Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Immermann, Karl: Münchhausen. Bd. 2. Düsseldorf, 1839.

Bild:
<< vorherige Seite

Geschmeiß hin und wieder vernachlässigen lehrte,
und eine schlichte und unscheinbare Barmherzigkeit
zu einem glänzenden Geschäfte aufzublasen antrieb,
bei den Helikonierinnen entstanden war. Endlich
konnte ich mir das Räthsel erklären. Die heliko-
nische Heerde soff nämlich, wie wir wissen, aus
der Hippokrene. Diese Quelle wirkt nun bei
Allen, welche sie trinken, die gewaltigsten Dinge,
jedoch nur bei den durch das Schicksal dazu Vor-
bestimmten jenen reizenden Wahnsinn, den wir
kennen, bei Vielen dagegen versetzt sich das Wasser
und schafft entweder die abscheulichsten Würfel-
reime, wie bei mir der Fall war, so oft ich trank,
oder einen so zu sagen erhitzten und geschwollenen
Zustand im Handeln und Empfinden, den man
die blühende Prosa des Lebens nennen könnte.

Die helikonischen Ziegen gehörten nicht in die
Reihe der zum reizenden Wahnsinn Vorbestimmten.
Bei ihnen wirkte die Quelle den Drang zu unnö-
thigen Tugenden und überflüssigen Wohlthätigkeiten.
Ihr Zustand war blühende Prosa. Dieser Zustand
rührte von versetzter Hippokrene her.

Wie oft mußte ich, als ich nachmals mehr
unter Menschen kam, und ihre geschmacklosen Herr-

Geſchmeiß hin und wieder vernachläſſigen lehrte,
und eine ſchlichte und unſcheinbare Barmherzigkeit
zu einem glänzenden Geſchäfte aufzublaſen antrieb,
bei den Helikonierinnen entſtanden war. Endlich
konnte ich mir das Räthſel erklären. Die heliko-
niſche Heerde ſoff nämlich, wie wir wiſſen, aus
der Hippokrene. Dieſe Quelle wirkt nun bei
Allen, welche ſie trinken, die gewaltigſten Dinge,
jedoch nur bei den durch das Schickſal dazu Vor-
beſtimmten jenen reizenden Wahnſinn, den wir
kennen, bei Vielen dagegen verſetzt ſich das Waſſer
und ſchafft entweder die abſcheulichſten Würfel-
reime, wie bei mir der Fall war, ſo oft ich trank,
oder einen ſo zu ſagen erhitzten und geſchwollenen
Zuſtand im Handeln und Empfinden, den man
die blühende Proſa des Lebens nennen könnte.

Die helikoniſchen Ziegen gehörten nicht in die
Reihe der zum reizenden Wahnſinn Vorbeſtimmten.
Bei ihnen wirkte die Quelle den Drang zu unnö-
thigen Tugenden und überflüſſigen Wohlthätigkeiten.
Ihr Zuſtand war blühende Proſa. Dieſer Zuſtand
rührte von verſetzter Hippokrene her.

Wie oft mußte ich, als ich nachmals mehr
unter Menſchen kam, und ihre geſchmackloſen Herr-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0174" n="156"/>
Ge&#x017F;chmeiß hin und wieder vernachlä&#x017F;&#x017F;igen lehrte,<lb/>
und eine &#x017F;chlichte und un&#x017F;cheinbare Barmherzigkeit<lb/>
zu einem glänzenden Ge&#x017F;chäfte aufzubla&#x017F;en antrieb,<lb/>
bei den Helikonierinnen ent&#x017F;tanden war. Endlich<lb/>
konnte ich mir das Räth&#x017F;el erklären. Die heliko-<lb/>
ni&#x017F;che Heerde &#x017F;off nämlich, wie wir wi&#x017F;&#x017F;en, aus<lb/>
der Hippokrene. Die&#x017F;e Quelle wirkt nun bei<lb/>
Allen, welche &#x017F;ie trinken, die gewaltig&#x017F;ten Dinge,<lb/>
jedoch nur bei den durch das Schick&#x017F;al dazu Vor-<lb/>
be&#x017F;timmten jenen reizenden Wahn&#x017F;inn, den wir<lb/>
kennen, bei Vielen dagegen ver&#x017F;etzt &#x017F;ich das Wa&#x017F;&#x017F;er<lb/>
und &#x017F;chafft entweder die ab&#x017F;cheulich&#x017F;ten Würfel-<lb/>
reime, wie bei mir der Fall war, &#x017F;o oft ich trank,<lb/>
oder einen &#x017F;o zu &#x017F;agen erhitzten und ge&#x017F;chwollenen<lb/>
Zu&#x017F;tand im Handeln und Empfinden, den man<lb/>
die blühende Pro&#x017F;a des Lebens nennen könnte.</p><lb/>
          <p>Die helikoni&#x017F;chen Ziegen gehörten nicht in die<lb/>
Reihe der zum reizenden Wahn&#x017F;inn Vorbe&#x017F;timmten.<lb/>
Bei ihnen wirkte die Quelle den Drang zu unnö-<lb/>
thigen Tugenden und überflü&#x017F;&#x017F;igen Wohlthätigkeiten.<lb/>
Ihr Zu&#x017F;tand war blühende Pro&#x017F;a. Die&#x017F;er Zu&#x017F;tand<lb/>
rührte von ver&#x017F;etzter Hippokrene her.</p><lb/>
          <p>Wie oft mußte ich, als ich nachmals mehr<lb/>
unter Men&#x017F;chen kam, und ihre ge&#x017F;chmacklo&#x017F;en Herr-<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[156/0174] Geſchmeiß hin und wieder vernachläſſigen lehrte, und eine ſchlichte und unſcheinbare Barmherzigkeit zu einem glänzenden Geſchäfte aufzublaſen antrieb, bei den Helikonierinnen entſtanden war. Endlich konnte ich mir das Räthſel erklären. Die heliko- niſche Heerde ſoff nämlich, wie wir wiſſen, aus der Hippokrene. Dieſe Quelle wirkt nun bei Allen, welche ſie trinken, die gewaltigſten Dinge, jedoch nur bei den durch das Schickſal dazu Vor- beſtimmten jenen reizenden Wahnſinn, den wir kennen, bei Vielen dagegen verſetzt ſich das Waſſer und ſchafft entweder die abſcheulichſten Würfel- reime, wie bei mir der Fall war, ſo oft ich trank, oder einen ſo zu ſagen erhitzten und geſchwollenen Zuſtand im Handeln und Empfinden, den man die blühende Proſa des Lebens nennen könnte. Die helikoniſchen Ziegen gehörten nicht in die Reihe der zum reizenden Wahnſinn Vorbeſtimmten. Bei ihnen wirkte die Quelle den Drang zu unnö- thigen Tugenden und überflüſſigen Wohlthätigkeiten. Ihr Zuſtand war blühende Proſa. Dieſer Zuſtand rührte von verſetzter Hippokrene her. Wie oft mußte ich, als ich nachmals mehr unter Menſchen kam, und ihre geſchmackloſen Herr-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_muenchhausen02_1839
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_muenchhausen02_1839/174
Zitationshilfe: Immermann, Karl: Münchhausen. Bd. 2. Düsseldorf, 1839, S. 156. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_muenchhausen02_1839/174>, abgerufen am 23.12.2024.