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Immermann, Karl: Münchhausen. Bd. 4. Düsseldorf, 1839.

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frau sie nicht beschäftigte, pflegte sie im Hofe
unter den Fenstern des Krankenzimmers zu sitzen.
Dort verweilte sie, bis es völlig dunkel geworden
war, ihre stille Mädchenarbeit verrichtend. Sie
war gegen Jedermann sanft und freundlich, ließ
sich aber mit Niemand ein, sondern blieb sehr für
sich. Ein Vorfall hatte sich während jener Tage
ereignet, der die Gäste etwas wider sie einnahm,
den Oberamtmann sogar in Zorn versetzte.

Auf heute hatte der Arzt den Eintritt einer
entscheidenden Krisis vorherverkündiget. Der Dia-
conus, Clelia und der Oberamtmann gingen ihm
daher gespannt entgegen, während Lisbeth ruhig
unter dem Fenster sitzen blieb. Der Arzt hatte
die Worte Clelia's gehört, wandte sich daher an
diese, und sagte: Gnädige Frau, ich darf Ihnen
etwas kürzere Fristen versprechen. Unser Patient
ist hergestellt, und wenn allerseits verehrte Anwe-
sende heute und etwa morgen und etwannest über-
morgen noch einige Rücksicht auf seinen Zustand
nehmen, so wird er wohl überübermorgen ausgehen
dürfen, als ein zwar noch etwas blasser aber doch
durchaus geheilter Mann.


frau ſie nicht beſchäftigte, pflegte ſie im Hofe
unter den Fenſtern des Krankenzimmers zu ſitzen.
Dort verweilte ſie, bis es völlig dunkel geworden
war, ihre ſtille Mädchenarbeit verrichtend. Sie
war gegen Jedermann ſanft und freundlich, ließ
ſich aber mit Niemand ein, ſondern blieb ſehr für
ſich. Ein Vorfall hatte ſich während jener Tage
ereignet, der die Gäſte etwas wider ſie einnahm,
den Oberamtmann ſogar in Zorn verſetzte.

Auf heute hatte der Arzt den Eintritt einer
entſcheidenden Kriſis vorherverkündiget. Der Dia-
conus, Clelia und der Oberamtmann gingen ihm
daher geſpannt entgegen, während Lisbeth ruhig
unter dem Fenſter ſitzen blieb. Der Arzt hatte
die Worte Clelia’s gehört, wandte ſich daher an
dieſe, und ſagte: Gnädige Frau, ich darf Ihnen
etwas kürzere Friſten verſprechen. Unſer Patient
iſt hergeſtellt, und wenn allerſeits verehrte Anwe-
ſende heute und etwa morgen und etwanneſt über-
morgen noch einige Rückſicht auf ſeinen Zuſtand
nehmen, ſo wird er wohl überübermorgen ausgehen
dürfen, als ein zwar noch etwas blaſſer aber doch
durchaus geheilter Mann.


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[188/0200] frau ſie nicht beſchäftigte, pflegte ſie im Hofe unter den Fenſtern des Krankenzimmers zu ſitzen. Dort verweilte ſie, bis es völlig dunkel geworden war, ihre ſtille Mädchenarbeit verrichtend. Sie war gegen Jedermann ſanft und freundlich, ließ ſich aber mit Niemand ein, ſondern blieb ſehr für ſich. Ein Vorfall hatte ſich während jener Tage ereignet, der die Gäſte etwas wider ſie einnahm, den Oberamtmann ſogar in Zorn verſetzte. Auf heute hatte der Arzt den Eintritt einer entſcheidenden Kriſis vorherverkündiget. Der Dia- conus, Clelia und der Oberamtmann gingen ihm daher geſpannt entgegen, während Lisbeth ruhig unter dem Fenſter ſitzen blieb. Der Arzt hatte die Worte Clelia’s gehört, wandte ſich daher an dieſe, und ſagte: Gnädige Frau, ich darf Ihnen etwas kürzere Friſten verſprechen. Unſer Patient iſt hergeſtellt, und wenn allerſeits verehrte Anwe- ſende heute und etwa morgen und etwanneſt über- morgen noch einige Rückſicht auf ſeinen Zuſtand nehmen, ſo wird er wohl überübermorgen ausgehen dürfen, als ein zwar noch etwas blaſſer aber doch durchaus geheilter Mann.

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Zitationshilfe: Immermann, Karl: Münchhausen. Bd. 4. Düsseldorf, 1839, S. 188. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_muenchhausen04_1839/200>, abgerufen am 24.11.2024.