Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Immermann, Karl: Münchhausen. Bd. 4. Düsseldorf, 1839.

Bild:
<< vorherige Seite

Die Magd hatte von der langen Rede ihres
Brodherrn wenig oder nichts verstanden. Sie
dachte nur an den Schulmeister, von dem ihm eine
Ueberraschung bevorstand und fragte den Küster:
Mögt Ihr Jemand lieber vor Tische sprechen, oder
nach Tische, Herr?

Ich weiß nicht, wie du auf diese Frage kommst,
Gudel, versetzte der arglose Küster. Indessen, da
du einmal fragst, so antworte ich; nach Tische
spreche ich Niemand gern, wie du weißt, sondern
liebe zu schlummern.

Wohl, so will ich draußen auch mein Stück
Brod und Fleisch verzehren, erwiederte die Magd
ohne allen logischen Zusammenhang. Sie ging
aus dem Spritzenhäuschen, stellte sich an die durch-
löcherte Wand und winkte dem Schulmeister, der
sich in der Nähe schon versteckt aufgestellt hatte.

Leise schleichend näherte sich der Schulmeister
dem Spritzenhäuschen. Auch er hatte eine Rede
vorbereitet, fast so lang als die des Küsters ge-
wesen war. Sie begann so: Herr Amtsbruder,
es ist endlich Zeit, verjährten Irrthümern zu ent-
sagen. Der Mann soll den Mann erkennen, wie
er ist, das ist Mannespflicht. Schämen soll der

Die Magd hatte von der langen Rede ihres
Brodherrn wenig oder nichts verſtanden. Sie
dachte nur an den Schulmeiſter, von dem ihm eine
Ueberraſchung bevorſtand und fragte den Küſter:
Mögt Ihr Jemand lieber vor Tiſche ſprechen, oder
nach Tiſche, Herr?

Ich weiß nicht, wie du auf dieſe Frage kommſt,
Gudel, verſetzte der argloſe Küſter. Indeſſen, da
du einmal fragſt, ſo antworte ich; nach Tiſche
ſpreche ich Niemand gern, wie du weißt, ſondern
liebe zu ſchlummern.

Wohl, ſo will ich draußen auch mein Stück
Brod und Fleiſch verzehren, erwiederte die Magd
ohne allen logiſchen Zuſammenhang. Sie ging
aus dem Spritzenhäuschen, ſtellte ſich an die durch-
löcherte Wand und winkte dem Schulmeiſter, der
ſich in der Nähe ſchon verſteckt aufgeſtellt hatte.

Leiſe ſchleichend näherte ſich der Schulmeiſter
dem Spritzenhäuschen. Auch er hatte eine Rede
vorbereitet, faſt ſo lang als die des Küſters ge-
weſen war. Sie begann ſo: Herr Amtsbruder,
es iſt endlich Zeit, verjährten Irrthümern zu ent-
ſagen. Der Mann ſoll den Mann erkennen, wie
er iſt, das iſt Mannespflicht. Schämen ſoll der

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0170" n="158"/>
          <p>Die Magd hatte von der langen Rede ihres<lb/>
Brodherrn wenig oder nichts ver&#x017F;tanden. Sie<lb/>
dachte nur an den Schulmei&#x017F;ter, von dem ihm eine<lb/>
Ueberra&#x017F;chung bevor&#x017F;tand und fragte den Kü&#x017F;ter:<lb/>
Mögt Ihr Jemand lieber vor Ti&#x017F;che &#x017F;prechen, oder<lb/>
nach Ti&#x017F;che, Herr?</p><lb/>
          <p>Ich weiß nicht, wie du auf die&#x017F;e Frage komm&#x017F;t,<lb/>
Gudel, ver&#x017F;etzte der arglo&#x017F;e Kü&#x017F;ter. Inde&#x017F;&#x017F;en, da<lb/>
du einmal frag&#x017F;t, &#x017F;o antworte ich; nach Ti&#x017F;che<lb/>
&#x017F;preche ich Niemand gern, wie du weißt, &#x017F;ondern<lb/>
liebe zu &#x017F;chlummern.</p><lb/>
          <p>Wohl, &#x017F;o will ich draußen auch mein Stück<lb/>
Brod und Flei&#x017F;ch verzehren, erwiederte die Magd<lb/>
ohne allen logi&#x017F;chen Zu&#x017F;ammenhang. Sie ging<lb/>
aus dem Spritzenhäuschen, &#x017F;tellte &#x017F;ich an die durch-<lb/>
löcherte Wand und winkte dem Schulmei&#x017F;ter, der<lb/>
&#x017F;ich in der Nähe &#x017F;chon ver&#x017F;teckt aufge&#x017F;tellt hatte.</p><lb/>
          <p>Lei&#x017F;e &#x017F;chleichend näherte &#x017F;ich der Schulmei&#x017F;ter<lb/>
dem Spritzenhäuschen. Auch er hatte eine Rede<lb/>
vorbereitet, fa&#x017F;t &#x017F;o lang als die des Kü&#x017F;ters ge-<lb/>
we&#x017F;en war. Sie begann <hi rendition="#g">&#x017F;o</hi>: Herr Amtsbruder,<lb/>
es i&#x017F;t endlich Zeit, verjährten Irrthümern zu ent-<lb/>
&#x017F;agen. Der Mann &#x017F;oll den Mann erkennen, wie<lb/>
er i&#x017F;t, das i&#x017F;t Mannespflicht. Schämen &#x017F;oll der<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[158/0170] Die Magd hatte von der langen Rede ihres Brodherrn wenig oder nichts verſtanden. Sie dachte nur an den Schulmeiſter, von dem ihm eine Ueberraſchung bevorſtand und fragte den Küſter: Mögt Ihr Jemand lieber vor Tiſche ſprechen, oder nach Tiſche, Herr? Ich weiß nicht, wie du auf dieſe Frage kommſt, Gudel, verſetzte der argloſe Küſter. Indeſſen, da du einmal fragſt, ſo antworte ich; nach Tiſche ſpreche ich Niemand gern, wie du weißt, ſondern liebe zu ſchlummern. Wohl, ſo will ich draußen auch mein Stück Brod und Fleiſch verzehren, erwiederte die Magd ohne allen logiſchen Zuſammenhang. Sie ging aus dem Spritzenhäuschen, ſtellte ſich an die durch- löcherte Wand und winkte dem Schulmeiſter, der ſich in der Nähe ſchon verſteckt aufgeſtellt hatte. Leiſe ſchleichend näherte ſich der Schulmeiſter dem Spritzenhäuschen. Auch er hatte eine Rede vorbereitet, faſt ſo lang als die des Küſters ge- weſen war. Sie begann ſo: Herr Amtsbruder, es iſt endlich Zeit, verjährten Irrthümern zu ent- ſagen. Der Mann ſoll den Mann erkennen, wie er iſt, das iſt Mannespflicht. Schämen ſoll der

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_muenchhausen04_1839
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_muenchhausen04_1839/170
Zitationshilfe: Immermann, Karl: Münchhausen. Bd. 4. Düsseldorf, 1839, S. 158. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_muenchhausen04_1839/170>, abgerufen am 02.05.2024.