Immermann, Karl: Der Carneval und die Somnambüle. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 5. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 139–273. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.Einige Wochen später wurden die Freunde der Gatten durch eine unerwartete Nachricht überrascht und betrübt. Sie erklärten schriftlich, gemeinschaftlich, daß Dinge, die Einer dem Andern nicht vorzuwerfen habe, sie zwängen, ihre Verbindung aufzuheben. Sie baten die, welche ihnen wohlwollten, keinen Stein auf sie zuwerfen, da sie selbst einander nicht anschuldigten, sie fügten die Versicherung hinzu, daß der Trennung ungeachtet gegenseitige Werthschätzung und Ergebenheit fortdauern werde. Natürlich begnügte sich die Welt mit einer so räthselhaften Erklärung nicht. Man fragte, man deutete, matt wollte durchaus einen Grund haben und wißen. Bestürzt kam der Bruder zur Schwester und drang mit wohlgemeinten heftigen Worten in sie; sie bat ihn inständigst, ihr Ruhe zu gönnen; ob er meine, daß ein so schwerer Schritt nicht wohl erwogen worden sei? -- Einige neugierige Freundinnen steckten sich in ihrem Eifer hinter die Domestiken. Aber auch diese vermochten wenig Auskunft zu geben. Nur ein kürzlich angenommenes Mädchen erzählte, die gnädige Frau habe den Herrn bei der Rückkunft von einer Reise mit rothem Gesichte und heftigen Vorwürfen empfangen, sie habe ihm gesagt, wie sie wisse, daß er nach Köln gereift sei, und nicht in das Gebirge. Der Herr habe gar nichts erwidert, es sei eine lange Pause entstanden, endlich habe die gnädige Frau einen Schrei ausgestoßen, der Herr aber habe gesagt: Wenn diese Briefe von dir sind, so wären wir quitt! Einige Wochen später wurden die Freunde der Gatten durch eine unerwartete Nachricht überrascht und betrübt. Sie erklärten schriftlich, gemeinschaftlich, daß Dinge, die Einer dem Andern nicht vorzuwerfen habe, sie zwängen, ihre Verbindung aufzuheben. Sie baten die, welche ihnen wohlwollten, keinen Stein auf sie zuwerfen, da sie selbst einander nicht anschuldigten, sie fügten die Versicherung hinzu, daß der Trennung ungeachtet gegenseitige Werthschätzung und Ergebenheit fortdauern werde. Natürlich begnügte sich die Welt mit einer so räthselhaften Erklärung nicht. Man fragte, man deutete, matt wollte durchaus einen Grund haben und wißen. Bestürzt kam der Bruder zur Schwester und drang mit wohlgemeinten heftigen Worten in sie; sie bat ihn inständigst, ihr Ruhe zu gönnen; ob er meine, daß ein so schwerer Schritt nicht wohl erwogen worden sei? — Einige neugierige Freundinnen steckten sich in ihrem Eifer hinter die Domestiken. Aber auch diese vermochten wenig Auskunft zu geben. Nur ein kürzlich angenommenes Mädchen erzählte, die gnädige Frau habe den Herrn bei der Rückkunft von einer Reise mit rothem Gesichte und heftigen Vorwürfen empfangen, sie habe ihm gesagt, wie sie wisse, daß er nach Köln gereift sei, und nicht in das Gebirge. Der Herr habe gar nichts erwidert, es sei eine lange Pause entstanden, endlich habe die gnädige Frau einen Schrei ausgestoßen, der Herr aber habe gesagt: Wenn diese Briefe von dir sind, so wären wir quitt! <TEI> <text> <body> <pb facs="#f0133"/> <div n="22"> <p>Einige Wochen später wurden die Freunde der Gatten durch eine unerwartete Nachricht überrascht und betrübt. Sie erklärten schriftlich, gemeinschaftlich, daß Dinge, die Einer dem Andern nicht vorzuwerfen habe, sie zwängen, ihre Verbindung aufzuheben. Sie baten die, welche ihnen wohlwollten, keinen Stein auf sie zuwerfen, da sie selbst einander nicht anschuldigten, sie fügten die Versicherung hinzu, daß der Trennung ungeachtet gegenseitige Werthschätzung und Ergebenheit fortdauern werde.</p><lb/> <p>Natürlich begnügte sich die Welt mit einer so räthselhaften Erklärung nicht. Man fragte, man deutete, matt wollte durchaus einen Grund haben und wißen. Bestürzt kam der Bruder zur Schwester und drang mit wohlgemeinten heftigen Worten in sie; sie bat ihn inständigst, ihr Ruhe zu gönnen; ob er meine, daß ein so schwerer Schritt nicht wohl erwogen worden sei? — Einige neugierige Freundinnen steckten sich in ihrem Eifer hinter die Domestiken. Aber auch diese vermochten wenig Auskunft zu geben. Nur ein kürzlich angenommenes Mädchen erzählte, die gnädige Frau habe den Herrn bei der Rückkunft von einer Reise mit rothem Gesichte und heftigen Vorwürfen empfangen, sie habe ihm gesagt, wie sie wisse, daß er nach Köln gereift sei, und nicht in das Gebirge. Der Herr habe gar nichts erwidert, es sei eine lange Pause entstanden, endlich habe die gnädige Frau einen Schrei ausgestoßen, der Herr aber habe gesagt: Wenn diese Briefe von dir sind, so wären wir quitt!</p><lb/> </div> </body> </text> </TEI> [0133]
Einige Wochen später wurden die Freunde der Gatten durch eine unerwartete Nachricht überrascht und betrübt. Sie erklärten schriftlich, gemeinschaftlich, daß Dinge, die Einer dem Andern nicht vorzuwerfen habe, sie zwängen, ihre Verbindung aufzuheben. Sie baten die, welche ihnen wohlwollten, keinen Stein auf sie zuwerfen, da sie selbst einander nicht anschuldigten, sie fügten die Versicherung hinzu, daß der Trennung ungeachtet gegenseitige Werthschätzung und Ergebenheit fortdauern werde.
Natürlich begnügte sich die Welt mit einer so räthselhaften Erklärung nicht. Man fragte, man deutete, matt wollte durchaus einen Grund haben und wißen. Bestürzt kam der Bruder zur Schwester und drang mit wohlgemeinten heftigen Worten in sie; sie bat ihn inständigst, ihr Ruhe zu gönnen; ob er meine, daß ein so schwerer Schritt nicht wohl erwogen worden sei? — Einige neugierige Freundinnen steckten sich in ihrem Eifer hinter die Domestiken. Aber auch diese vermochten wenig Auskunft zu geben. Nur ein kürzlich angenommenes Mädchen erzählte, die gnädige Frau habe den Herrn bei der Rückkunft von einer Reise mit rothem Gesichte und heftigen Vorwürfen empfangen, sie habe ihm gesagt, wie sie wisse, daß er nach Köln gereift sei, und nicht in das Gebirge. Der Herr habe gar nichts erwidert, es sei eine lange Pause entstanden, endlich habe die gnädige Frau einen Schrei ausgestoßen, der Herr aber habe gesagt: Wenn diese Briefe von dir sind, so wären wir quitt!
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Zitationshilfe: | Immermann, Karl: Der Carneval und die Somnambüle. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 5. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 139–273. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_carneval_1910/133>, abgerufen am 16.02.2025. |