von denen ein verklärender Wiederschein auf das dunkele Mooslager fiel. Daß die Schläferin, wie von einem geheimen Drucke belastet, in süßer Angst zu athmen schien, machte sie in seinen Augen nur noch verlockender, er fühlte, daß sein Herz auf im- merdar gefangen genommen sei, und nur an diesem Munde sein Lechzen stillen könne. Ist es nicht Schade, sagte die Elster, die durch die Lucke in die Laube gehüpft war, und sich der Schläferin auf den Arm setzte, daß eine so schöne Prinzessin sich hat müssen einspinnen lassen? -- Wie? Einspinnen? fragte der Schüler; sie ruht ja, in ihren weißen Schleier gehüllt. O Thorheit! rief die Elster, ich sage, es sind Spinnweben und der König Kanker hat sie eingesponnen. -- Wer ist der König Kanker?
Im menschlichen Zustande war er ein reicher Garnspinnerherr, versetzte die Elster, indem sie wohl- gefällig mit dem Schwanze wippte. Er hatte sei- ne Garnspinnerei nicht weit von hier, außer dem Walde, am Flüßchen, und an die hundert Arbeiter spannen unter ihm. Das Garn wuschen sie im Flüßchen. Darin wohnt aber der Nix, und der war ihnen schon lange bitterböse, weil sie mit der ekelhaften Wäsche seine klaren Fluthen trübten,
von denen ein verklärender Wiederſchein auf das dunkele Mooslager fiel. Daß die Schläferin, wie von einem geheimen Drucke belaſtet, in ſüßer Angſt zu athmen ſchien, machte ſie in ſeinen Augen nur noch verlockender, er fühlte, daß ſein Herz auf im- merdar gefangen genommen ſei, und nur an dieſem Munde ſein Lechzen ſtillen könne. Iſt es nicht Schade, ſagte die Elſter, die durch die Lucke in die Laube gehüpft war, und ſich der Schläferin auf den Arm ſetzte, daß eine ſo ſchöne Prinzeſſin ſich hat müſſen einſpinnen laſſen? — Wie? Einſpinnen? fragte der Schüler; ſie ruht ja, in ihren weißen Schleier gehüllt. O Thorheit! rief die Elſter, ich ſage, es ſind Spinnweben und der König Kanker hat ſie eingeſponnen. — Wer iſt der König Kanker?
Im menſchlichen Zuſtande war er ein reicher Garnſpinnerherr, verſetzte die Elſter, indem ſie wohl- gefällig mit dem Schwanze wippte. Er hatte ſei- ne Garnſpinnerei nicht weit von hier, außer dem Walde, am Flüßchen, und an die hundert Arbeiter ſpannen unter ihm. Das Garn wuſchen ſie im Flüßchen. Darin wohnt aber der Nix, und der war ihnen ſchon lange bitterböſe, weil ſie mit der ekelhaften Wäſche ſeine klaren Fluthen trübten,
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von denen ein verklärender Wiederſchein auf das
dunkele Mooslager fiel. Daß die Schläferin, wie
von einem geheimen Drucke belaſtet, in ſüßer Angſt
zu athmen ſchien, machte ſie in ſeinen Augen nur
noch verlockender, er fühlte, daß ſein Herz auf im-
merdar gefangen genommen ſei, und nur an dieſem
Munde ſein Lechzen ſtillen könne. Iſt es nicht
Schade, ſagte die Elſter, die durch die Lucke in die
Laube gehüpft war, und ſich der Schläferin auf den
Arm ſetzte, daß eine ſo ſchöne Prinzeſſin ſich hat
müſſen einſpinnen laſſen? — Wie? Einſpinnen?
fragte der Schüler; ſie ruht ja, in ihren weißen
Schleier gehüllt. O Thorheit! rief die Elſter, ich
ſage, es ſind Spinnweben und der König Kanker
hat ſie eingeſponnen. — Wer iſt der König Kanker?
Im menſchlichen Zuſtande war er ein reicher
Garnſpinnerherr, verſetzte die Elſter, indem ſie wohl-
gefällig mit dem Schwanze wippte. Er hatte ſei-
ne Garnſpinnerei nicht weit von hier, außer dem
Walde, am Flüßchen, und an die hundert Arbeiter
ſpannen unter ihm. Das Garn wuſchen ſie im
Flüßchen. Darin wohnt aber der Nix, und der
war ihnen ſchon lange bitterböſe, weil ſie mit der
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Immermann, Karl: Münchhausen. Bd. 3. Düsseldorf, 1839, S. 167. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_muenchhausen03_1839/181>, abgerufen am 25.11.2024.
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