Immermann, Karl: Der Carneval und die Somnambüle. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 5. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 139–273. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.auseinander! rief er verzweiflungsvoll aus. Er liegt im Grabe, der Frevler, lange; sie ging zur Ruhe vor einigen Tagen; ihre alte Pflegerin ließ mich's wissen. Zwei Schatten, können sie einen Bund für das Leben zerstören? Ich bin zu traurig, versetzte Adolphine, als daß ich nachdenken könnte. Wenn man die Ringe wechselt, soll man die Herzen ganz verschenken und einen Strich über alles Frühere machen. Sonst rührt man an das Reich der Schatten, und da kommt herauf, man kann nicht voraussetzn, was? Die Thorheit hat begonnen, der Zufall hat vollendet, so ist der Abgrund zu unsern Füßen zuletzt aufgewühlt worden. -- Hilf mir packen! Der Wagen kommt in einer Stunde. Er schwieg, und noch an demselben Tage fuhr ein schwerbepackter Reisewagen aus dem Thore. Die Fenster waren geschlossen, und Niemand hat gesehn, wer in dem Wagen saß. Wenn man von dem Crucifixe, wo Gustav Sidonien so unerwartet traf, seitwärts, in den Kreuzgang tritt, blickt man auf den stillen Friedhof, den der Kreuzgang mit seinem Pfeiler- und Blätterwerk umschließt. Der Anblick ist sehr freundlich und mild. Eine zierlich-ausgezackte und abgestufte Spitzsäule erhebt sich in der Mitte, ringsumher weht die Akazie, schattet der Hollunder über den Gräbern, die Kinder lieben das Plätzchen auseinander! rief er verzweiflungsvoll aus. Er liegt im Grabe, der Frevler, lange; sie ging zur Ruhe vor einigen Tagen; ihre alte Pflegerin ließ mich's wissen. Zwei Schatten, können sie einen Bund für das Leben zerstören? Ich bin zu traurig, versetzte Adolphine, als daß ich nachdenken könnte. Wenn man die Ringe wechselt, soll man die Herzen ganz verschenken und einen Strich über alles Frühere machen. Sonst rührt man an das Reich der Schatten, und da kommt herauf, man kann nicht voraussetzn, was? Die Thorheit hat begonnen, der Zufall hat vollendet, so ist der Abgrund zu unsern Füßen zuletzt aufgewühlt worden. — Hilf mir packen! Der Wagen kommt in einer Stunde. Er schwieg, und noch an demselben Tage fuhr ein schwerbepackter Reisewagen aus dem Thore. Die Fenster waren geschlossen, und Niemand hat gesehn, wer in dem Wagen saß. Wenn man von dem Crucifixe, wo Gustav Sidonien so unerwartet traf, seitwärts, in den Kreuzgang tritt, blickt man auf den stillen Friedhof, den der Kreuzgang mit seinem Pfeiler- und Blätterwerk umschließt. Der Anblick ist sehr freundlich und mild. Eine zierlich-ausgezackte und abgestufte Spitzsäule erhebt sich in der Mitte, ringsumher weht die Akazie, schattet der Hollunder über den Gräbern, die Kinder lieben das Plätzchen <TEI> <text> <body> <div n="22"> <p><pb facs="#f0136"/> auseinander! rief er verzweiflungsvoll aus. Er liegt im Grabe, der Frevler, lange; sie ging zur Ruhe vor einigen Tagen; ihre alte Pflegerin ließ mich's wissen. Zwei Schatten, können sie einen Bund für das Leben zerstören?</p><lb/> <p>Ich bin zu traurig, versetzte Adolphine, als daß ich nachdenken könnte. Wenn man die Ringe wechselt, soll man die Herzen ganz verschenken und einen Strich über alles Frühere machen. Sonst rührt man an das Reich der Schatten, und da kommt herauf, man kann nicht voraussetzn, was? Die Thorheit hat begonnen, der Zufall hat vollendet, so ist der Abgrund zu unsern Füßen zuletzt aufgewühlt worden. — Hilf mir packen! Der Wagen kommt in einer Stunde.</p><lb/> <p>Er schwieg, und noch an demselben Tage fuhr ein schwerbepackter Reisewagen aus dem Thore. Die Fenster waren geschlossen, und Niemand hat gesehn, wer in dem Wagen saß.</p><lb/> </div> <div n="23"> <p>Wenn man von dem Crucifixe, wo Gustav Sidonien so unerwartet traf, seitwärts, in den Kreuzgang tritt, blickt man auf den stillen Friedhof, den der Kreuzgang mit seinem Pfeiler- und Blätterwerk umschließt. Der Anblick ist sehr freundlich und mild. Eine zierlich-ausgezackte und abgestufte Spitzsäule erhebt sich in der Mitte, ringsumher weht die Akazie, schattet der Hollunder über den Gräbern, die Kinder lieben das Plätzchen<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0136]
auseinander! rief er verzweiflungsvoll aus. Er liegt im Grabe, der Frevler, lange; sie ging zur Ruhe vor einigen Tagen; ihre alte Pflegerin ließ mich's wissen. Zwei Schatten, können sie einen Bund für das Leben zerstören?
Ich bin zu traurig, versetzte Adolphine, als daß ich nachdenken könnte. Wenn man die Ringe wechselt, soll man die Herzen ganz verschenken und einen Strich über alles Frühere machen. Sonst rührt man an das Reich der Schatten, und da kommt herauf, man kann nicht voraussetzn, was? Die Thorheit hat begonnen, der Zufall hat vollendet, so ist der Abgrund zu unsern Füßen zuletzt aufgewühlt worden. — Hilf mir packen! Der Wagen kommt in einer Stunde.
Er schwieg, und noch an demselben Tage fuhr ein schwerbepackter Reisewagen aus dem Thore. Die Fenster waren geschlossen, und Niemand hat gesehn, wer in dem Wagen saß.
Wenn man von dem Crucifixe, wo Gustav Sidonien so unerwartet traf, seitwärts, in den Kreuzgang tritt, blickt man auf den stillen Friedhof, den der Kreuzgang mit seinem Pfeiler- und Blätterwerk umschließt. Der Anblick ist sehr freundlich und mild. Eine zierlich-ausgezackte und abgestufte Spitzsäule erhebt sich in der Mitte, ringsumher weht die Akazie, schattet der Hollunder über den Gräbern, die Kinder lieben das Plätzchen
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Zitationshilfe: | Immermann, Karl: Der Carneval und die Somnambüle. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 5. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 139–273. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_carneval_1910/136>, abgerufen am 16.02.2025. |