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Immermann, Karl: Münchhausen. Bd. 3. Düsseldorf, 1839.

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auch sein Gemüth arbeitete unter der Last schwerer
Erinnerungen. -- Endlich kam er, nachdem ihm der
Pfad längst unter den Füßen geschwunden war,
auf einen schönen, glatten, dunkeln Platz unter
mächtigen Eichen. Noch immer hörte er aus der
Ferne seinen Namen rufen. Hier wird mich der
rohe Laut von da draußen nicht mehr erreichen,
sagte er, hier werde ich still geborgen seyn. Er
sank an einem großen moosbedeckten Steine nieder,
seine Brust wogte, er kämpfte mit einem gewalti-
gen Gelüste. Vergieb mir, hoher Meister, meinen
Fürwitz, rief er; aber es giebt ein Wissen, dem
die That folgen muß, sonst erdrückt es den Sterb-
lichen! Hier, näher dem Herzen der großen Mut-
ter, wo unter dem Sprießen und Wachsen schon
vernehmlicher ihre Pulse klopfen, hier muß ich es
aussprechen, das Zauberwort, welches ich von dei-
nen schlafenden Lippen ablauschte, als du es im
Traume sprachest; das Wort, auf dessen Ertönen
die Creatur den Schleier hinwegwirft, die Kräfte
sichtbar werden, die unter Rinde und Haut und im
Kerne des Felsens arbeiten, und die Sprache des
Vogels dem Ohre verständlich klingt.


auch ſein Gemüth arbeitete unter der Laſt ſchwerer
Erinnerungen. — Endlich kam er, nachdem ihm der
Pfad längſt unter den Füßen geſchwunden war,
auf einen ſchönen, glatten, dunkeln Platz unter
mächtigen Eichen. Noch immer hörte er aus der
Ferne ſeinen Namen rufen. Hier wird mich der
rohe Laut von da draußen nicht mehr erreichen,
ſagte er, hier werde ich ſtill geborgen ſeyn. Er
ſank an einem großen moosbedeckten Steine nieder,
ſeine Bruſt wogte, er kämpfte mit einem gewalti-
gen Gelüſte. Vergieb mir, hoher Meiſter, meinen
Fürwitz, rief er; aber es giebt ein Wiſſen, dem
die That folgen muß, ſonſt erdrückt es den Sterb-
lichen! Hier, näher dem Herzen der großen Mut-
ter, wo unter dem Sprießen und Wachſen ſchon
vernehmlicher ihre Pulſe klopfen, hier muß ich es
ausſprechen, das Zauberwort, welches ich von dei-
nen ſchlafenden Lippen ablauſchte, als du es im
Traume ſpracheſt; das Wort, auf deſſen Ertönen
die Creatur den Schleier hinwegwirft, die Kräfte
ſichtbar werden, die unter Rinde und Haut und im
Kerne des Felſens arbeiten, und die Sprache des
Vogels dem Ohre verſtändlich klingt.


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[157/0171] auch ſein Gemüth arbeitete unter der Laſt ſchwerer Erinnerungen. — Endlich kam er, nachdem ihm der Pfad längſt unter den Füßen geſchwunden war, auf einen ſchönen, glatten, dunkeln Platz unter mächtigen Eichen. Noch immer hörte er aus der Ferne ſeinen Namen rufen. Hier wird mich der rohe Laut von da draußen nicht mehr erreichen, ſagte er, hier werde ich ſtill geborgen ſeyn. Er ſank an einem großen moosbedeckten Steine nieder, ſeine Bruſt wogte, er kämpfte mit einem gewalti- gen Gelüſte. Vergieb mir, hoher Meiſter, meinen Fürwitz, rief er; aber es giebt ein Wiſſen, dem die That folgen muß, ſonſt erdrückt es den Sterb- lichen! Hier, näher dem Herzen der großen Mut- ter, wo unter dem Sprießen und Wachſen ſchon vernehmlicher ihre Pulſe klopfen, hier muß ich es ausſprechen, das Zauberwort, welches ich von dei- nen ſchlafenden Lippen ablauſchte, als du es im Traume ſpracheſt; das Wort, auf deſſen Ertönen die Creatur den Schleier hinwegwirft, die Kräfte ſichtbar werden, die unter Rinde und Haut und im Kerne des Felſens arbeiten, und die Sprache des Vogels dem Ohre verſtändlich klingt.

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Zitationshilfe: Immermann, Karl: Münchhausen. Bd. 3. Düsseldorf, 1839, S. 157. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_muenchhausen03_1839/171>, abgerufen am 25.11.2024.