Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Immermann, Karl: Münchhausen. Bd. 3. Düsseldorf, 1839.

Bild:
<< vorherige Seite

bel in die Augen. Wir lechzten wie trockene Eimer
in der Sonnengluth, denn ich Karl Gabriel konnte
kein Trauerspiel machen, Karl Nathanael keine nie
erhörte politische Wahrheit, Karl Emanuel kein
neues System. Da erschien uns jener schlum-
mernde Gottmensch, vernahm unsere Nöthe, ent-
deckte sich uns und die Geschichte seiner wunder-
baren Entrückung in die Unsichtbarkeit, erlöste uns
von der Pein der Nichtbefriedigung. Er offen-
barte uns nämlich, daß seine Philosophie da drau-
ßen in der Welt nur die Hülle einiger geheim-
abgezogener Formeln sei, mit Hülfe welcher man
Alles zu Stande bringen könne, selbst Butter und
Käse. Mir, dem Dichter, gelobte er die Formel
für das reine und abstracte Trauerspiel, welches
ich das Trauerspiel nennen solle, dem Staatsmann
verhieß er die Formel für die nie erhörte politische
Wahrheit, dem Philosophen machte er kund, daß
zwar über sein eigenes System hinaus, wie für
sich klar sei, nichts liege, daß er ihm aber die For-
mel geben wolle, wonach es verständlich werde.
Wir beiden Anderen spürten einen stillen Neid auf
Karl Emanuel, denn offenbar war diesem das
größte Geschenk verheißen worden.


Immermann's Münchhausen. 3. Th. 21

bel in die Augen. Wir lechzten wie trockene Eimer
in der Sonnengluth, denn ich Karl Gabriel konnte
kein Trauerſpiel machen, Karl Nathanael keine nie
erhörte politiſche Wahrheit, Karl Emanuel kein
neues Syſtem. Da erſchien uns jener ſchlum-
mernde Gottmenſch, vernahm unſere Nöthe, ent-
deckte ſich uns und die Geſchichte ſeiner wunder-
baren Entrückung in die Unſichtbarkeit, erlöſte uns
von der Pein der Nichtbefriedigung. Er offen-
barte uns nämlich, daß ſeine Philoſophie da drau-
ßen in der Welt nur die Hülle einiger geheim-
abgezogener Formeln ſei, mit Hülfe welcher man
Alles zu Stande bringen könne, ſelbſt Butter und
Käſe. Mir, dem Dichter, gelobte er die Formel
für das reine und abſtracte Trauerſpiel, welches
ich das Trauerſpiel nennen ſolle, dem Staatsmann
verhieß er die Formel für die nie erhörte politiſche
Wahrheit, dem Philoſophen machte er kund, daß
zwar über ſein eigenes Syſtem hinaus, wie für
ſich klar ſei, nichts liege, daß er ihm aber die For-
mel geben wolle, wonach es verſtändlich werde.
Wir beiden Anderen ſpürten einen ſtillen Neid auf
Karl Emanuel, denn offenbar war dieſem das
größte Geſchenk verheißen worden.


Immermann’s Münchhauſen. 3. Th. 21
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0335" n="321"/>
bel in die Augen. Wir lechzten wie trockene Eimer<lb/>
in der Sonnengluth, denn ich Karl Gabriel konnte<lb/>
kein Trauer&#x017F;piel machen, Karl Nathanael keine nie<lb/>
erhörte politi&#x017F;che Wahrheit, Karl Emanuel kein<lb/>
neues Sy&#x017F;tem. Da er&#x017F;chien uns jener &#x017F;chlum-<lb/>
mernde Gottmen&#x017F;ch, vernahm un&#x017F;ere Nöthe, ent-<lb/>
deckte &#x017F;ich uns und die Ge&#x017F;chichte &#x017F;einer wunder-<lb/>
baren Entrückung in die Un&#x017F;ichtbarkeit, erlö&#x017F;te uns<lb/>
von der Pein der Nichtbefriedigung. Er offen-<lb/>
barte uns nämlich, daß &#x017F;eine Philo&#x017F;ophie da drau-<lb/>
ßen in der Welt nur die Hülle einiger geheim-<lb/>
abgezogener Formeln &#x017F;ei, mit Hülfe welcher man<lb/>
Alles zu Stande bringen könne, &#x017F;elb&#x017F;t Butter und<lb/>&#x017F;e. Mir, dem Dichter, gelobte er die Formel<lb/>
für das reine und ab&#x017F;tracte Trauer&#x017F;piel, welches<lb/>
ich das Trauer&#x017F;piel nennen &#x017F;olle, dem Staatsmann<lb/>
verhieß er die Formel für die nie erhörte politi&#x017F;che<lb/>
Wahrheit, dem Philo&#x017F;ophen machte er kund, daß<lb/>
zwar über &#x017F;ein eigenes Sy&#x017F;tem hinaus, wie für<lb/>
&#x017F;ich klar &#x017F;ei, nichts liege, daß er ihm aber die For-<lb/>
mel geben wolle, wonach es ver&#x017F;tändlich werde.<lb/>
Wir beiden Anderen &#x017F;pürten einen &#x017F;tillen Neid auf<lb/>
Karl Emanuel, denn offenbar war die&#x017F;em das<lb/>
größte Ge&#x017F;chenk verheißen worden.</p><lb/>
          <fw place="bottom" type="sig">Immermann&#x2019;s Münchhau&#x017F;en. 3. Th. 21</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[321/0335] bel in die Augen. Wir lechzten wie trockene Eimer in der Sonnengluth, denn ich Karl Gabriel konnte kein Trauerſpiel machen, Karl Nathanael keine nie erhörte politiſche Wahrheit, Karl Emanuel kein neues Syſtem. Da erſchien uns jener ſchlum- mernde Gottmenſch, vernahm unſere Nöthe, ent- deckte ſich uns und die Geſchichte ſeiner wunder- baren Entrückung in die Unſichtbarkeit, erlöſte uns von der Pein der Nichtbefriedigung. Er offen- barte uns nämlich, daß ſeine Philoſophie da drau- ßen in der Welt nur die Hülle einiger geheim- abgezogener Formeln ſei, mit Hülfe welcher man Alles zu Stande bringen könne, ſelbſt Butter und Käſe. Mir, dem Dichter, gelobte er die Formel für das reine und abſtracte Trauerſpiel, welches ich das Trauerſpiel nennen ſolle, dem Staatsmann verhieß er die Formel für die nie erhörte politiſche Wahrheit, dem Philoſophen machte er kund, daß zwar über ſein eigenes Syſtem hinaus, wie für ſich klar ſei, nichts liege, daß er ihm aber die For- mel geben wolle, wonach es verſtändlich werde. Wir beiden Anderen ſpürten einen ſtillen Neid auf Karl Emanuel, denn offenbar war dieſem das größte Geſchenk verheißen worden. Immermann’s Münchhauſen. 3. Th. 21

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_muenchhausen03_1839
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_muenchhausen03_1839/335
Zitationshilfe: Immermann, Karl: Münchhausen. Bd. 3. Düsseldorf, 1839, S. 321. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_muenchhausen03_1839/335>, abgerufen am 27.07.2024.