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Immermann, Karl: Münchhausen. Bd. 4. Düsseldorf, 1839.

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Neuntes Capitel.

Das Freigericht und was diesem folgte.


Oswald trat in einer seltsamen Stimmung
aus der Thüre des Oberhofes. Ihm wäre wohler
gewesen, so bedünkte es ihn, wenn er Lisbeth im
Sarge vor sich gesehen hätte, dann wäre er jam-
mernd über den Sarg gestürzt, hätte auf den er-
starrten Lippen mit seinen Küssen einen kurzen
Schein der Lebenswärme hervorgerufen, hätte sich
das Herz in Thränen todt geweint. Aber ein Al-
bernes, eine Grille, etwas unbegreiflich Dummes
schied ihn von ihr, oder etwas noch Schlimmeres,
eine plötzliche Reue über den rasch geschlossenen
Bund; so mußte er auch glauben. Der Zorn, der
Schmerz über diesen unsichtbaren Feind, über einen
dumpfen und stumpfen Zauber, den er nicht lösen,
ja nicht einmal anfassen konnte, fraß ihm tief in
die Brust hinein. -- Ein leichtes, veränderliches

Neuntes Capitel.

Das Freigericht und was dieſem folgte.


Oswald trat in einer ſeltſamen Stimmung
aus der Thüre des Oberhofes. Ihm wäre wohler
geweſen, ſo bedünkte es ihn, wenn er Lisbeth im
Sarge vor ſich geſehen hätte, dann wäre er jam-
mernd über den Sarg geſtürzt, hätte auf den er-
ſtarrten Lippen mit ſeinen Küſſen einen kurzen
Schein der Lebenswärme hervorgerufen, hätte ſich
das Herz in Thränen todt geweint. Aber ein Al-
bernes, eine Grille, etwas unbegreiflich Dummes
ſchied ihn von ihr, oder etwas noch Schlimmeres,
eine plötzliche Reue über den raſch geſchloſſenen
Bund; ſo mußte er auch glauben. Der Zorn, der
Schmerz über dieſen unſichtbaren Feind, über einen
dumpfen und ſtumpfen Zauber, den er nicht löſen,
ja nicht einmal anfaſſen konnte, fraß ihm tief in
die Bruſt hinein. — Ein leichtes, veränderliches

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[110/0122] Neuntes Capitel. Das Freigericht und was dieſem folgte. Oswald trat in einer ſeltſamen Stimmung aus der Thüre des Oberhofes. Ihm wäre wohler geweſen, ſo bedünkte es ihn, wenn er Lisbeth im Sarge vor ſich geſehen hätte, dann wäre er jam- mernd über den Sarg geſtürzt, hätte auf den er- ſtarrten Lippen mit ſeinen Küſſen einen kurzen Schein der Lebenswärme hervorgerufen, hätte ſich das Herz in Thränen todt geweint. Aber ein Al- bernes, eine Grille, etwas unbegreiflich Dummes ſchied ihn von ihr, oder etwas noch Schlimmeres, eine plötzliche Reue über den raſch geſchloſſenen Bund; ſo mußte er auch glauben. Der Zorn, der Schmerz über dieſen unſichtbaren Feind, über einen dumpfen und ſtumpfen Zauber, den er nicht löſen, ja nicht einmal anfaſſen konnte, fraß ihm tief in die Bruſt hinein. — Ein leichtes, veränderliches

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Zitationshilfe: Immermann, Karl: Münchhausen. Bd. 4. Düsseldorf, 1839, S. 110. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_muenchhausen04_1839/122>, abgerufen am 22.11.2024.