Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Immermann, Karl: Münchhausen. Bd. 2. Düsseldorf, 1839.

Bild:
<< vorherige Seite

denn Alles hatte aus ihm getrunken; selbst die
Gräser, Blumen, Büsche, Bäume, welche das
schäumende und doch so ruhige Naß benetzte, oder
auch nur mit seinem feinem Dufte erreichte, stan-
den stolzer und vornehmer da, als die Gewächse der
Fläche. Wenn der Alpenhauch ihre Spitzen und
Kronen rührte, beschrieben die Stengel und Zweige
schöne, dem Auge wohlthuende Linien in den Lüften.
So war Jegliches da droben verfeinert, abgeklärt
und selbst im Kräftigen zart; Scheltworte, zu denen
etwa einmal Eines gegen das Andere sich vergaß,
adelten die Winde des Helikon in zierliche Epi-
gramme um; dieses war, was die Nähe bot, die
Ferne aber zeigte auch nur Erhabenes: Die göttli-
chen Häupter des Pindus, Parnassus und Kithäron.

Mittags rasteten wir gewöhnlich auf einer son-
nigen Halde. Dann kamen die Gatten der Ziegen
zu einem kurzen, aber traulichen Besuche. Sie be-
wohnten eine andere Felsengrotte an der entgegen-
gesetzten Seite des Berges und führten eine abge-
sonderte Wirthschaft, denn zwischen beiden Geschlech-
tern bestanden hier die edelsten und keuschesten
Verhältnisse. Dann begannen die gymnischen
Spiele der Jugend, welchen nur in dem niedern

denn Alles hatte aus ihm getrunken; ſelbſt die
Gräſer, Blumen, Büſche, Bäume, welche das
ſchäumende und doch ſo ruhige Naß benetzte, oder
auch nur mit ſeinem feinem Dufte erreichte, ſtan-
den ſtolzer und vornehmer da, als die Gewächſe der
Fläche. Wenn der Alpenhauch ihre Spitzen und
Kronen rührte, beſchrieben die Stengel und Zweige
ſchöne, dem Auge wohlthuende Linien in den Lüften.
So war Jegliches da droben verfeinert, abgeklärt
und ſelbſt im Kräftigen zart; Scheltworte, zu denen
etwa einmal Eines gegen das Andere ſich vergaß,
adelten die Winde des Helikon in zierliche Epi-
gramme um; dieſes war, was die Nähe bot, die
Ferne aber zeigte auch nur Erhabenes: Die göttli-
chen Häupter des Pindus, Parnaſſus und Kithäron.

Mittags raſteten wir gewöhnlich auf einer ſon-
nigen Halde. Dann kamen die Gatten der Ziegen
zu einem kurzen, aber traulichen Beſuche. Sie be-
wohnten eine andere Felſengrotte an der entgegen-
geſetzten Seite des Berges und führten eine abge-
ſonderte Wirthſchaft, denn zwiſchen beiden Geſchlech-
tern beſtanden hier die edelſten und keuſcheſten
Verhältniſſe. Dann begannen die gymniſchen
Spiele der Jugend, welchen nur in dem niedern

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0155" n="137"/>
denn Alles hatte aus ihm getrunken; &#x017F;elb&#x017F;t die<lb/>
Grä&#x017F;er, Blumen, Bü&#x017F;che, Bäume, welche das<lb/>
&#x017F;chäumende und doch &#x017F;o ruhige Naß benetzte, oder<lb/>
auch nur mit &#x017F;einem feinem Dufte erreichte, &#x017F;tan-<lb/>
den &#x017F;tolzer und vornehmer da, als die Gewäch&#x017F;e der<lb/>
Fläche. Wenn der Alpenhauch ihre Spitzen und<lb/>
Kronen rührte, be&#x017F;chrieben die Stengel und Zweige<lb/>
&#x017F;chöne, dem Auge wohlthuende Linien in den Lüften.<lb/>
So war Jegliches da droben verfeinert, abgeklärt<lb/>
und &#x017F;elb&#x017F;t im Kräftigen zart; Scheltworte, zu denen<lb/>
etwa einmal Eines gegen das Andere &#x017F;ich vergaß,<lb/>
adelten die Winde des Helikon in zierliche Epi-<lb/>
gramme um; die&#x017F;es war, was die Nähe bot, die<lb/>
Ferne aber zeigte auch nur Erhabenes: Die göttli-<lb/>
chen Häupter des Pindus, Parna&#x017F;&#x017F;us und Kithäron.</p><lb/>
          <p>Mittags ra&#x017F;teten wir gewöhnlich auf einer &#x017F;on-<lb/>
nigen Halde. Dann kamen die Gatten der Ziegen<lb/>
zu einem kurzen, aber traulichen Be&#x017F;uche. Sie be-<lb/>
wohnten eine andere Fel&#x017F;engrotte an der entgegen-<lb/>
ge&#x017F;etzten Seite des Berges und führten eine abge-<lb/>
&#x017F;onderte Wirth&#x017F;chaft, denn zwi&#x017F;chen beiden Ge&#x017F;chlech-<lb/>
tern be&#x017F;tanden hier die edel&#x017F;ten und keu&#x017F;che&#x017F;ten<lb/>
Verhältni&#x017F;&#x017F;e. Dann begannen die gymni&#x017F;chen<lb/>
Spiele der Jugend, welchen nur in dem niedern<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[137/0155] denn Alles hatte aus ihm getrunken; ſelbſt die Gräſer, Blumen, Büſche, Bäume, welche das ſchäumende und doch ſo ruhige Naß benetzte, oder auch nur mit ſeinem feinem Dufte erreichte, ſtan- den ſtolzer und vornehmer da, als die Gewächſe der Fläche. Wenn der Alpenhauch ihre Spitzen und Kronen rührte, beſchrieben die Stengel und Zweige ſchöne, dem Auge wohlthuende Linien in den Lüften. So war Jegliches da droben verfeinert, abgeklärt und ſelbſt im Kräftigen zart; Scheltworte, zu denen etwa einmal Eines gegen das Andere ſich vergaß, adelten die Winde des Helikon in zierliche Epi- gramme um; dieſes war, was die Nähe bot, die Ferne aber zeigte auch nur Erhabenes: Die göttli- chen Häupter des Pindus, Parnaſſus und Kithäron. Mittags raſteten wir gewöhnlich auf einer ſon- nigen Halde. Dann kamen die Gatten der Ziegen zu einem kurzen, aber traulichen Beſuche. Sie be- wohnten eine andere Felſengrotte an der entgegen- geſetzten Seite des Berges und führten eine abge- ſonderte Wirthſchaft, denn zwiſchen beiden Geſchlech- tern beſtanden hier die edelſten und keuſcheſten Verhältniſſe. Dann begannen die gymniſchen Spiele der Jugend, welchen nur in dem niedern

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_muenchhausen02_1839
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_muenchhausen02_1839/155
Zitationshilfe: Immermann, Karl: Münchhausen. Bd. 2. Düsseldorf, 1839, S. 137. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_muenchhausen02_1839/155>, abgerufen am 28.04.2024.