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Immermann, Karl: Münchhausen. Bd. 1. Düsseldorf, 1838.

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nen sei. Der Haus- und Schloßherr, dessen Thor-
heiten nur von seiner unverwüstlichen Gutmüthig-
keit übertroffen wurden, war sofort der Meinung,
daß das Kind zu behalten, und wie ein eignes auf-
zuziehen sei. Seine Gemahlin leistete ihm einigen
Widerstand, bequemte sich indessen doch bald zum
milderen Entschlusse, da ihr einfiel, daß der ältere
Zweig der graumelirten Linie, der Zweig Schnuck-
Muckelig-Pumpel selbst mütterlicherseits von
einem Findlinge abstamme, in welchem eine Toch-
ter hoher Herkunft gesteckt habe. Den heftig-
sten Einspruch hatte er von Emerentien zu erlei-
den. Das Fräulein war nach ihrer zweiten Ba-
dereise so überaus tugendsam, zartsinnig und ver-
schämt geworden, daß auch die entfernteste Be-
ziehung auf die Verhältnisse, durch welche wir ent-
stehen und werden, sie tief verletzen konnte. Sie
mochte die Blumen nicht mehr leiden, seitdem ihr
ein durchreisender Professor die Bedeutung der
Staubfäden auseinandergesetzt hatte, sie war vom
Tische aufgestanden, als man erzählte, daß die
braune Diane sechs Junge geworfen habe, und
hatte vor ihrem Fenster Scheuchanstalten besonde-
rer Art gegen die Sperlinge anbringen lassen, um

nen ſei. Der Haus- und Schloßherr, deſſen Thor-
heiten nur von ſeiner unverwüſtlichen Gutmüthig-
keit übertroffen wurden, war ſofort der Meinung,
daß das Kind zu behalten, und wie ein eignes auf-
zuziehen ſei. Seine Gemahlin leiſtete ihm einigen
Widerſtand, bequemte ſich indeſſen doch bald zum
milderen Entſchluſſe, da ihr einfiel, daß der ältere
Zweig der graumelirten Linie, der Zweig Schnuck-
Muckelig-Pumpel ſelbſt mütterlicherſeits von
einem Findlinge abſtamme, in welchem eine Toch-
ter hoher Herkunft geſteckt habe. Den heftig-
ſten Einſpruch hatte er von Emerentien zu erlei-
den. Das Fräulein war nach ihrer zweiten Ba-
dereiſe ſo überaus tugendſam, zartſinnig und ver-
ſchämt geworden, daß auch die entfernteſte Be-
ziehung auf die Verhältniſſe, durch welche wir ent-
ſtehen und werden, ſie tief verletzen konnte. Sie
mochte die Blumen nicht mehr leiden, ſeitdem ihr
ein durchreiſender Profeſſor die Bedeutung der
Staubfäden auseinandergeſetzt hatte, ſie war vom
Tiſche aufgeſtanden, als man erzählte, daß die
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rer Art gegen die Sperlinge anbringen laſſen, um

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[134/0142] nen ſei. Der Haus- und Schloßherr, deſſen Thor- heiten nur von ſeiner unverwüſtlichen Gutmüthig- keit übertroffen wurden, war ſofort der Meinung, daß das Kind zu behalten, und wie ein eignes auf- zuziehen ſei. Seine Gemahlin leiſtete ihm einigen Widerſtand, bequemte ſich indeſſen doch bald zum milderen Entſchluſſe, da ihr einfiel, daß der ältere Zweig der graumelirten Linie, der Zweig Schnuck- Muckelig-Pumpel ſelbſt mütterlicherſeits von einem Findlinge abſtamme, in welchem eine Toch- ter hoher Herkunft geſteckt habe. Den heftig- ſten Einſpruch hatte er von Emerentien zu erlei- den. Das Fräulein war nach ihrer zweiten Ba- dereiſe ſo überaus tugendſam, zartſinnig und ver- ſchämt geworden, daß auch die entfernteſte Be- ziehung auf die Verhältniſſe, durch welche wir ent- ſtehen und werden, ſie tief verletzen konnte. Sie mochte die Blumen nicht mehr leiden, ſeitdem ihr ein durchreiſender Profeſſor die Bedeutung der Staubfäden auseinandergeſetzt hatte, ſie war vom Tiſche aufgeſtanden, als man erzählte, daß die braune Diane ſechs Junge geworfen habe, und hatte vor ihrem Fenſter Scheuchanſtalten beſonde- rer Art gegen die Sperlinge anbringen laſſen, um

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Zitationshilfe: Immermann, Karl: Münchhausen. Bd. 1. Düsseldorf, 1838, S. 134. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_muenchhausen01_1838/142>, abgerufen am 15.05.2024.