menschlichen Gemeinschaft Noth thut, nämlich des Sündenbockes. Irgend Einer muß in jedem Hause vorhanden seyn, an welchem die übeln Launen, die Zornmüthigkeiten und die verdrießlichen Stim- mungen ausgelassen werden dürfen. Ohne einen solchen Abzugscanal läßt sich ein dauerhafter häus- licher Friede gar nicht denken. Ich habe ein Haus- wesen gekannt, in welchem so lange zwischen der Herrschaft und den übrigen Hauptpersonen eine vortreffliche Einigkeit bestand, als ein dummes und ungeschicktes Mädchen, eine entfernte Ver- wandte, tagtäglich auszuschmälen war. Herr und Frau begingen aber den Thorenstreich, dieses Mäd- chen fortzuschicken aus dem Grunde, weil der Aerger und Lärmen mit ihr im Hause zu groß sei. Und von Stund an hörte alle Verträglich- keit auf; es war als ob in der Dummen und Ungeschickten der Schutzgeist des Heerdes verscheucht worden sei, der Mann zankte mit der Frau, die Frau schmollte mit dem Manne, der erwachsene Sohn und die mannbare Tochter hatten ein be- ständiges Schrauben und unangenehmes Reiben mit einander; selbst die Hausfreunde bekamen Augen für die Schwächen ihrer Wirthe und erkalteten,
menſchlichen Gemeinſchaft Noth thut, nämlich des Sündenbockes. Irgend Einer muß in jedem Hauſe vorhanden ſeyn, an welchem die übeln Launen, die Zornmüthigkeiten und die verdrießlichen Stim- mungen ausgelaſſen werden dürfen. Ohne einen ſolchen Abzugscanal läßt ſich ein dauerhafter häus- licher Friede gar nicht denken. Ich habe ein Haus- weſen gekannt, in welchem ſo lange zwiſchen der Herrſchaft und den übrigen Hauptperſonen eine vortreffliche Einigkeit beſtand, als ein dummes und ungeſchicktes Mädchen, eine entfernte Ver- wandte, tagtäglich auszuſchmälen war. Herr und Frau begingen aber den Thorenſtreich, dieſes Mäd- chen fortzuſchicken aus dem Grunde, weil der Aerger und Lärmen mit ihr im Hauſe zu groß ſei. Und von Stund an hörte alle Verträglich- keit auf; es war als ob in der Dummen und Ungeſchickten der Schutzgeiſt des Heerdes verſcheucht worden ſei, der Mann zankte mit der Frau, die Frau ſchmollte mit dem Manne, der erwachſene Sohn und die mannbare Tochter hatten ein be- ſtändiges Schrauben und unangenehmes Reiben mit einander; ſelbſt die Hausfreunde bekamen Augen für die Schwächen ihrer Wirthe und erkalteten,
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menſchlichen Gemeinſchaft Noth thut, nämlich des
Sündenbockes. Irgend Einer muß in jedem Hauſe
vorhanden ſeyn, an welchem die übeln Launen,
die Zornmüthigkeiten und die verdrießlichen Stim-
mungen ausgelaſſen werden dürfen. Ohne einen
ſolchen Abzugscanal läßt ſich ein dauerhafter häus-
licher Friede gar nicht denken. Ich habe ein Haus-
weſen gekannt, in welchem ſo lange zwiſchen der
Herrſchaft und den übrigen Hauptperſonen eine
vortreffliche Einigkeit beſtand, als ein dummes
und ungeſchicktes Mädchen, eine entfernte Ver-
wandte, tagtäglich auszuſchmälen war. Herr und
Frau begingen aber den Thorenſtreich, dieſes Mäd-
chen fortzuſchicken aus dem Grunde, weil der
Aerger und Lärmen mit ihr im Hauſe zu groß
ſei. Und von Stund an hörte alle Verträglich-
keit auf; es war als ob in der Dummen und
Ungeſchickten der Schutzgeiſt des Heerdes verſcheucht
worden ſei, der Mann zankte mit der Frau, die
Frau ſchmollte mit dem Manne, der erwachſene
Sohn und die mannbare Tochter hatten ein be-
ſtändiges Schrauben und unangenehmes Reiben mit
einander; ſelbſt die Hausfreunde bekamen Augen
für die Schwächen ihrer Wirthe und erkalteten,
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Immermann, Karl: Münchhausen. Bd. 3. Düsseldorf, 1839, S. 220. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_muenchhausen03_1839/234>, abgerufen am 22.11.2024.
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