Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Immermann, Karl: Münchhausen. Bd. 1. Düsseldorf, 1838.

Bild:
<< vorherige Seite

nung verschwunden, und wo fand man ihn wie-
der? In irgend einer der Gerbereien, welche dem
Städtchen die Hauptnahrung gaben. Ja, einmal
war er, kecken Jugendmuthes voll, selbst in eine
Lohgrube gesprungen, um zu versuchen, ob er nicht
noch lebend seine Haut in den so heiß verehrten
Zustand bringen möchte; leider zog man ihn zu
früh heraus, als die Ledrification erst halb vor
sich gegangen war. Unentwickelt blieb demnach der
höhere Zustand seiner Bedeckungen, indessen woll-
ten die Kundigen versichern, er habe nach jenem Ver-
suche denn doch immerdar ein dickes Fell behalten.

O Ihr Väter und Erzieher, die Ihr die hei-
lige Aufgabe habt, die Keime der Euch anvertrau-
ten Pflanzen in die Blüthe zu fordern, hieher
tretet, und lernt an einem furchtbaren Beispiele
vor den Folgen schaudern, wenn Ihr die Stimme
der Natur mißachtet, und die Gerte, welche rechts
hinaus wachsen will, links hinüber zwingt. Nicht
allein macht Ihr den Baum zum brandigen Krüppel,
nein! er wird auch seine Nebenstämme anstecken,
das Ungeziefer, welches die krankende Krone aus-
brütet, wird die Verwüstung viel weiter tragen,
als Ihr ahnen und berechnen könnt!


nung verſchwunden, und wo fand man ihn wie-
der? In irgend einer der Gerbereien, welche dem
Städtchen die Hauptnahrung gaben. Ja, einmal
war er, kecken Jugendmuthes voll, ſelbſt in eine
Lohgrube geſprungen, um zu verſuchen, ob er nicht
noch lebend ſeine Haut in den ſo heiß verehrten
Zuſtand bringen möchte; leider zog man ihn zu
früh heraus, als die Ledrification erſt halb vor
ſich gegangen war. Unentwickelt blieb demnach der
höhere Zuſtand ſeiner Bedeckungen, indeſſen woll-
ten die Kundigen verſichern, er habe nach jenem Ver-
ſuche denn doch immerdar ein dickes Fell behalten.

O Ihr Väter und Erzieher, die Ihr die hei-
lige Aufgabe habt, die Keime der Euch anvertrau-
ten Pflanzen in die Blüthe zu fordern, hieher
tretet, und lernt an einem furchtbaren Beiſpiele
vor den Folgen ſchaudern, wenn Ihr die Stimme
der Natur mißachtet, und die Gerte, welche rechts
hinaus wachſen will, links hinüber zwingt. Nicht
allein macht Ihr den Baum zum brandigen Krüppel,
nein! er wird auch ſeine Nebenſtämme anſtecken,
das Ungeziefer, welches die krankende Krone aus-
brütet, wird die Verwüſtung viel weiter tragen,
als Ihr ahnen und berechnen könnt!


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0053" n="45"/>
nung ver&#x017F;chwunden, und wo fand man ihn wie-<lb/>
der? In irgend einer der Gerbereien, welche dem<lb/>
Städtchen die Hauptnahrung gaben. Ja, einmal<lb/>
war er, kecken Jugendmuthes voll, &#x017F;elb&#x017F;t in eine<lb/>
Lohgrube ge&#x017F;prungen, um zu ver&#x017F;uchen, ob er nicht<lb/>
noch lebend &#x017F;eine Haut in den &#x017F;o heiß verehrten<lb/>
Zu&#x017F;tand bringen möchte; leider zog man ihn zu<lb/>
früh heraus, als die Ledrification er&#x017F;t halb vor<lb/>
&#x017F;ich gegangen war. Unentwickelt blieb demnach der<lb/>
höhere Zu&#x017F;tand &#x017F;einer Bedeckungen, inde&#x017F;&#x017F;en woll-<lb/>
ten die Kundigen ver&#x017F;ichern, er habe nach jenem Ver-<lb/>
&#x017F;uche denn doch immerdar ein dickes Fell behalten.</p><lb/>
          <p>O Ihr Väter und Erzieher, die Ihr die hei-<lb/>
lige Aufgabe habt, die Keime der Euch anvertrau-<lb/>
ten Pflanzen in die Blüthe zu fordern, hieher<lb/>
tretet, und lernt an einem furchtbaren Bei&#x017F;piele<lb/>
vor den Folgen &#x017F;chaudern, wenn Ihr die Stimme<lb/>
der Natur mißachtet, und die Gerte, welche rechts<lb/>
hinaus wach&#x017F;en will, links hinüber zwingt. Nicht<lb/>
allein macht Ihr den Baum zum brandigen Krüppel,<lb/>
nein! er wird auch &#x017F;eine Neben&#x017F;tämme an&#x017F;tecken,<lb/>
das Ungeziefer, welches die krankende Krone aus-<lb/>
brütet, wird die Verwü&#x017F;tung viel weiter tragen,<lb/>
als Ihr ahnen und berechnen könnt!</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[45/0053] nung verſchwunden, und wo fand man ihn wie- der? In irgend einer der Gerbereien, welche dem Städtchen die Hauptnahrung gaben. Ja, einmal war er, kecken Jugendmuthes voll, ſelbſt in eine Lohgrube geſprungen, um zu verſuchen, ob er nicht noch lebend ſeine Haut in den ſo heiß verehrten Zuſtand bringen möchte; leider zog man ihn zu früh heraus, als die Ledrification erſt halb vor ſich gegangen war. Unentwickelt blieb demnach der höhere Zuſtand ſeiner Bedeckungen, indeſſen woll- ten die Kundigen verſichern, er habe nach jenem Ver- ſuche denn doch immerdar ein dickes Fell behalten. O Ihr Väter und Erzieher, die Ihr die hei- lige Aufgabe habt, die Keime der Euch anvertrau- ten Pflanzen in die Blüthe zu fordern, hieher tretet, und lernt an einem furchtbaren Beiſpiele vor den Folgen ſchaudern, wenn Ihr die Stimme der Natur mißachtet, und die Gerte, welche rechts hinaus wachſen will, links hinüber zwingt. Nicht allein macht Ihr den Baum zum brandigen Krüppel, nein! er wird auch ſeine Nebenſtämme anſtecken, das Ungeziefer, welches die krankende Krone aus- brütet, wird die Verwüſtung viel weiter tragen, als Ihr ahnen und berechnen könnt!

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_muenchhausen01_1838
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_muenchhausen01_1838/53
Zitationshilfe: Immermann, Karl: Münchhausen. Bd. 1. Düsseldorf, 1838, S. 45. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_muenchhausen01_1838/53>, abgerufen am 21.05.2024.