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Immermann, Karl: Münchhausen. Bd. 2. Düsseldorf, 1839.

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Ich war, man sieht es hieraus, über meine
Jahre gereift. Der Geier kehrte sich aber an meine
Reden nicht, sondern flog und flog.

Ein Blitz, ein Knall, ein Fall! Aus unermeß-
licher Höhe stürze ich hinab; mir vergeht Hören
und Sehen. Als ich von meiner Betäubung er-
wache, liege ich weich gebettet, und ohne daß mich
eines meiner Glieder schmerzt. Ich sehe mich auf
dieser Lagerstätte um; sie ist ein Carbonaro-Mantel
von blauem Tuch, ausgespannt zwischen zwei Ta-
marisken. Ein langer, bleicher Mann steht neben
den Bäumen, die abgeschossene Percussionsflinte in
der Hand, der fürchterliche Geier liegt einige Schritte
davon blutig am Boden, schlägt mit den Flügeln
und zuckt und schnappt in letzten Zügen. Etwas
weiterhin graset, abgezäumt, ein Reitpferd.

I killed the vulture, sagte der großmüthige
Britte nachdenklich, hob mich vom Carbonaroman-
tel herunter, hielt mir seine Hand zum Kusse hin
und fuhr gleichgültig fort: Yon shall stand in-
debted for it all your life, Sir. Adieu.

Er zäumte sein Pferd auf, schlug den Carbo-
naro malerisch um die Schultern, bestieg den Klep-
per und ritt fort. Um Gotteswillen, Mylord,

Ich war, man ſieht es hieraus, über meine
Jahre gereift. Der Geier kehrte ſich aber an meine
Reden nicht, ſondern flog und flog.

Ein Blitz, ein Knall, ein Fall! Aus unermeß-
licher Höhe ſtürze ich hinab; mir vergeht Hören
und Sehen. Als ich von meiner Betäubung er-
wache, liege ich weich gebettet, und ohne daß mich
eines meiner Glieder ſchmerzt. Ich ſehe mich auf
dieſer Lagerſtätte um; ſie iſt ein Carbonaro-Mantel
von blauem Tuch, ausgeſpannt zwiſchen zwei Ta-
marisken. Ein langer, bleicher Mann ſteht neben
den Bäumen, die abgeſchoſſene Percuſſionsflinte in
der Hand, der fürchterliche Geier liegt einige Schritte
davon blutig am Boden, ſchlägt mit den Flügeln
und zuckt und ſchnappt in letzten Zügen. Etwas
weiterhin graſet, abgezäumt, ein Reitpferd.

I killed the vulture, ſagte der großmüthige
Britte nachdenklich, hob mich vom Carbonaroman-
tel herunter, hielt mir ſeine Hand zum Kuſſe hin
und fuhr gleichgültig fort: Yon shall stand in-
debted for it all your life, Sir. Adieu.

Er zäumte ſein Pferd auf, ſchlug den Carbo-
naro maleriſch um die Schultern, beſtieg den Klep-
per und ritt fort. Um Gotteswillen, Mylord,

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[118/0136] Ich war, man ſieht es hieraus, über meine Jahre gereift. Der Geier kehrte ſich aber an meine Reden nicht, ſondern flog und flog. Ein Blitz, ein Knall, ein Fall! Aus unermeß- licher Höhe ſtürze ich hinab; mir vergeht Hören und Sehen. Als ich von meiner Betäubung er- wache, liege ich weich gebettet, und ohne daß mich eines meiner Glieder ſchmerzt. Ich ſehe mich auf dieſer Lagerſtätte um; ſie iſt ein Carbonaro-Mantel von blauem Tuch, ausgeſpannt zwiſchen zwei Ta- marisken. Ein langer, bleicher Mann ſteht neben den Bäumen, die abgeſchoſſene Percuſſionsflinte in der Hand, der fürchterliche Geier liegt einige Schritte davon blutig am Boden, ſchlägt mit den Flügeln und zuckt und ſchnappt in letzten Zügen. Etwas weiterhin graſet, abgezäumt, ein Reitpferd. I killed the vulture, ſagte der großmüthige Britte nachdenklich, hob mich vom Carbonaroman- tel herunter, hielt mir ſeine Hand zum Kuſſe hin und fuhr gleichgültig fort: Yon shall stand in- debted for it all your life, Sir. Adieu. Er zäumte ſein Pferd auf, ſchlug den Carbo- naro maleriſch um die Schultern, beſtieg den Klep- per und ritt fort. Um Gotteswillen, Mylord,

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Zitationshilfe: Immermann, Karl: Münchhausen. Bd. 2. Düsseldorf, 1839, S. 118. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_muenchhausen02_1839/136>, abgerufen am 28.11.2024.