Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Immermann, Karl: Der Carneval und die Somnambüle. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 5. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 139–273. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

Bild:
<< vorherige Seite

Andrer vertilgen, aber wenn sie selbst ein Titelchen von dem einbüßen sollen, was ihnen gehört, da schaudern die Herren schön zurück. Der da ist zum Glück kein Gewaltiger, kein Fürst und Herr, er ficht bloß mit den Händen durch die Luft und führt kein Schwert, sondern nur einen Bleistift. Ich sage dir, hätte er die Macht, er ließe alle Häuser dieser Stadt nach seinen geraden Linien niederreißen, aber an der alten Rumpelkammer, die ihm, wie er sagt, mehr als zwanzigtausend Thaler gekostet hat, würde auch dann der Mauerbrecher Halt machen, wie jetzt der Bleistift dort Halt gemacht hat. O Gott, wann erscheint der Tag, wo alle Menschen dieses Gespinnst des Irrthums und der Eigenliebe erkennen, wie wir es erkennen? Wann bekehrt sich die Welt zu dem, wodurch sie einzig restaurirt werden kann?

Anselm trat dicht vor den Restaurator, stemmte die Arme in die Seite und fragte höhnisch: Nun, und wodurch willst du sie denn verjüngen? Laß' doch einmal von deinen Kunstgriffen uns vernehmen, du großer Chemiker. Ernst versetzte: Willst du mich zum Worte kommen lassen? Willst du mich nicht unterbrechen? Wollt ihr hörend so was man hören nennt? -- Aber, Theure, rief ich dazwischen, versäumen wir nicht die Stunde des Narrenzuges! -- Sprich, sagte Anselm zu Ernst, ohne auf mich zu achten, es soll einmal das Thema gründlich unter uns abgehandelt werden.

Ernst stellte sich hinter einen Stuhl, die Hände auf die Lehne gelegt, und hob, seine Worte mit entsprechenden

Andrer vertilgen, aber wenn sie selbst ein Titelchen von dem einbüßen sollen, was ihnen gehört, da schaudern die Herren schön zurück. Der da ist zum Glück kein Gewaltiger, kein Fürst und Herr, er ficht bloß mit den Händen durch die Luft und führt kein Schwert, sondern nur einen Bleistift. Ich sage dir, hätte er die Macht, er ließe alle Häuser dieser Stadt nach seinen geraden Linien niederreißen, aber an der alten Rumpelkammer, die ihm, wie er sagt, mehr als zwanzigtausend Thaler gekostet hat, würde auch dann der Mauerbrecher Halt machen, wie jetzt der Bleistift dort Halt gemacht hat. O Gott, wann erscheint der Tag, wo alle Menschen dieses Gespinnst des Irrthums und der Eigenliebe erkennen, wie wir es erkennen? Wann bekehrt sich die Welt zu dem, wodurch sie einzig restaurirt werden kann?

Anselm trat dicht vor den Restaurator, stemmte die Arme in die Seite und fragte höhnisch: Nun, und wodurch willst du sie denn verjüngen? Laß' doch einmal von deinen Kunstgriffen uns vernehmen, du großer Chemiker. Ernst versetzte: Willst du mich zum Worte kommen lassen? Willst du mich nicht unterbrechen? Wollt ihr hörend so was man hören nennt? — Aber, Theure, rief ich dazwischen, versäumen wir nicht die Stunde des Narrenzuges! — Sprich, sagte Anselm zu Ernst, ohne auf mich zu achten, es soll einmal das Thema gründlich unter uns abgehandelt werden.

Ernst stellte sich hinter einen Stuhl, die Hände auf die Lehne gelegt, und hob, seine Worte mit entsprechenden

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="12">
        <p><pb facs="#f0061"/>
Andrer vertilgen, aber wenn sie selbst ein Titelchen von dem      einbüßen sollen, was ihnen gehört, da schaudern die Herren schön zurück. Der da ist zum Glück      kein Gewaltiger, kein Fürst und Herr, er ficht bloß mit den Händen durch die Luft und führt      kein Schwert, sondern nur einen Bleistift. Ich sage dir, hätte er die Macht, er ließe alle      Häuser dieser Stadt nach seinen geraden Linien niederreißen, aber an der alten Rumpelkammer,      die ihm, wie er sagt, mehr als zwanzigtausend Thaler gekostet hat, würde auch dann der      Mauerbrecher Halt machen, wie jetzt der Bleistift dort Halt gemacht hat. O Gott, wann erscheint      der Tag, wo alle Menschen dieses Gespinnst des Irrthums und der Eigenliebe erkennen, wie wir es      erkennen? Wann bekehrt sich die Welt zu dem, wodurch sie einzig restaurirt werden kann?</p><lb/>
        <p>Anselm trat dicht vor den Restaurator, stemmte die Arme in die Seite und fragte höhnisch:      Nun, und wodurch willst du sie denn verjüngen? Laß' doch einmal von deinen Kunstgriffen uns      vernehmen, du großer Chemiker. Ernst versetzte: Willst du mich zum Worte kommen lassen? Willst      du mich nicht unterbrechen? Wollt ihr hörend so was man hören nennt? &#x2014; Aber, Theure, rief ich      dazwischen, versäumen wir nicht die Stunde des Narrenzuges! &#x2014; Sprich, sagte Anselm zu Ernst,      ohne auf mich zu achten, es soll einmal das Thema gründlich unter uns abgehandelt werden.</p><lb/>
        <p>Ernst stellte sich hinter einen Stuhl, die Hände auf die Lehne gelegt, und hob, seine Worte      mit entsprechenden<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0061] Andrer vertilgen, aber wenn sie selbst ein Titelchen von dem einbüßen sollen, was ihnen gehört, da schaudern die Herren schön zurück. Der da ist zum Glück kein Gewaltiger, kein Fürst und Herr, er ficht bloß mit den Händen durch die Luft und führt kein Schwert, sondern nur einen Bleistift. Ich sage dir, hätte er die Macht, er ließe alle Häuser dieser Stadt nach seinen geraden Linien niederreißen, aber an der alten Rumpelkammer, die ihm, wie er sagt, mehr als zwanzigtausend Thaler gekostet hat, würde auch dann der Mauerbrecher Halt machen, wie jetzt der Bleistift dort Halt gemacht hat. O Gott, wann erscheint der Tag, wo alle Menschen dieses Gespinnst des Irrthums und der Eigenliebe erkennen, wie wir es erkennen? Wann bekehrt sich die Welt zu dem, wodurch sie einzig restaurirt werden kann? Anselm trat dicht vor den Restaurator, stemmte die Arme in die Seite und fragte höhnisch: Nun, und wodurch willst du sie denn verjüngen? Laß' doch einmal von deinen Kunstgriffen uns vernehmen, du großer Chemiker. Ernst versetzte: Willst du mich zum Worte kommen lassen? Willst du mich nicht unterbrechen? Wollt ihr hörend so was man hören nennt? — Aber, Theure, rief ich dazwischen, versäumen wir nicht die Stunde des Narrenzuges! — Sprich, sagte Anselm zu Ernst, ohne auf mich zu achten, es soll einmal das Thema gründlich unter uns abgehandelt werden. Ernst stellte sich hinter einen Stuhl, die Hände auf die Lehne gelegt, und hob, seine Worte mit entsprechenden

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T12:19:09Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T12:19:09Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_carneval_1910
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_carneval_1910/61
Zitationshilfe: Immermann, Karl: Der Carneval und die Somnambüle. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 5. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 139–273. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_carneval_1910/61>, abgerufen am 25.11.2024.