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Immermann, Karl: Münchhausen. Bd. 1. Düsseldorf, 1838.

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Meine Mutter hatte sich mit meinem Vater
erst nach einem trauer- und thränenvollen Braut-
stande verbinden dürfen. Die Verwandten und
viele Umstände waren gegen die Heirath gewesen,
indessen hatte die Liebe, welche Beide zu einander
trugen, doch endlich obzusiegen gewußt, und die
Ringe durften gewechselt werden. Die Folge jenes
langen Hinderns und Zurückhaltens war nicht, wie
es oft zu geschehen pflegt, ein rasches Erkalten
nach gewonnenem Besitze, sondern eine äußerst zärt-
liche Ehe gewesen, so daß also in diesem Falle der
Wunsch der Leidenschaft sein Recht darwies. Noch
in jetzigen Tagen erzählen bejahrte Leute, welche
meine Eltern in den ersten Jahren ihrer Ehe gekannt
haben, von dem schönen Paare, das immerfort
wie Liebhaber und Geliebte mit einander umgegan-
gen sei. Die Zärtlichkeit meiner Mutter äußerte
sich nun auch in einer Sorge um das Leben und
die Gesundheit des Vaters, welche freilich oft in
das Uebertriebene ging. Blieb er von einem Spa-
ziergange oder einem Besuche in der Nachbarschaft
einige Minuten über die bestimmte Zeit aus, so
schickte sie ängstlich nach ihm; war seine Farbe
nicht ganz so munter, wie gewöhnlich, gleich fürch-

Meine Mutter hatte ſich mit meinem Vater
erſt nach einem trauer- und thränenvollen Braut-
ſtande verbinden dürfen. Die Verwandten und
viele Umſtände waren gegen die Heirath geweſen,
indeſſen hatte die Liebe, welche Beide zu einander
trugen, doch endlich obzuſiegen gewußt, und die
Ringe durften gewechſelt werden. Die Folge jenes
langen Hinderns und Zurückhaltens war nicht, wie
es oft zu geſchehen pflegt, ein raſches Erkalten
nach gewonnenem Beſitze, ſondern eine äußerſt zärt-
liche Ehe geweſen, ſo daß alſo in dieſem Falle der
Wunſch der Leidenſchaft ſein Recht darwies. Noch
in jetzigen Tagen erzählen bejahrte Leute, welche
meine Eltern in den erſten Jahren ihrer Ehe gekannt
haben, von dem ſchönen Paare, das immerfort
wie Liebhaber und Geliebte mit einander umgegan-
gen ſei. Die Zärtlichkeit meiner Mutter äußerte
ſich nun auch in einer Sorge um das Leben und
die Geſundheit des Vaters, welche freilich oft in
das Uebertriebene ging. Blieb er von einem Spa-
ziergange oder einem Beſuche in der Nachbarſchaft
einige Minuten über die beſtimmte Zeit aus, ſo
ſchickte ſie ängſtlich nach ihm; war ſeine Farbe
nicht ganz ſo munter, wie gewöhnlich, gleich fürch-

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[352/0360] Meine Mutter hatte ſich mit meinem Vater erſt nach einem trauer- und thränenvollen Braut- ſtande verbinden dürfen. Die Verwandten und viele Umſtände waren gegen die Heirath geweſen, indeſſen hatte die Liebe, welche Beide zu einander trugen, doch endlich obzuſiegen gewußt, und die Ringe durften gewechſelt werden. Die Folge jenes langen Hinderns und Zurückhaltens war nicht, wie es oft zu geſchehen pflegt, ein raſches Erkalten nach gewonnenem Beſitze, ſondern eine äußerſt zärt- liche Ehe geweſen, ſo daß alſo in dieſem Falle der Wunſch der Leidenſchaft ſein Recht darwies. Noch in jetzigen Tagen erzählen bejahrte Leute, welche meine Eltern in den erſten Jahren ihrer Ehe gekannt haben, von dem ſchönen Paare, das immerfort wie Liebhaber und Geliebte mit einander umgegan- gen ſei. Die Zärtlichkeit meiner Mutter äußerte ſich nun auch in einer Sorge um das Leben und die Geſundheit des Vaters, welche freilich oft in das Uebertriebene ging. Blieb er von einem Spa- ziergange oder einem Beſuche in der Nachbarſchaft einige Minuten über die beſtimmte Zeit aus, ſo ſchickte ſie ängſtlich nach ihm; war ſeine Farbe nicht ganz ſo munter, wie gewöhnlich, gleich fürch-

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Zitationshilfe: Immermann, Karl: Münchhausen. Bd. 1. Düsseldorf, 1838, S. 352. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_muenchhausen01_1838/360>, abgerufen am 25.11.2024.