als gegen Gott, denn

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Zitationshilfe: Immermann, Karl: Münchhausen. Bd. 4. Düsseldorf, 1839, S. 74. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_muenchhausen04_1839/86>, abgerufen am 27.04.2024.