Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Immermann, Karl: Münchhausen. Bd. 1. Düsseldorf, 1838.

Bild:
<< vorherige Seite

daß sie jederzeit des Abends, wenn sie sich zum
Schlafengehen entkleiden wollte, schamhaft zuvor
ihrem Freunde auf dem Kamin das Haupt mit
einem Tuche verhüllte. Nußknacker ließ sich das
Alles gefallen, stand zuversichtlich auf seinen Füßen,
und blickte mit den großen, blaugemalten Augen
mildkräftig vor sich hin.

Emerentien hatte diese schöne Liebe rasch gereift.
Von der Natur war sie, wenn auch nicht mit
Reizen, doch mit blühenden Gesichtsfarben und
runden Armen ausgestattet worden; es konnte
ihr daher an Verehrern unter den benachbar-
ten Landjunkern nicht fehlen. Aber sie schlug
alle Bewerbungen von der Hand und sagte, sie
folge ihrem Ideal und gehöre der Zukunft an.
Unter dem Ideal verstand sie den auf dem Kamin
und unter der Zukunft einen Hechelkramischen
Fürsten.

Ihre Eltern ließen ihr ganz freie Hand. Sie
sagten, in den Linien Schnuck-Muckelig und Schnuck-
Puckelig seien alle Gefühle seit Jahrhunderten der
heraldisch-richtigen Bahn gefolgt. Es lasse sich
also nichts daran ändern und modeln, was ihre
Tochter empfinde.


daß ſie jederzeit des Abends, wenn ſie ſich zum
Schlafengehen entkleiden wollte, ſchamhaft zuvor
ihrem Freunde auf dem Kamin das Haupt mit
einem Tuche verhüllte. Nußknacker ließ ſich das
Alles gefallen, ſtand zuverſichtlich auf ſeinen Füßen,
und blickte mit den großen, blaugemalten Augen
mildkräftig vor ſich hin.

Emerentien hatte dieſe ſchöne Liebe raſch gereift.
Von der Natur war ſie, wenn auch nicht mit
Reizen, doch mit blühenden Geſichtsfarben und
runden Armen ausgeſtattet worden; es konnte
ihr daher an Verehrern unter den benachbar-
ten Landjunkern nicht fehlen. Aber ſie ſchlug
alle Bewerbungen von der Hand und ſagte, ſie
folge ihrem Ideal und gehöre der Zukunft an.
Unter dem Ideal verſtand ſie den auf dem Kamin
und unter der Zukunft einen Hechelkramiſchen
Fürſten.

Ihre Eltern ließen ihr ganz freie Hand. Sie
ſagten, in den Linien Schnuck-Muckelig und Schnuck-
Puckelig ſeien alle Gefühle ſeit Jahrhunderten der
heraldiſch-richtigen Bahn gefolgt. Es laſſe ſich
alſo nichts daran ändern und modeln, was ihre
Tochter empfinde.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0120" n="112"/>
daß &#x017F;ie jederzeit des Abends, wenn &#x017F;ie &#x017F;ich zum<lb/>
Schlafengehen entkleiden wollte, &#x017F;chamhaft zuvor<lb/>
ihrem Freunde auf dem Kamin das Haupt mit<lb/>
einem Tuche verhüllte. Nußknacker ließ &#x017F;ich das<lb/>
Alles gefallen, &#x017F;tand zuver&#x017F;ichtlich auf &#x017F;einen Füßen,<lb/>
und blickte mit den großen, blaugemalten Augen<lb/>
mildkräftig vor &#x017F;ich hin.</p><lb/>
          <p>Emerentien hatte die&#x017F;e &#x017F;chöne Liebe ra&#x017F;ch gereift.<lb/>
Von der Natur war &#x017F;ie, wenn auch nicht mit<lb/>
Reizen, doch mit blühenden Ge&#x017F;ichtsfarben und<lb/>
runden Armen ausge&#x017F;tattet worden; es konnte<lb/>
ihr daher an Verehrern unter den benachbar-<lb/>
ten Landjunkern nicht fehlen. Aber &#x017F;ie &#x017F;chlug<lb/>
alle Bewerbungen von der Hand und &#x017F;agte, &#x017F;ie<lb/>
folge ihrem Ideal und gehöre der Zukunft an.<lb/>
Unter dem Ideal ver&#x017F;tand &#x017F;ie den auf dem Kamin<lb/>
und unter der Zukunft einen Hechelkrami&#x017F;chen<lb/>
Für&#x017F;ten.</p><lb/>
          <p>Ihre Eltern ließen ihr ganz freie Hand. Sie<lb/>
&#x017F;agten, in den Linien Schnuck-Muckelig und Schnuck-<lb/>
Puckelig &#x017F;eien alle Gefühle &#x017F;eit Jahrhunderten der<lb/>
heraldi&#x017F;ch-richtigen Bahn gefolgt. Es la&#x017F;&#x017F;e &#x017F;ich<lb/>
al&#x017F;o nichts daran ändern und modeln, was ihre<lb/>
Tochter empfinde.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[112/0120] daß ſie jederzeit des Abends, wenn ſie ſich zum Schlafengehen entkleiden wollte, ſchamhaft zuvor ihrem Freunde auf dem Kamin das Haupt mit einem Tuche verhüllte. Nußknacker ließ ſich das Alles gefallen, ſtand zuverſichtlich auf ſeinen Füßen, und blickte mit den großen, blaugemalten Augen mildkräftig vor ſich hin. Emerentien hatte dieſe ſchöne Liebe raſch gereift. Von der Natur war ſie, wenn auch nicht mit Reizen, doch mit blühenden Geſichtsfarben und runden Armen ausgeſtattet worden; es konnte ihr daher an Verehrern unter den benachbar- ten Landjunkern nicht fehlen. Aber ſie ſchlug alle Bewerbungen von der Hand und ſagte, ſie folge ihrem Ideal und gehöre der Zukunft an. Unter dem Ideal verſtand ſie den auf dem Kamin und unter der Zukunft einen Hechelkramiſchen Fürſten. Ihre Eltern ließen ihr ganz freie Hand. Sie ſagten, in den Linien Schnuck-Muckelig und Schnuck- Puckelig ſeien alle Gefühle ſeit Jahrhunderten der heraldiſch-richtigen Bahn gefolgt. Es laſſe ſich alſo nichts daran ändern und modeln, was ihre Tochter empfinde.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_muenchhausen01_1838
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_muenchhausen01_1838/120
Zitationshilfe: Immermann, Karl: Münchhausen. Bd. 1. Düsseldorf, 1838, S. 112. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_muenchhausen01_1838/120>, abgerufen am 21.11.2024.