gefallen war und vereinigte es wieder sanft mit dem Kelche, dann warf sie durch das Fenster einen Kuß ihrem Wanderer nach und bat die Lüfte, den Kuß ihm zuzubringen.
Sie stand auf und ging hin und her, denn ihr Gemüth war zu sehnsuchtsvoll und unruhig. Sie wollte das grüne Särglein aus ihrem Busen neh- men, da rührte sie mit ihrer Hand an die junge Brust, und es überflog sie bei dieser Berührung ein Schauer der Ehrfurcht vor ihr selbst. Ihr Leib kam ihr geheiligt vor, denn sie war geliebt.
Aber nicht lange blieb sie in dieser erhabenen Stimmung. Scherzender Jubel ergriff sie. Sie faßte ihre Schürze mit beiden Händen und machte zu dem Schrei der Musik da draußen für sich ein Tänzchen rund um das Zimmer. Dann fiel ihr die Goldrolle wieder ein, welche sie auf das Tisch- chen gelegt hatte. -- Was sein ist, ist mein, ich muß doch sehen, wie viel er geerbt hat! rief sie. Er hatte ihr gesagt, er sei ein Förster aus Schwa- ben, der nach der hiesigen Gegend gereist sei, um eine Erbschaft zu heben. Als sie die Rolle öffnete, sah das Gold sie mit blitzenden Augen an. Sie zählte und zählte, das wollte für sie kein Ende
Immermann's Münchhausen 3. Th. 9
gefallen war und vereinigte es wieder ſanft mit dem Kelche, dann warf ſie durch das Fenſter einen Kuß ihrem Wanderer nach und bat die Lüfte, den Kuß ihm zuzubringen.
Sie ſtand auf und ging hin und her, denn ihr Gemüth war zu ſehnſuchtsvoll und unruhig. Sie wollte das grüne Särglein aus ihrem Buſen neh- men, da rührte ſie mit ihrer Hand an die junge Bruſt, und es überflog ſie bei dieſer Berührung ein Schauer der Ehrfurcht vor ihr ſelbſt. Ihr Leib kam ihr geheiligt vor, denn ſie war geliebt.
Aber nicht lange blieb ſie in dieſer erhabenen Stimmung. Scherzender Jubel ergriff ſie. Sie faßte ihre Schürze mit beiden Händen und machte zu dem Schrei der Muſik da draußen für ſich ein Tänzchen rund um das Zimmer. Dann fiel ihr die Goldrolle wieder ein, welche ſie auf das Tiſch- chen gelegt hatte. — Was ſein iſt, iſt mein, ich muß doch ſehen, wie viel er geerbt hat! rief ſie. Er hatte ihr geſagt, er ſei ein Förſter aus Schwa- ben, der nach der hieſigen Gegend gereiſt ſei, um eine Erbſchaft zu heben. Als ſie die Rolle öffnete, ſah das Gold ſie mit blitzenden Augen an. Sie zählte und zählte, das wollte für ſie kein Ende
Immermann’s Münchhauſen 3. Th. 9
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0143"n="129"/>
gefallen war und vereinigte es wieder ſanft mit<lb/>
dem Kelche, dann warf ſie durch das Fenſter einen<lb/>
Kuß ihrem Wanderer nach und bat die Lüfte, den<lb/>
Kuß ihm zuzubringen.</p><lb/><p>Sie ſtand auf und ging hin und her, denn ihr<lb/>
Gemüth war zu ſehnſuchtsvoll und unruhig. Sie<lb/>
wollte das grüne Särglein aus ihrem Buſen neh-<lb/>
men, da rührte ſie mit ihrer Hand an die junge<lb/>
Bruſt, und es überflog ſie bei dieſer Berührung<lb/>
ein Schauer der Ehrfurcht vor ihr ſelbſt. Ihr<lb/>
Leib kam ihr geheiligt vor, denn ſie war geliebt.</p><lb/><p>Aber nicht lange blieb ſie in dieſer erhabenen<lb/>
Stimmung. Scherzender Jubel ergriff ſie. Sie<lb/>
faßte ihre Schürze mit beiden Händen und machte<lb/>
zu dem Schrei der Muſik da draußen für ſich ein<lb/>
Tänzchen rund um das Zimmer. Dann fiel ihr<lb/>
die Goldrolle wieder ein, welche ſie auf das Tiſch-<lb/>
chen gelegt hatte. — Was ſein iſt, iſt mein, ich<lb/>
muß doch ſehen, wie viel er geerbt hat! rief ſie.<lb/>
Er hatte ihr geſagt, er ſei ein Förſter aus Schwa-<lb/>
ben, der nach der hieſigen Gegend gereiſt ſei, um<lb/>
eine Erbſchaft zu heben. Als ſie die Rolle öffnete,<lb/>ſah das Gold ſie mit blitzenden Augen an. Sie<lb/>
zählte und zählte, das wollte für ſie kein Ende<lb/><fwplace="bottom"type="sig">Immermann’s Münchhauſen 3. Th. 9</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[129/0143]
gefallen war und vereinigte es wieder ſanft mit
dem Kelche, dann warf ſie durch das Fenſter einen
Kuß ihrem Wanderer nach und bat die Lüfte, den
Kuß ihm zuzubringen.
Sie ſtand auf und ging hin und her, denn ihr
Gemüth war zu ſehnſuchtsvoll und unruhig. Sie
wollte das grüne Särglein aus ihrem Buſen neh-
men, da rührte ſie mit ihrer Hand an die junge
Bruſt, und es überflog ſie bei dieſer Berührung
ein Schauer der Ehrfurcht vor ihr ſelbſt. Ihr
Leib kam ihr geheiligt vor, denn ſie war geliebt.
Aber nicht lange blieb ſie in dieſer erhabenen
Stimmung. Scherzender Jubel ergriff ſie. Sie
faßte ihre Schürze mit beiden Händen und machte
zu dem Schrei der Muſik da draußen für ſich ein
Tänzchen rund um das Zimmer. Dann fiel ihr
die Goldrolle wieder ein, welche ſie auf das Tiſch-
chen gelegt hatte. — Was ſein iſt, iſt mein, ich
muß doch ſehen, wie viel er geerbt hat! rief ſie.
Er hatte ihr geſagt, er ſei ein Förſter aus Schwa-
ben, der nach der hieſigen Gegend gereiſt ſei, um
eine Erbſchaft zu heben. Als ſie die Rolle öffnete,
ſah das Gold ſie mit blitzenden Augen an. Sie
zählte und zählte, das wollte für ſie kein Ende
Immermann’s Münchhauſen 3. Th. 9
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Immermann, Karl: Münchhausen. Bd. 3. Düsseldorf, 1839, S. 129. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_muenchhausen03_1839/143>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.