Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Immermann, Karl: Münchhausen. Bd. 1. Düsseldorf, 1838.

Bild:
<< vorherige Seite

für die Bestätigung seiner theuersten Ueberzeugun-
gen auch er an diesen Mann des Schicksals knüpfte.
Nun aber konnte er sich schon nicht mit der Dar-
stellungsweise Münchhausens überall einverstanden
erklären. Er war von seinem Elementarunterrichte
her an Einfachheit gewöhnt; er hatte den Knaben
und Mädchen die Erschaffung der Welt, den Sün-
denfall, die Opferung Isaaks, und die Geschichte
des keuschen Joseph, ohne Episoden einzumischen,
immer schlicht heraberzählt. Der Freiherr aber,
überwältigt von seinen Erinnerungen, überfüllt mit
Bezügen, Rückblicken und Seitenblicken, schachtelte
dermaßen Nebengeschichten in seine Hauptgeschichten
ein, und verstieg sich oft in ein solches Labyrinth
dabei, daß dem armen Schulmeister, welcher noth-
gedrungen den Theseus in jenen Irrgängen spielen
mußte, der Faden der Ariadne häufig aus den
Händen schlüpfte. Außerdem hatte er zu bemerken,
daß Münchhausen, der ihn für einen untergeord-
neten Mitesser ansah, wie er es denn in der That
auch war, ihm keinesweges mit der gefälligen Auf-
merksamkeit begegnete, wie dem alten Baron und
dem Fräulein, ja sich sogar vergebens von ihm
anmahnen ließ, die Wanderung der vertriebenen

13*

für die Beſtätigung ſeiner theuerſten Ueberzeugun-
gen auch er an dieſen Mann des Schickſals knüpfte.
Nun aber konnte er ſich ſchon nicht mit der Dar-
ſtellungsweiſe Münchhauſens überall einverſtanden
erklären. Er war von ſeinem Elementarunterrichte
her an Einfachheit gewöhnt; er hatte den Knaben
und Mädchen die Erſchaffung der Welt, den Sün-
denfall, die Opferung Iſaaks, und die Geſchichte
des keuſchen Joſeph, ohne Epiſoden einzumiſchen,
immer ſchlicht heraberzählt. Der Freiherr aber,
überwältigt von ſeinen Erinnerungen, überfüllt mit
Bezügen, Rückblicken und Seitenblicken, ſchachtelte
dermaßen Nebengeſchichten in ſeine Hauptgeſchichten
ein, und verſtieg ſich oft in ein ſolches Labyrinth
dabei, daß dem armen Schulmeiſter, welcher noth-
gedrungen den Theſeus in jenen Irrgängen ſpielen
mußte, der Faden der Ariadne häufig aus den
Händen ſchlüpfte. Außerdem hatte er zu bemerken,
daß Münchhauſen, der ihn für einen untergeord-
neten Miteſſer anſah, wie er es denn in der That
auch war, ihm keinesweges mit der gefälligen Auf-
merkſamkeit begegnete, wie dem alten Baron und
dem Fräulein, ja ſich ſogar vergebens von ihm
anmahnen ließ, die Wanderung der vertriebenen

13*
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0203" n="195"/>
für die Be&#x017F;tätigung &#x017F;einer theuer&#x017F;ten Ueberzeugun-<lb/>
gen auch er an die&#x017F;en Mann des Schick&#x017F;als knüpfte.<lb/>
Nun aber konnte er &#x017F;ich &#x017F;chon nicht mit der Dar-<lb/>
&#x017F;tellungswei&#x017F;e Münchhau&#x017F;ens überall einver&#x017F;tanden<lb/>
erklären. Er war von &#x017F;einem Elementarunterrichte<lb/>
her an Einfachheit gewöhnt; er hatte den Knaben<lb/>
und Mädchen die Er&#x017F;chaffung der Welt, den Sün-<lb/>
denfall, die Opferung I&#x017F;aaks, und die Ge&#x017F;chichte<lb/>
des keu&#x017F;chen Jo&#x017F;eph, ohne Epi&#x017F;oden einzumi&#x017F;chen,<lb/>
immer &#x017F;chlicht heraberzählt. Der Freiherr aber,<lb/>
überwältigt von &#x017F;einen Erinnerungen, überfüllt mit<lb/>
Bezügen, Rückblicken und Seitenblicken, &#x017F;chachtelte<lb/>
dermaßen Nebenge&#x017F;chichten in &#x017F;eine Hauptge&#x017F;chichten<lb/>
ein, und ver&#x017F;tieg &#x017F;ich oft in ein &#x017F;olches Labyrinth<lb/>
dabei, daß dem armen Schulmei&#x017F;ter, welcher noth-<lb/>
gedrungen den The&#x017F;eus in jenen Irrgängen &#x017F;pielen<lb/>
mußte, der Faden der Ariadne häufig aus den<lb/>
Händen &#x017F;chlüpfte. Außerdem hatte er zu bemerken,<lb/>
daß Münchhau&#x017F;en, der ihn für einen untergeord-<lb/>
neten Mite&#x017F;&#x017F;er an&#x017F;ah, wie er es denn in der That<lb/>
auch war, ihm keinesweges mit der gefälligen Auf-<lb/>
merk&#x017F;amkeit begegnete, wie dem alten Baron und<lb/>
dem Fräulein, ja &#x017F;ich &#x017F;ogar vergebens von ihm<lb/>
anmahnen ließ, die Wanderung der vertriebenen<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">13*</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[195/0203] für die Beſtätigung ſeiner theuerſten Ueberzeugun- gen auch er an dieſen Mann des Schickſals knüpfte. Nun aber konnte er ſich ſchon nicht mit der Dar- ſtellungsweiſe Münchhauſens überall einverſtanden erklären. Er war von ſeinem Elementarunterrichte her an Einfachheit gewöhnt; er hatte den Knaben und Mädchen die Erſchaffung der Welt, den Sün- denfall, die Opferung Iſaaks, und die Geſchichte des keuſchen Joſeph, ohne Epiſoden einzumiſchen, immer ſchlicht heraberzählt. Der Freiherr aber, überwältigt von ſeinen Erinnerungen, überfüllt mit Bezügen, Rückblicken und Seitenblicken, ſchachtelte dermaßen Nebengeſchichten in ſeine Hauptgeſchichten ein, und verſtieg ſich oft in ein ſolches Labyrinth dabei, daß dem armen Schulmeiſter, welcher noth- gedrungen den Theſeus in jenen Irrgängen ſpielen mußte, der Faden der Ariadne häufig aus den Händen ſchlüpfte. Außerdem hatte er zu bemerken, daß Münchhauſen, der ihn für einen untergeord- neten Miteſſer anſah, wie er es denn in der That auch war, ihm keinesweges mit der gefälligen Auf- merkſamkeit begegnete, wie dem alten Baron und dem Fräulein, ja ſich ſogar vergebens von ihm anmahnen ließ, die Wanderung der vertriebenen 13*

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_muenchhausen01_1838
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_muenchhausen01_1838/203
Zitationshilfe: Immermann, Karl: Münchhausen. Bd. 1. Düsseldorf, 1838, S. 195. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_muenchhausen01_1838/203>, abgerufen am 27.12.2024.