Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Immermann, Karl: Münchhausen. Bd. 2. Düsseldorf, 1839.

Bild:
<< vorherige Seite

denkbar war. Diesesmal übermannte ihn aber seine
Begeisterung, er schlug unter Interjectionen die
Hände über dem Kopfe zusammen, und ich benutzte
den Augenblick, um aus der Tasche zu schlüpfen.
Da sah ich um mich, da athmete ich, da ward mir
wohl nach langer Kerkerhaft. Ich kroch, ging,
stolperte, lief ein wenig, wie es eben glücken wollte,
während mein Vater seine Rede an Sonne und
Meer fortsetzte. Ich war eben in der Furcht vor
Schlägen auf dem Rückwege nach der Tasche --
denn mein Vater züchtigte mich ungeachtet aller
Liebe sehr oft in der empfindlichsten Art -- als das
Verhängniß mit mir die wunderlichen Spiele begann,
welche sich so lange fortsetzen und mir die eigen-
thümlichsten Erfahrungen geben sollten.

Plötzlich fühle ich mich nämlich von einem gro-
ßen, dunkeln Etwas überschattet, höre einen Lärmen,
wie wenn ein Baum knattert und fällt, fühle ein
rauhes Gefieder und zwei scharfe Krallen an meinem
Leibe, sehe mich pfeilschnell erfaßt, in die Lüfte
geführt, wolkenhoch emporgetragen. Mit Entsetzen
erkenne ich mein Loos, und rufe mir zu: Du bist
in den Fängen eines Lämmergeiers, du armer,
deinem Vater so sauer gewordener Wurm! Warum,

denkbar war. Dieſesmal übermannte ihn aber ſeine
Begeiſterung, er ſchlug unter Interjectionen die
Hände über dem Kopfe zuſammen, und ich benutzte
den Augenblick, um aus der Taſche zu ſchlüpfen.
Da ſah ich um mich, da athmete ich, da ward mir
wohl nach langer Kerkerhaft. Ich kroch, ging,
ſtolperte, lief ein wenig, wie es eben glücken wollte,
während mein Vater ſeine Rede an Sonne und
Meer fortſetzte. Ich war eben in der Furcht vor
Schlägen auf dem Rückwege nach der Taſche —
denn mein Vater züchtigte mich ungeachtet aller
Liebe ſehr oft in der empfindlichſten Art — als das
Verhängniß mit mir die wunderlichen Spiele begann,
welche ſich ſo lange fortſetzen und mir die eigen-
thümlichſten Erfahrungen geben ſollten.

Plötzlich fühle ich mich nämlich von einem gro-
ßen, dunkeln Etwas überſchattet, höre einen Lärmen,
wie wenn ein Baum knattert und fällt, fühle ein
rauhes Gefieder und zwei ſcharfe Krallen an meinem
Leibe, ſehe mich pfeilſchnell erfaßt, in die Lüfte
geführt, wolkenhoch emporgetragen. Mit Entſetzen
erkenne ich mein Loos, und rufe mir zu: Du biſt
in den Fängen eines Lämmergeiers, du armer,
deinem Vater ſo ſauer gewordener Wurm! Warum,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0134" n="116"/>
denkbar war. Die&#x017F;esmal übermannte ihn aber &#x017F;eine<lb/>
Begei&#x017F;terung, er &#x017F;chlug unter Interjectionen die<lb/>
Hände über dem Kopfe zu&#x017F;ammen, und ich benutzte<lb/>
den Augenblick, um aus der Ta&#x017F;che zu &#x017F;chlüpfen.<lb/>
Da &#x017F;ah ich um mich, da athmete ich, da ward mir<lb/>
wohl nach langer Kerkerhaft. Ich kroch, ging,<lb/>
&#x017F;tolperte, lief ein wenig, wie es eben glücken wollte,<lb/>
während mein Vater &#x017F;eine Rede an Sonne und<lb/>
Meer fort&#x017F;etzte. Ich war eben in der Furcht vor<lb/>
Schlägen auf dem Rückwege nach der Ta&#x017F;che &#x2014;<lb/>
denn mein Vater züchtigte mich ungeachtet aller<lb/>
Liebe &#x017F;ehr oft in der empfindlich&#x017F;ten Art &#x2014; als das<lb/>
Verhängniß mit mir die wunderlichen Spiele begann,<lb/>
welche &#x017F;ich &#x017F;o lange fort&#x017F;etzen und mir die eigen-<lb/>
thümlich&#x017F;ten Erfahrungen geben &#x017F;ollten.</p><lb/>
          <p>Plötzlich fühle ich mich nämlich von einem gro-<lb/>
ßen, dunkeln Etwas über&#x017F;chattet, höre einen Lärmen,<lb/>
wie wenn ein Baum knattert und fällt, fühle ein<lb/>
rauhes Gefieder und zwei &#x017F;charfe Krallen an meinem<lb/>
Leibe, &#x017F;ehe mich pfeil&#x017F;chnell erfaßt, in die Lüfte<lb/>
geführt, wolkenhoch emporgetragen. Mit Ent&#x017F;etzen<lb/>
erkenne ich mein Loos, und rufe mir zu: Du bi&#x017F;t<lb/>
in den Fängen eines Lämmergeiers, du armer,<lb/>
deinem Vater &#x017F;o &#x017F;auer gewordener Wurm! Warum,<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[116/0134] denkbar war. Dieſesmal übermannte ihn aber ſeine Begeiſterung, er ſchlug unter Interjectionen die Hände über dem Kopfe zuſammen, und ich benutzte den Augenblick, um aus der Taſche zu ſchlüpfen. Da ſah ich um mich, da athmete ich, da ward mir wohl nach langer Kerkerhaft. Ich kroch, ging, ſtolperte, lief ein wenig, wie es eben glücken wollte, während mein Vater ſeine Rede an Sonne und Meer fortſetzte. Ich war eben in der Furcht vor Schlägen auf dem Rückwege nach der Taſche — denn mein Vater züchtigte mich ungeachtet aller Liebe ſehr oft in der empfindlichſten Art — als das Verhängniß mit mir die wunderlichen Spiele begann, welche ſich ſo lange fortſetzen und mir die eigen- thümlichſten Erfahrungen geben ſollten. Plötzlich fühle ich mich nämlich von einem gro- ßen, dunkeln Etwas überſchattet, höre einen Lärmen, wie wenn ein Baum knattert und fällt, fühle ein rauhes Gefieder und zwei ſcharfe Krallen an meinem Leibe, ſehe mich pfeilſchnell erfaßt, in die Lüfte geführt, wolkenhoch emporgetragen. Mit Entſetzen erkenne ich mein Loos, und rufe mir zu: Du biſt in den Fängen eines Lämmergeiers, du armer, deinem Vater ſo ſauer gewordener Wurm! Warum,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_muenchhausen02_1839
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_muenchhausen02_1839/134
Zitationshilfe: Immermann, Karl: Münchhausen. Bd. 2. Düsseldorf, 1839, S. 116. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_muenchhausen02_1839/134>, abgerufen am 28.11.2024.