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Immermann, Karl: Münchhausen. Bd. 3. Düsseldorf, 1839.

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Schülern aus; nicht lange, so merkte ich, daß er
gewisse Worte, die den Andern unbeachtet vorüber-
schlüpften, gegen mich mit einer besonderen Beto-
nung zu wiederholen pflegte; Worte, die auf den
geheimnißvollen Zusammenhang alles menschlichen
Wissens und auf eine tief unten in dunkler Ver-
schwiegenheit treibende gemeinsame Wurzel des gro-
ßen Baumes hinwiesen, welcher da droben am
Lichte seine gewaltigen Zweige als Grammatik,
Dialectik, Redekunst, Zahlenlehre, Geometrie, Astro-
nomie und Musik auseinanderlegte. -- Sein Auge
ruhte bei solchen Worten durchdringend auf mir,
und meine Blicke ließen ihn erkennen, daß er eine
tiefe Sehnsucht nach den letzten und größten Schä-
tzen seines Geistes in mir entzündet hatte.

So kam es denn allgemach, daß ich der Ver-
traute seiner heimlichen Werkstatt und der Lehrling
wurde, auf den er einen Theil seines Pfundes als
kostbares Vermächtniß vererben wollte. -- Es giebt
nur ein Mark der Dinge, welches hier im Me-
tall lastet und wieget, dort in der schwankenden
Pflanze, im leichtsinnigen Vogel vom Urkern sich
abzulösen ringt. Alles wandelt und verwandelt
sich; Gott wirkt zwar in der Natur, aber die Na-

Schülern aus; nicht lange, ſo merkte ich, daß er
gewiſſe Worte, die den Andern unbeachtet vorüber-
ſchlüpften, gegen mich mit einer beſonderen Beto-
nung zu wiederholen pflegte; Worte, die auf den
geheimnißvollen Zuſammenhang alles menſchlichen
Wiſſens und auf eine tief unten in dunkler Ver-
ſchwiegenheit treibende gemeinſame Wurzel des gro-
ßen Baumes hinwieſen, welcher da droben am
Lichte ſeine gewaltigen Zweige als Grammatik,
Dialectik, Redekunſt, Zahlenlehre, Geometrie, Aſtro-
nomie und Muſik auseinanderlegte. — Sein Auge
ruhte bei ſolchen Worten durchdringend auf mir,
und meine Blicke ließen ihn erkennen, daß er eine
tiefe Sehnſucht nach den letzten und größten Schä-
tzen ſeines Geiſtes in mir entzündet hatte.

So kam es denn allgemach, daß ich der Ver-
traute ſeiner heimlichen Werkſtatt und der Lehrling
wurde, auf den er einen Theil ſeines Pfundes als
koſtbares Vermächtniß vererben wollte. — Es giebt
nur ein Mark der Dinge, welches hier im Me-
tall laſtet und wieget, dort in der ſchwankenden
Pflanze, im leichtſinnigen Vogel vom Urkern ſich
abzulöſen ringt. Alles wandelt und verwandelt
ſich; Gott wirkt zwar in der Natur, aber die Na-

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[148/0162] Schülern aus; nicht lange, ſo merkte ich, daß er gewiſſe Worte, die den Andern unbeachtet vorüber- ſchlüpften, gegen mich mit einer beſonderen Beto- nung zu wiederholen pflegte; Worte, die auf den geheimnißvollen Zuſammenhang alles menſchlichen Wiſſens und auf eine tief unten in dunkler Ver- ſchwiegenheit treibende gemeinſame Wurzel des gro- ßen Baumes hinwieſen, welcher da droben am Lichte ſeine gewaltigen Zweige als Grammatik, Dialectik, Redekunſt, Zahlenlehre, Geometrie, Aſtro- nomie und Muſik auseinanderlegte. — Sein Auge ruhte bei ſolchen Worten durchdringend auf mir, und meine Blicke ließen ihn erkennen, daß er eine tiefe Sehnſucht nach den letzten und größten Schä- tzen ſeines Geiſtes in mir entzündet hatte. So kam es denn allgemach, daß ich der Ver- traute ſeiner heimlichen Werkſtatt und der Lehrling wurde, auf den er einen Theil ſeines Pfundes als koſtbares Vermächtniß vererben wollte. — Es giebt nur ein Mark der Dinge, welches hier im Me- tall laſtet und wieget, dort in der ſchwankenden Pflanze, im leichtſinnigen Vogel vom Urkern ſich abzulöſen ringt. Alles wandelt und verwandelt ſich; Gott wirkt zwar in der Natur, aber die Na-

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Zitationshilfe: Immermann, Karl: Münchhausen. Bd. 3. Düsseldorf, 1839, S. 148. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_muenchhausen03_1839/162>, abgerufen am 04.05.2024.