Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Immermann, Karl: Der Carneval und die Somnambüle. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 5. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 139–273. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

Bild:
<< vorherige Seite

Worte zu finden, die mir gut und schicklich zu sein schienen. Eine Kühnheit kann hier nur durch die andre gerechtfertigt werden, rief ich aus. Lassen Sie mich Ihnen sagen, Gräfin, daß ich Alles weiß. Steht mein Wesen zu dem Ihrigen in dem wunderbaren Verhältnisse, von dem mir Ihr Arzt erzählt hat, so wird Sie meine Offenheit nicht beleidigen. Vielleicht bin ich ungeschickt in dem, was ich vorbringe, wenn Sie aber dem einfachen Worte eines arglosen Mannes vertrauen wollen, so glauben Sie, daß Sie mir einen schnellen und aufrichtigen Antheil an Ihrem Schicksal abgewonnen haben.

Sie schien von der Wärme, mit der ich redete, tief ergriffen zu sein. Eine Thräne trat in ihr Auge, sie blickte mich lange, wie in großer Trauer, an, dann sagte sie: Ja, mein Herr, ich bin eine Kranke, und Heilung thut mir Noth. Wie aber diese finden, wenn eine fremde Gewalt unsern Mund verschließt, daß wir den Sitz des Uebels nicht offenbaren dürfen? O glauben Sie mir, ich bin sehr unglücklich! -- Mein Interesse an dieser sonderbaren Dame wuchs mit jedem Augenblicke, ich sagte ihr das Treuherzigste, was ich wußte, ich suchte alle Tröstungen zusammen, die man ohne Kenntniß des besonderen Falls aufbringen kann. Es kam mir vor, als ob meine Worte sie etwas beruhigten, ich bat sie, mir zu erlauben, daß ich noch bei ihr verweilen dürfte. Sie gab es zu, nöthigte mich aber nicht zum Sitzen, eine innere heftige Bewegung schien sie, daß ich mich des Ausdrucks bediene, vergehen zu wollen,

Worte zu finden, die mir gut und schicklich zu sein schienen. Eine Kühnheit kann hier nur durch die andre gerechtfertigt werden, rief ich aus. Lassen Sie mich Ihnen sagen, Gräfin, daß ich Alles weiß. Steht mein Wesen zu dem Ihrigen in dem wunderbaren Verhältnisse, von dem mir Ihr Arzt erzählt hat, so wird Sie meine Offenheit nicht beleidigen. Vielleicht bin ich ungeschickt in dem, was ich vorbringe, wenn Sie aber dem einfachen Worte eines arglosen Mannes vertrauen wollen, so glauben Sie, daß Sie mir einen schnellen und aufrichtigen Antheil an Ihrem Schicksal abgewonnen haben.

