Schülern aus; nicht lange, so merkte ich, daß er gewisse Worte, die den Andern unbeachtet vorüber- schlüpften, gegen mich mit einer besonderen Beto- nung zu wiederholen pflegte; Worte, die auf den geheimnißvollen Zusammenhang alles menschlichen Wissens und auf eine tief unten in dunkler Ver- schwiegenheit treibende gemeinsame Wurzel des gro- ßen Baumes hinwiesen, welcher da droben am Lichte seine gewaltigen Zweige als Grammatik, Dialectik, Redekunst, Zahlenlehre, Geometrie, Astro- nomie und Musik auseinanderlegte. -- Sein Auge ruhte bei solchen Worten durchdringend auf mir, und meine Blicke ließen ihn erkennen, daß er eine tiefe Sehnsucht nach den letzten und größten Schä- tzen seines Geistes in mir entzündet hatte.
So kam es denn allgemach, daß ich der Ver- traute seiner heimlichen Werkstatt und der Lehrling wurde, auf den er einen Theil seines Pfundes als kostbares Vermächtniß vererben wollte. -- Es giebt nur ein Mark der Dinge, welches hier im Me- tall lastet und wieget, dort in der schwankenden Pflanze, im leichtsinnigen Vogel vom Urkern sich abzulösen ringt. Alles wandelt und verwandelt sich; Gott wirkt zwar in der Natur, aber die Na-
Schülern aus; nicht lange, ſo merkte ich, daß er gewiſſe Worte, die den Andern unbeachtet vorüber- ſchlüpften, gegen mich mit einer beſonderen Beto- nung zu wiederholen pflegte; Worte, die auf den geheimnißvollen Zuſammenhang alles menſchlichen Wiſſens und auf eine tief unten in dunkler Ver- ſchwiegenheit treibende gemeinſame Wurzel des gro- ßen Baumes hinwieſen, welcher da droben am Lichte ſeine gewaltigen Zweige als Grammatik, Dialectik, Redekunſt, Zahlenlehre, Geometrie, Aſtro- nomie und Muſik auseinanderlegte. — Sein Auge ruhte bei ſolchen Worten durchdringend auf mir, und meine Blicke ließen ihn erkennen, daß er eine tiefe Sehnſucht nach den letzten und größten Schä- tzen ſeines Geiſtes in mir entzündet hatte.
So kam es denn allgemach, daß ich der Ver- traute ſeiner heimlichen Werkſtatt und der Lehrling wurde, auf den er einen Theil ſeines Pfundes als koſtbares Vermächtniß vererben wollte. — Es giebt nur ein Mark der Dinge, welches hier im Me- tall laſtet und wieget, dort in der ſchwankenden Pflanze, im leichtſinnigen Vogel vom Urkern ſich abzulöſen ringt. Alles wandelt und verwandelt ſich; Gott wirkt zwar in der Natur, aber die Na-
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0162"n="148"/>
Schülern aus; nicht lange, ſo merkte ich, daß er<lb/>
gewiſſe Worte, die den Andern unbeachtet vorüber-<lb/>ſchlüpften, gegen mich mit einer beſonderen Beto-<lb/>
nung zu wiederholen pflegte; Worte, die auf den<lb/>
geheimnißvollen Zuſammenhang alles menſchlichen<lb/>
Wiſſens und auf eine tief unten in dunkler Ver-<lb/>ſchwiegenheit treibende gemeinſame Wurzel des gro-<lb/>
ßen Baumes hinwieſen, welcher da droben am<lb/>
Lichte ſeine gewaltigen Zweige als Grammatik,<lb/>
Dialectik, Redekunſt, Zahlenlehre, Geometrie, Aſtro-<lb/>
nomie und Muſik auseinanderlegte. — Sein Auge<lb/>
ruhte bei ſolchen Worten durchdringend auf mir,<lb/>
und meine Blicke ließen ihn erkennen, daß er eine<lb/>
tiefe Sehnſucht nach den letzten und größten Schä-<lb/>
tzen ſeines Geiſtes in mir entzündet hatte.</p><lb/><p>So kam es denn allgemach, daß ich der Ver-<lb/>
traute ſeiner heimlichen Werkſtatt und der Lehrling<lb/>
wurde, auf den er einen Theil ſeines Pfundes als<lb/>
koſtbares Vermächtniß vererben wollte. — Es giebt<lb/>
nur <hirendition="#g">ein</hi> Mark der Dinge, welches <hirendition="#g">hier</hi> im Me-<lb/>
tall laſtet und wieget, dort in der ſchwankenden<lb/>
Pflanze, im leichtſinnigen Vogel vom Urkern ſich<lb/>
abzulöſen ringt. Alles wandelt und verwandelt<lb/>ſich; Gott wirkt zwar in der Natur, aber die Na-<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[148/0162]
Schülern aus; nicht lange, ſo merkte ich, daß er
gewiſſe Worte, die den Andern unbeachtet vorüber-
ſchlüpften, gegen mich mit einer beſonderen Beto-
nung zu wiederholen pflegte; Worte, die auf den
geheimnißvollen Zuſammenhang alles menſchlichen
Wiſſens und auf eine tief unten in dunkler Ver-
ſchwiegenheit treibende gemeinſame Wurzel des gro-
ßen Baumes hinwieſen, welcher da droben am
Lichte ſeine gewaltigen Zweige als Grammatik,
Dialectik, Redekunſt, Zahlenlehre, Geometrie, Aſtro-
nomie und Muſik auseinanderlegte. — Sein Auge
ruhte bei ſolchen Worten durchdringend auf mir,
und meine Blicke ließen ihn erkennen, daß er eine
tiefe Sehnſucht nach den letzten und größten Schä-
tzen ſeines Geiſtes in mir entzündet hatte.
So kam es denn allgemach, daß ich der Ver-
traute ſeiner heimlichen Werkſtatt und der Lehrling
wurde, auf den er einen Theil ſeines Pfundes als
koſtbares Vermächtniß vererben wollte. — Es giebt
nur ein Mark der Dinge, welches hier im Me-
tall laſtet und wieget, dort in der ſchwankenden
Pflanze, im leichtſinnigen Vogel vom Urkern ſich
abzulöſen ringt. Alles wandelt und verwandelt
ſich; Gott wirkt zwar in der Natur, aber die Na-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Immermann, Karl: Münchhausen. Bd. 3. Düsseldorf, 1839, S. 148. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_muenchhausen03_1839/162>, abgerufen am 25.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.