Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Immermann, Karl: Münchhausen. Bd. 1. Düsseldorf, 1838.

Bild:
<< vorherige Seite

nun wohl aufgeklärt, daß dem menschlichen Geiste,
wenn er sich recht in einem Punkte concentrirt,
ein gesteigertes Vermögen beiwohnt, wie denn
z. B. Görres in einem überaus glaubwürdigen
Buche, in seiner christlichen Mystik, erzählt, die hei-
lige Catharina habe einmal wegen leichter Indis-
position nicht communiciren können, und deßhalb
während der Altarhandlung in einer entfernten
Ecke der Kirche gekniet; das habe aber gar nichts
zu sagen gehabt, denn die Hostie sei über das
ganze Schiff der Kirche hinweg ihr in den Mund
geflogen.

Nun sage ich immer: Was dem Einen recht
ist, muß dem Andern billig seyn. Können die
Frommen sich das Venerabile von hundert und
mehreren Schritten herbeibeten, so haben die Welt-
lichen, wenn sie nur ihr Verlangen auch energisch
auf einen Punkt richten, gewiß ebenfalls die Macht,
diesen Punkt, bestehe er nun in Geld, Frauen, Ehre,
herbeizuziehn; und jede Parthei kriegt auf solche
Weise, was sie wünscht, die Frommen empfangen
das Eine, was Noth thut, die Weltlichen das
Andre, was hilft. Ich bin also überzeugt, daß
Ihre drei Sehnsuchten meinem Miethpferde magi-

nun wohl aufgeklärt, daß dem menſchlichen Geiſte,
wenn er ſich recht in einem Punkte concentrirt,
ein geſteigertes Vermögen beiwohnt, wie denn
z. B. Görres in einem überaus glaubwürdigen
Buche, in ſeiner chriſtlichen Myſtik, erzählt, die hei-
lige Catharina habe einmal wegen leichter Indis-
poſition nicht communiciren können, und deßhalb
während der Altarhandlung in einer entfernten
Ecke der Kirche gekniet; das habe aber gar nichts
zu ſagen gehabt, denn die Hoſtie ſei über das
ganze Schiff der Kirche hinweg ihr in den Mund
geflogen.

Nun ſage ich immer: Was dem Einen recht
iſt, muß dem Andern billig ſeyn. Können die
Frommen ſich das Venerabile von hundert und
mehreren Schritten herbeibeten, ſo haben die Welt-
lichen, wenn ſie nur ihr Verlangen auch energiſch
auf einen Punkt richten, gewiß ebenfalls die Macht,
dieſen Punkt, beſtehe er nun in Geld, Frauen, Ehre,
herbeizuziehn; und jede Parthei kriegt auf ſolche
Weiſe, was ſie wünſcht, die Frommen empfangen
das Eine, was Noth thut, die Weltlichen das
Andre, was hilft. Ich bin alſo überzeugt, daß
Ihre drei Sehnſuchten meinem Miethpferde magi-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0205" n="197"/>
nun wohl aufgeklärt, daß dem men&#x017F;chlichen Gei&#x017F;te,<lb/>
wenn er &#x017F;ich recht in einem Punkte concentrirt,<lb/>
ein ge&#x017F;teigertes Vermögen beiwohnt, wie denn<lb/>
z. B. Görres in einem überaus glaubwürdigen<lb/>
Buche, in &#x017F;einer chri&#x017F;tlichen My&#x017F;tik, erzählt, die hei-<lb/>
lige Catharina habe einmal wegen leichter Indis-<lb/>
po&#x017F;ition nicht communiciren können, und deßhalb<lb/>
während der Altarhandlung in einer entfernten<lb/>
Ecke der Kirche gekniet; das habe aber gar nichts<lb/>
zu &#x017F;agen gehabt, denn die Ho&#x017F;tie &#x017F;ei über das<lb/>
ganze Schiff der Kirche hinweg ihr in den Mund<lb/>
geflogen.</p><lb/>
          <p>Nun &#x017F;age ich immer: Was dem Einen recht<lb/>
i&#x017F;t, muß dem Andern billig &#x017F;eyn. Können die<lb/>
Frommen &#x017F;ich das Venerabile von hundert und<lb/>
mehreren Schritten herbeibeten, &#x017F;o haben die Welt-<lb/>
lichen, wenn &#x017F;ie nur ihr Verlangen auch energi&#x017F;ch<lb/>
auf einen Punkt richten, gewiß ebenfalls die Macht,<lb/>
die&#x017F;en Punkt, be&#x017F;tehe er nun in Geld, Frauen, Ehre,<lb/>
herbeizuziehn; und jede Parthei kriegt auf &#x017F;olche<lb/>
Wei&#x017F;e, was &#x017F;ie wün&#x017F;cht, die Frommen empfangen<lb/>
das Eine, was Noth thut, die Weltlichen das<lb/>
Andre, was hilft. Ich bin al&#x017F;o überzeugt, daß<lb/>
Ihre drei Sehn&#x017F;uchten meinem Miethpferde magi-<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[197/0205] nun wohl aufgeklärt, daß dem menſchlichen Geiſte, wenn er ſich recht in einem Punkte concentrirt, ein geſteigertes Vermögen beiwohnt, wie denn z. B. Görres in einem überaus glaubwürdigen Buche, in ſeiner chriſtlichen Myſtik, erzählt, die hei- lige Catharina habe einmal wegen leichter Indis- poſition nicht communiciren können, und deßhalb während der Altarhandlung in einer entfernten Ecke der Kirche gekniet; das habe aber gar nichts zu ſagen gehabt, denn die Hoſtie ſei über das ganze Schiff der Kirche hinweg ihr in den Mund geflogen. Nun ſage ich immer: Was dem Einen recht iſt, muß dem Andern billig ſeyn. Können die Frommen ſich das Venerabile von hundert und mehreren Schritten herbeibeten, ſo haben die Welt- lichen, wenn ſie nur ihr Verlangen auch energiſch auf einen Punkt richten, gewiß ebenfalls die Macht, dieſen Punkt, beſtehe er nun in Geld, Frauen, Ehre, herbeizuziehn; und jede Parthei kriegt auf ſolche Weiſe, was ſie wünſcht, die Frommen empfangen das Eine, was Noth thut, die Weltlichen das Andre, was hilft. Ich bin alſo überzeugt, daß Ihre drei Sehnſuchten meinem Miethpferde magi-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_muenchhausen01_1838
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_muenchhausen01_1838/205
Zitationshilfe: Immermann, Karl: Münchhausen. Bd. 1. Düsseldorf, 1838, S. 197. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_muenchhausen01_1838/205>, abgerufen am 26.12.2024.