Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Immermann, Karl: Münchhausen. Bd. 1. Düsseldorf, 1838.

Bild:
<< vorherige Seite

klares Bewußtseyn gewesen; alle Seelenkräfte lagen
gesondert in mir, wie die Species in den Büchsen
einer Apotheke, ich habe Tage erlebt, an welchen
ich zugleich mit dem Verstande Schlußfolgerungen
machte, mir von der Phantasie goldene Luftschlösser
vormalen ließ, und in unbestimmten Gefühlen
schwelgte. So gelang es mir denn auch, den
mächtigsten Affect, der den Menschen sonst überfällt,
wie ein Feuer bei Nacht, aus seinen Bestandtheilen
in mir aufzuerbauen, und mich auf die eigentliche
Hauptleidenschaft meines Lebens förmlich vorzu-
bereiten. Ich war in die Entwickelungsjahre ge-
treten, und hatte mir klar gemacht, daß die Liebe
aus Sinnlichkeit, Geist, Empfindung und Phantasie,
Selbstsucht und Hingebung bestehe. Also sechs
Elemente, die ich nach und nach in mir durchzu-
arbeiten versuchen mußte.

Ich hielt mich damals, in diesem Theile meiner
wunderlich umhergeworfenen Jugend im Pallaste
eines fränkischen Prälaten auf, der bei der gewalt-
samen Umkehrung der dortigen Verhältnisse die
Prälatur verloren, die Einkünfte derselben jedoch
zum größeren Theile behalten hatte, und daher
noch immer seine Tage in Wohlleben hinbringen

klares Bewußtſeyn geweſen; alle Seelenkräfte lagen
geſondert in mir, wie die Species in den Büchſen
einer Apotheke, ich habe Tage erlebt, an welchen
ich zugleich mit dem Verſtande Schlußfolgerungen
machte, mir von der Phantaſie goldene Luftſchlöſſer
vormalen ließ, und in unbeſtimmten Gefühlen
ſchwelgte. So gelang es mir denn auch, den
mächtigſten Affect, der den Menſchen ſonſt überfällt,
wie ein Feuer bei Nacht, aus ſeinen Beſtandtheilen
in mir aufzuerbauen, und mich auf die eigentliche
Hauptleidenſchaft meines Lebens förmlich vorzu-
bereiten. Ich war in die Entwickelungsjahre ge-
treten, und hatte mir klar gemacht, daß die Liebe
aus Sinnlichkeit, Geiſt, Empfindung und Phantaſie,
Selbſtſucht und Hingebung beſtehe. Alſo ſechs
Elemente, die ich nach und nach in mir durchzu-
arbeiten verſuchen mußte.

Ich hielt mich damals, in dieſem Theile meiner
wunderlich umhergeworfenen Jugend im Pallaſte
eines fränkiſchen Prälaten auf, der bei der gewalt-
ſamen Umkehrung der dortigen Verhältniſſe die
Prälatur verloren, die Einkünfte derſelben jedoch
zum größeren Theile behalten hatte, und daher
noch immer ſeine Tage in Wohlleben hinbringen

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0228" n="220"/>
klares Bewußt&#x017F;eyn gewe&#x017F;en; alle Seelenkräfte lagen<lb/>
ge&#x017F;ondert in mir, wie die Species in den Büch&#x017F;en<lb/>
einer Apotheke, ich habe Tage erlebt, an welchen<lb/>
ich zugleich mit dem Ver&#x017F;tande Schlußfolgerungen<lb/>
machte, mir von der Phanta&#x017F;ie goldene Luft&#x017F;chlö&#x017F;&#x017F;er<lb/>
vormalen ließ, und in unbe&#x017F;timmten Gefühlen<lb/>
&#x017F;chwelgte. So gelang es mir denn auch, den<lb/>
mächtig&#x017F;ten Affect, der den Men&#x017F;chen &#x017F;on&#x017F;t überfällt,<lb/>
wie ein Feuer bei Nacht, aus &#x017F;einen Be&#x017F;tandtheilen<lb/>
in mir aufzuerbauen, und mich auf die eigentliche<lb/>
Hauptleiden&#x017F;chaft meines Lebens förmlich vorzu-<lb/>
bereiten. Ich war in die Entwickelungsjahre ge-<lb/>
treten, und hatte mir klar gemacht, daß die Liebe<lb/>
aus Sinnlichkeit, Gei&#x017F;t, Empfindung und Phanta&#x017F;ie,<lb/>
Selb&#x017F;t&#x017F;ucht und Hingebung be&#x017F;tehe. Al&#x017F;o &#x017F;echs<lb/>
Elemente, die ich nach und nach in mir durchzu-<lb/>
arbeiten ver&#x017F;uchen mußte.</p><lb/>
          <p>Ich hielt mich damals, in die&#x017F;em Theile meiner<lb/>
wunderlich umhergeworfenen Jugend im Palla&#x017F;te<lb/>
eines fränki&#x017F;chen Prälaten auf, der bei der gewalt-<lb/>
&#x017F;amen Umkehrung der dortigen Verhältni&#x017F;&#x017F;e die<lb/>
Prälatur verloren, die Einkünfte der&#x017F;elben jedoch<lb/>
zum größeren Theile behalten hatte, und daher<lb/>
noch immer &#x017F;eine Tage in Wohlleben hinbringen<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[220/0228] klares Bewußtſeyn geweſen; alle Seelenkräfte lagen geſondert in mir, wie die Species in den Büchſen einer Apotheke, ich habe Tage erlebt, an welchen ich zugleich mit dem Verſtande Schlußfolgerungen machte, mir von der Phantaſie goldene Luftſchlöſſer vormalen ließ, und in unbeſtimmten Gefühlen ſchwelgte. So gelang es mir denn auch, den mächtigſten Affect, der den Menſchen ſonſt überfällt, wie ein Feuer bei Nacht, aus ſeinen Beſtandtheilen in mir aufzuerbauen, und mich auf die eigentliche Hauptleidenſchaft meines Lebens förmlich vorzu- bereiten. Ich war in die Entwickelungsjahre ge- treten, und hatte mir klar gemacht, daß die Liebe aus Sinnlichkeit, Geiſt, Empfindung und Phantaſie, Selbſtſucht und Hingebung beſtehe. Alſo ſechs Elemente, die ich nach und nach in mir durchzu- arbeiten verſuchen mußte. Ich hielt mich damals, in dieſem Theile meiner wunderlich umhergeworfenen Jugend im Pallaſte eines fränkiſchen Prälaten auf, der bei der gewalt- ſamen Umkehrung der dortigen Verhältniſſe die Prälatur verloren, die Einkünfte derſelben jedoch zum größeren Theile behalten hatte, und daher noch immer ſeine Tage in Wohlleben hinbringen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_muenchhausen01_1838
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_muenchhausen01_1838/228
Zitationshilfe: Immermann, Karl: Münchhausen. Bd. 1. Düsseldorf, 1838, S. 220. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_muenchhausen01_1838/228>, abgerufen am 27.11.2024.