Sie schien von der Wärme, mit der ich redete, tief ergriffen zu sein. Eine Thräne trat in ihr Auge, sie blickte mich lange, wie in großer Trauer, an, dann sagte sie: Ja, mein Herr, ich bin eine Kranke, und Heilung thut mir Noth. Wie aber diese finden, wenn eine fremde Gewalt unsern Mund verschließt, daß wir den Sitz des Uebels nicht offenbaren dürfen? O glauben Sie mir, ich bin sehr unglücklich! — Mein Interesse an dieser sonderbaren Dame wuchs mit jedem Augenblicke, ich sagte ihr das Treuherzigste, was ich wußte, ich suchte alle Tröstungen zusammen, die man ohne Kenntniß des besonderen Falls aufbringen kann. Es kam mir vor, als ob meine Worte sie etwas beruhigten, ich bat sie, mir zu erlauben, daß ich noch bei ihr verweilen dürfte. Sie gab es zu, nöthigte mich aber nicht zum Sitzen, eine innere heftige Bewegung schien sie, daß ich mich des Ausdrucks bediene, vergehen zu wollen,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="4">
        <p><pb facs="#f0031"/>
Worte zu finden, die mir gut und      schicklich zu sein schienen. Eine Kühnheit kann hier nur durch die andre gerechtfertigt werden,      rief ich aus. Lassen Sie mich Ihnen sagen, Gräfin, daß ich Alles weiß. Steht mein Wesen zu dem      Ihrigen in dem wunderbaren Verhältnisse, von dem mir Ihr Arzt erzählt hat, so wird Sie meine      Offenheit nicht beleidigen. Vielleicht bin ich ungeschickt in dem, was ich vorbringe, wenn Sie      aber dem einfachen Worte eines arglosen Mannes vertrauen wollen, so glauben Sie, daß Sie mir      einen schnellen und aufrichtigen Antheil an Ihrem Schicksal abgewonnen haben.</p><lb/>
        <p>Sie schien von der Wärme, mit der ich redete, tief ergriffen zu sein. Eine Thräne trat in ihr      Auge, sie blickte mich lange, wie in großer Trauer, an, dann sagte sie: Ja, mein Herr, ich bin      eine Kranke, und Heilung thut mir Noth. Wie aber diese finden, wenn eine fremde Gewalt unsern      Mund verschließt, daß wir den Sitz des Uebels nicht offenbaren dürfen? O glauben Sie mir, ich      bin sehr unglücklich! &#x2014; Mein Interesse an dieser sonderbaren Dame wuchs mit jedem Augenblicke,      ich sagte ihr das Treuherzigste, was ich wußte, ich suchte alle Tröstungen zusammen, die man      ohne Kenntniß des besonderen Falls aufbringen kann. Es kam mir vor, als ob meine Worte sie      etwas beruhigten, ich bat sie, mir zu erlauben, daß ich noch bei ihr verweilen dürfte. Sie gab      es zu, nöthigte mich aber nicht zum Sitzen, eine innere heftige Bewegung schien sie, daß ich      mich des Ausdrucks bediene, vergehen zu wollen,<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0031] Worte zu finden, die mir gut und schicklich zu sein schienen. Eine Kühnheit kann hier nur durch die andre gerechtfertigt werden, rief ich aus. Lassen Sie mich Ihnen sagen, Gräfin, daß ich Alles weiß. Steht mein Wesen zu dem Ihrigen in dem wunderbaren Verhältnisse, von dem mir Ihr Arzt erzählt hat, so wird Sie meine Offenheit nicht beleidigen. Vielleicht bin ich ungeschickt in dem, was ich vorbringe, wenn Sie aber dem einfachen Worte eines arglosen Mannes vertrauen wollen, so glauben Sie, daß Sie mir einen schnellen und aufrichtigen Antheil an Ihrem Schicksal abgewonnen haben. Sie schien von der Wärme, mit der ich redete, tief ergriffen zu sein. Eine Thräne trat in ihr Auge, sie blickte mich lange, wie in großer Trauer, an, dann sagte sie: Ja, mein Herr, ich bin eine Kranke, und Heilung thut mir Noth. Wie aber diese finden, wenn eine fremde Gewalt unsern Mund verschließt, daß wir den Sitz des Uebels nicht offenbaren dürfen? O glauben Sie mir, ich bin sehr unglücklich! — Mein Interesse an dieser sonderbaren Dame wuchs mit jedem Augenblicke, ich sagte ihr das Treuherzigste, was ich wußte, ich suchte alle Tröstungen zusammen, die man ohne Kenntniß des besonderen Falls aufbringen kann. Es kam mir vor, als ob meine Worte sie etwas beruhigten, ich bat sie, mir zu erlauben, daß ich noch bei ihr verweilen dürfte. Sie gab es zu, nöthigte mich aber nicht zum Sitzen, eine innere heftige Bewegung schien sie, daß ich mich des Ausdrucks bediene, vergehen zu wollen,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T12:19:09Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T12:19:09Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_carneval_1910
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_carneval_1910/31
Zitationshilfe: Immermann, Karl: Der Carneval und die Somnambüle. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 5. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 139–273. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_carneval_1910/31>, abgerufen am 22.11.2024.