Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Immermann, Karl: Münchhausen. Bd. 3. Düsseldorf, 1839.

Bild:
<< vorherige Seite

von denen ein verklärender Wiederschein auf das
dunkele Mooslager fiel. Daß die Schläferin, wie
von einem geheimen Drucke belastet, in süßer Angst
zu athmen schien, machte sie in seinen Augen nur
noch verlockender, er fühlte, daß sein Herz auf im-
merdar gefangen genommen sei, und nur an diesem
Munde sein Lechzen stillen könne. Ist es nicht
Schade, sagte die Elster, die durch die Lucke in die
Laube gehüpft war, und sich der Schläferin auf den
Arm setzte, daß eine so schöne Prinzessin sich hat
müssen einspinnen lassen? -- Wie? Einspinnen?
fragte der Schüler; sie ruht ja, in ihren weißen
Schleier gehüllt. O Thorheit! rief die Elster, ich
sage, es sind Spinnweben und der König Kanker
hat sie eingesponnen. -- Wer ist der König Kanker?

Im menschlichen Zustande war er ein reicher
Garnspinnerherr, versetzte die Elster, indem sie wohl-
gefällig mit dem Schwanze wippte. Er hatte sei-
ne Garnspinnerei nicht weit von hier, außer dem
Walde, am Flüßchen, und an die hundert Arbeiter
spannen unter ihm. Das Garn wuschen sie im
Flüßchen. Darin wohnt aber der Nix, und der
war ihnen schon lange bitterböse, weil sie mit der
ekelhaften Wäsche seine klaren Fluthen trübten,

von denen ein verklärender Wiederſchein auf das
dunkele Mooslager fiel. Daß die Schläferin, wie
von einem geheimen Drucke belaſtet, in ſüßer Angſt
zu athmen ſchien, machte ſie in ſeinen Augen nur
noch verlockender, er fühlte, daß ſein Herz auf im-
merdar gefangen genommen ſei, und nur an dieſem
Munde ſein Lechzen ſtillen könne. Iſt es nicht
Schade, ſagte die Elſter, die durch die Lucke in die
Laube gehüpft war, und ſich der Schläferin auf den
Arm ſetzte, daß eine ſo ſchöne Prinzeſſin ſich hat
müſſen einſpinnen laſſen? — Wie? Einſpinnen?
fragte der Schüler; ſie ruht ja, in ihren weißen
Schleier gehüllt. O Thorheit! rief die Elſter, ich
ſage, es ſind Spinnweben und der König Kanker
hat ſie eingeſponnen. — Wer iſt der König Kanker?

Im menſchlichen Zuſtande war er ein reicher
Garnſpinnerherr, verſetzte die Elſter, indem ſie wohl-
gefällig mit dem Schwanze wippte. Er hatte ſei-
ne Garnſpinnerei nicht weit von hier, außer dem
Walde, am Flüßchen, und an die hundert Arbeiter
ſpannen unter ihm. Das Garn wuſchen ſie im
Flüßchen. Darin wohnt aber der Nix, und der
war ihnen ſchon lange bitterböſe, weil ſie mit der
ekelhaften Wäſche ſeine klaren Fluthen trübten,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0181" n="167"/>
von denen ein verklärender Wieder&#x017F;chein auf das<lb/>
dunkele Mooslager fiel. Daß die Schläferin, wie<lb/>
von einem geheimen Drucke bela&#x017F;tet, in &#x017F;üßer Ang&#x017F;t<lb/>
zu athmen &#x017F;chien, machte &#x017F;ie in &#x017F;einen Augen nur<lb/>
noch verlockender, er fühlte, daß &#x017F;ein Herz auf im-<lb/>
merdar gefangen genommen &#x017F;ei, und nur an die&#x017F;em<lb/>
Munde &#x017F;ein Lechzen &#x017F;tillen könne. I&#x017F;t es nicht<lb/>
Schade, &#x017F;agte die El&#x017F;ter, die durch die Lucke in die<lb/>
Laube gehüpft war, und &#x017F;ich der Schläferin auf den<lb/>
Arm &#x017F;etzte, daß eine &#x017F;o &#x017F;chöne Prinze&#x017F;&#x017F;in &#x017F;ich hat<lb/>&#x017F;&#x017F;en ein&#x017F;pinnen la&#x017F;&#x017F;en? &#x2014; Wie? Ein&#x017F;pinnen?<lb/>
fragte der Schüler; &#x017F;ie ruht ja, in ihren weißen<lb/>
Schleier gehüllt. O Thorheit! rief die El&#x017F;ter, ich<lb/>
&#x017F;age, es &#x017F;ind Spinnweben und der König Kanker<lb/>
hat &#x017F;ie einge&#x017F;ponnen. &#x2014; Wer i&#x017F;t der König Kanker?</p><lb/>
          <p>Im men&#x017F;chlichen Zu&#x017F;tande war er ein reicher<lb/>
Garn&#x017F;pinnerherr, ver&#x017F;etzte die El&#x017F;ter, indem &#x017F;ie wohl-<lb/>
gefällig mit dem Schwanze wippte. Er hatte &#x017F;ei-<lb/>
ne Garn&#x017F;pinnerei nicht weit von hier, außer dem<lb/>
Walde, am Flüßchen, und an die hundert Arbeiter<lb/>
&#x017F;pannen unter ihm. Das Garn wu&#x017F;chen &#x017F;ie im<lb/>
Flüßchen. Darin wohnt aber der Nix, und der<lb/>
war ihnen &#x017F;chon lange bitterbö&#x017F;e, weil &#x017F;ie mit der<lb/>
ekelhaften Wä&#x017F;che &#x017F;eine klaren Fluthen trübten,<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[167/0181] von denen ein verklärender Wiederſchein auf das dunkele Mooslager fiel. Daß die Schläferin, wie von einem geheimen Drucke belaſtet, in ſüßer Angſt zu athmen ſchien, machte ſie in ſeinen Augen nur noch verlockender, er fühlte, daß ſein Herz auf im- merdar gefangen genommen ſei, und nur an dieſem Munde ſein Lechzen ſtillen könne. Iſt es nicht Schade, ſagte die Elſter, die durch die Lucke in die Laube gehüpft war, und ſich der Schläferin auf den Arm ſetzte, daß eine ſo ſchöne Prinzeſſin ſich hat müſſen einſpinnen laſſen? — Wie? Einſpinnen? fragte der Schüler; ſie ruht ja, in ihren weißen Schleier gehüllt. O Thorheit! rief die Elſter, ich ſage, es ſind Spinnweben und der König Kanker hat ſie eingeſponnen. — Wer iſt der König Kanker? Im menſchlichen Zuſtande war er ein reicher Garnſpinnerherr, verſetzte die Elſter, indem ſie wohl- gefällig mit dem Schwanze wippte. Er hatte ſei- ne Garnſpinnerei nicht weit von hier, außer dem Walde, am Flüßchen, und an die hundert Arbeiter ſpannen unter ihm. Das Garn wuſchen ſie im Flüßchen. Darin wohnt aber der Nix, und der war ihnen ſchon lange bitterböſe, weil ſie mit der ekelhaften Wäſche ſeine klaren Fluthen trübten,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_muenchhausen03_1839
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_muenchhausen03_1839/181
Zitationshilfe: Immermann, Karl: Münchhausen. Bd. 3. Düsseldorf, 1839, S. 167. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_muenchhausen03_1839/181>, abgerufen am 25.11.2024.