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Immermann, Karl: Münchhausen. Bd. 2. Düsseldorf, 1839.

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einer Tübetischen Hochgebirgsziege. Dieses ferne
hohe Bild brachte in ihnen den Trieb der Nach-
eiferung hervor, ihre Pelze dünkten ihnen seit dem
Tage roh und gemein, sie verbanden sich, durch ein
Leben im höheren Sinne des Worts ihre Wolle
zu verfeinern und es wo möglich bis zu Kaschmir-
wolle zu bringen, denn der Pelz ist einer Ziege
das, was schönen Seelen ihr Gemüth ist.

Das Leben im höheren Sinne des Worts
konnte aber nur dadurch in das Werk gerichtet
werden, daß sie alle Gemeinschaft mit ihren Gatten
abbrachen und die Milch bei sich behielten. Diese
Schritte bedrohten nun die ganze Heerde mit dem
Untergange, und als die Seufzer der Gatten und
das Wimmern der Zicklein ihnen die Gefahr ein-
leuchtend gemacht hatten, so mußten sich die hoch-
herzigen Ziegen entschließen, dem schönen Unter-
nehmen zu entsagen; schmerzlich ergriffen, denn wie
es ihnen vorkam, war während der wenigen Tage,
wa Gatten und Kinder darbten, ihr Pelz schon
merklich feiner geworden.

Aus diesem Wolleverbesserungsvereine war der
Verein zur Linderung des Elendes leidender Na-
turwesen hervorgegangen, weil das höhere Selbst

einer Tübetiſchen Hochgebirgsziege. Dieſes ferne
hohe Bild brachte in ihnen den Trieb der Nach-
eiferung hervor, ihre Pelze dünkten ihnen ſeit dem
Tage roh und gemein, ſie verbanden ſich, durch ein
Leben im höheren Sinne des Worts ihre Wolle
zu verfeinern und es wo möglich bis zu Kaſchmir-
wolle zu bringen, denn der Pelz iſt einer Ziege
das, was ſchönen Seelen ihr Gemüth iſt.

Das Leben im höheren Sinne des Worts
konnte aber nur dadurch in das Werk gerichtet
werden, daß ſie alle Gemeinſchaft mit ihren Gatten
abbrachen und die Milch bei ſich behielten. Dieſe
Schritte bedrohten nun die ganze Heerde mit dem
Untergange, und als die Seufzer der Gatten und
das Wimmern der Zicklein ihnen die Gefahr ein-
leuchtend gemacht hatten, ſo mußten ſich die hoch-
herzigen Ziegen entſchließen, dem ſchönen Unter-
nehmen zu entſagen; ſchmerzlich ergriffen, denn wie
es ihnen vorkam, war während der wenigen Tage,
wa Gatten und Kinder darbten, ihr Pelz ſchon
merklich feiner geworden.

Aus dieſem Wolleverbeſſerungsvereine war der
Verein zur Linderung des Elendes leidender Na-
turweſen hervorgegangen, weil das höhere Selbſt

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[151/0169] einer Tübetiſchen Hochgebirgsziege. Dieſes ferne hohe Bild brachte in ihnen den Trieb der Nach- eiferung hervor, ihre Pelze dünkten ihnen ſeit dem Tage roh und gemein, ſie verbanden ſich, durch ein Leben im höheren Sinne des Worts ihre Wolle zu verfeinern und es wo möglich bis zu Kaſchmir- wolle zu bringen, denn der Pelz iſt einer Ziege das, was ſchönen Seelen ihr Gemüth iſt. Das Leben im höheren Sinne des Worts konnte aber nur dadurch in das Werk gerichtet werden, daß ſie alle Gemeinſchaft mit ihren Gatten abbrachen und die Milch bei ſich behielten. Dieſe Schritte bedrohten nun die ganze Heerde mit dem Untergange, und als die Seufzer der Gatten und das Wimmern der Zicklein ihnen die Gefahr ein- leuchtend gemacht hatten, ſo mußten ſich die hoch- herzigen Ziegen entſchließen, dem ſchönen Unter- nehmen zu entſagen; ſchmerzlich ergriffen, denn wie es ihnen vorkam, war während der wenigen Tage, wa Gatten und Kinder darbten, ihr Pelz ſchon merklich feiner geworden. Aus dieſem Wolleverbeſſerungsvereine war der Verein zur Linderung des Elendes leidender Na- turweſen hervorgegangen, weil das höhere Selbſt

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Zitationshilfe: Immermann, Karl: Münchhausen. Bd. 2. Düsseldorf, 1839, S. 151. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_muenchhausen02_1839/169>, abgerufen am 23.12.2024.