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Immermann, Karl: Münchhausen. Bd. 3. Düsseldorf, 1839.

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Dame nun davon hörte, so kannte ihre Munter-
keit keine Schranken. Doch waren ihr und dem
Gemahle die besonderen Neigungen, denen ihr Ge-
fährte unterweges nachging, nicht gerade unlieb,
denn er störte sie deßhalb weniger, als sie anfangs
befürchtet hatten.

Dieser Mann besaß ein sehr ehrliches, wohl-
gebildetes, aber etwas aschgräuliches Gesicht, und
zwischen Nase, Wangen und Kinn die Runzel, welche
man die Actenrunzel nennen kann. Er mochte in
der Mitte der Dreißig stehen, sah jedoch viel älter
aus. Er gehörte zu einer Classe von Reisenden,
die Yorik nicht in der Vorrede im Desobligeant
aufzählt, und die immer mehr ausstirbt; er war
der Geschäftsmann auf Reisen.

Der Oberamtmann Ernst vom Schwarzwalde
-- denn so wird er wohl heißen -- hatte unter-
weges nur Gedanken an sein Amt, an seinen alten
Actuarius und an die gelb angestrichenen Schränke
seines Archives. Ihn verließ der Aerger darüber
nicht, daß er es bei seiner Oberbehörde nicht hatte
durchsetzen können, die Formulare zu den gewöhn-
lichen Expeditionen lithographiren lassen zu dürfen,
wodurch nach seiner innigsten und pflichtmäßigsten

Dame nun davon hörte, ſo kannte ihre Munter-
keit keine Schranken. Doch waren ihr und dem
Gemahle die beſonderen Neigungen, denen ihr Ge-
fährte unterweges nachging, nicht gerade unlieb,
denn er ſtörte ſie deßhalb weniger, als ſie anfangs
befürchtet hatten.

Dieſer Mann beſaß ein ſehr ehrliches, wohl-
gebildetes, aber etwas aſchgräuliches Geſicht, und
zwiſchen Naſe, Wangen und Kinn die Runzel, welche
man die Actenrunzel nennen kann. Er mochte in
der Mitte der Dreißig ſtehen, ſah jedoch viel älter
aus. Er gehörte zu einer Claſſe von Reiſenden,
die Yorik nicht in der Vorrede im Deſobligeant
aufzählt, und die immer mehr ausſtirbt; er war
der Geſchäftsmann auf Reiſen.

Der Oberamtmann Ernſt vom Schwarzwalde
— denn ſo wird er wohl heißen — hatte unter-
weges nur Gedanken an ſein Amt, an ſeinen alten
Actuarius und an die gelb angeſtrichenen Schränke
ſeines Archives. Ihn verließ der Aerger darüber
nicht, daß er es bei ſeiner Oberbehörde nicht hatte
durchſetzen können, die Formulare zu den gewöhn-
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[410/0424] Dame nun davon hörte, ſo kannte ihre Munter- keit keine Schranken. Doch waren ihr und dem Gemahle die beſonderen Neigungen, denen ihr Ge- fährte unterweges nachging, nicht gerade unlieb, denn er ſtörte ſie deßhalb weniger, als ſie anfangs befürchtet hatten. Dieſer Mann beſaß ein ſehr ehrliches, wohl- gebildetes, aber etwas aſchgräuliches Geſicht, und zwiſchen Naſe, Wangen und Kinn die Runzel, welche man die Actenrunzel nennen kann. Er mochte in der Mitte der Dreißig ſtehen, ſah jedoch viel älter aus. Er gehörte zu einer Claſſe von Reiſenden, die Yorik nicht in der Vorrede im Deſobligeant aufzählt, und die immer mehr ausſtirbt; er war der Geſchäftsmann auf Reiſen. Der Oberamtmann Ernſt vom Schwarzwalde — denn ſo wird er wohl heißen — hatte unter- weges nur Gedanken an ſein Amt, an ſeinen alten Actuarius und an die gelb angeſtrichenen Schränke ſeines Archives. Ihn verließ der Aerger darüber nicht, daß er es bei ſeiner Oberbehörde nicht hatte durchſetzen können, die Formulare zu den gewöhn- lichen Expeditionen lithographiren laſſen zu dürfen, wodurch nach ſeiner innigſten und pflichtmäßigſten

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Zitationshilfe: Immermann, Karl: Münchhausen. Bd. 3. Düsseldorf, 1839, S. 410. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_muenchhausen03_1839/424>, abgerufen am 24.11.2024.