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Immermann, Karl: Münchhausen. Bd. 2. Düsseldorf, 1839.

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waren; mit einem Worte, denn wozu so viele?
Im Spiegel der Poesie sah ich mich als jungen,
wenigstens werdenden Bock.

Dahin also ist es gekommen! rief ich, und
suchte zu verzweifeln. Bist du' darum deinem
Vater so sauer geworden, darum aus seiner Tasche
gekrochen, um als Gehörnter und Beschweifter zu
enden? -- Denn die Musenquelle hatte mir außer
Allem, was ich beschrieben, auch an Stirn und
Rückgrat Keime gewiesen, welche mit den Jahren,
wenn das Wetter günstig war, zu Horn und Schweif
erblühen konnten.

Ich war sehr angegriffen und bedurfte der Stär-
kung, oder that es die Nüchternheit des Morgens?
genug, ich mußte fressen, und schälte einen der
Lorbeerbäume über der Hippokrene ab. Die bitter-
lich-herbe Rinde bekam mir wohl. Ich suchte jetzt
abermals zu verzweifeln, oder, da dieses nicht ge-
lingen wollte, mindestens mein Loos zu bejammern.
Auch das glückte nur zum Theil. Wie verstehe ich
das? fragte ich mich. Du hast deine Menschheit
zum größeren Theile eingebüßt und kannst keine
Verzweiflung, ja nicht einmal einen recht tüchtigen
Jammer zu Wege bringen?


waren; mit einem Worte, denn wozu ſo viele?
Im Spiegel der Poeſie ſah ich mich als jungen,
wenigſtens werdenden Bock.

Dahin alſo iſt es gekommen! rief ich, und
ſuchte zu verzweifeln. Biſt du’ darum deinem
Vater ſo ſauer geworden, darum aus ſeiner Taſche
gekrochen, um als Gehörnter und Beſchweifter zu
enden? — Denn die Muſenquelle hatte mir außer
Allem, was ich beſchrieben, auch an Stirn und
Rückgrat Keime gewieſen, welche mit den Jahren,
wenn das Wetter günſtig war, zu Horn und Schweif
erblühen konnten.

Ich war ſehr angegriffen und bedurfte der Stär-
kung, oder that es die Nüchternheit des Morgens?
genug, ich mußte freſſen, und ſchälte einen der
Lorbeerbäume über der Hippokrene ab. Die bitter-
lich-herbe Rinde bekam mir wohl. Ich ſuchte jetzt
abermals zu verzweifeln, oder, da dieſes nicht ge-
lingen wollte, mindeſtens mein Loos zu bejammern.
Auch das glückte nur zum Theil. Wie verſtehe ich
das? fragte ich mich. Du haſt deine Menſchheit
zum größeren Theile eingebüßt und kannſt keine
Verzweiflung, ja nicht einmal einen recht tüchtigen
Jammer zu Wege bringen?


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[144/0162] waren; mit einem Worte, denn wozu ſo viele? Im Spiegel der Poeſie ſah ich mich als jungen, wenigſtens werdenden Bock. Dahin alſo iſt es gekommen! rief ich, und ſuchte zu verzweifeln. Biſt du’ darum deinem Vater ſo ſauer geworden, darum aus ſeiner Taſche gekrochen, um als Gehörnter und Beſchweifter zu enden? — Denn die Muſenquelle hatte mir außer Allem, was ich beſchrieben, auch an Stirn und Rückgrat Keime gewieſen, welche mit den Jahren, wenn das Wetter günſtig war, zu Horn und Schweif erblühen konnten. Ich war ſehr angegriffen und bedurfte der Stär- kung, oder that es die Nüchternheit des Morgens? genug, ich mußte freſſen, und ſchälte einen der Lorbeerbäume über der Hippokrene ab. Die bitter- lich-herbe Rinde bekam mir wohl. Ich ſuchte jetzt abermals zu verzweifeln, oder, da dieſes nicht ge- lingen wollte, mindeſtens mein Loos zu bejammern. Auch das glückte nur zum Theil. Wie verſtehe ich das? fragte ich mich. Du haſt deine Menſchheit zum größeren Theile eingebüßt und kannſt keine Verzweiflung, ja nicht einmal einen recht tüchtigen Jammer zu Wege bringen?

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Zitationshilfe: Immermann, Karl: Münchhausen. Bd. 2. Düsseldorf, 1839, S. 144. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_muenchhausen02_1839/162>, abgerufen am 27.04.2024.