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Immermann, Karl: Der Carneval und die Somnambüle. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 5. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 139–273. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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denn jetzt, mein Herr, in dem Augenblick, wo das Gericht mich freispricht: Ich habe alles das begangen, was man mir nicht hat beweisen können. Mich ergötzte das Treffen, welches Sie täglich meinem Scharfsinne lieferten, mich beschäftigte der Feldzug, den wir gegen einander sechs Monate lang führten. Nun ist Friede geschlossen, und der eine General kann dem andern getrost die Karten aufdecken. -- Aeußerst überrascht von diesen Worten, erklärte ich ihm, daß die Untersuchung von Neuem beginnen müsse. Die Mühe will ich Ihnen ersparen, versetzte er. Mein Leben ist verbraucht, zwischen Himmel und Erde giebt es nichts Neues mehr für mich, und die Gräfin hat sich von mir losgesagt! So wollen wir denn die Tinte sparen, und unser Geständniß roth unterzeichnen. -- Blitzschnell hatte er bei den letzten Worten ein Messer, welches auf dem Tische lag, ergriffen, und ehe ich noch zu einem Gedanken kommen konnte, sah ich einen Blutstrom aus seiner Brust springen. Er fiel ohne Laut, ohne Regung; bei der Section zeigte sich das Herz mitten durchbohrt. So endete jener ausgezeichnete Mensch. In meiner Gerichtsstube können Sie noch am Boden den Fleck sehn, den kein Waschen und Scheuern ganz zu vertilgen vermocht hat. -- Gustav entsetzte sich vor diesem Nachtstück, ein Schauder rieselte durch seine Adern, als er in die Gerichtsstube trat, wo der erste Blick, den er scheu auf den Boden richtete, ihm einen grauen Streifen zeigte, der von der blutigen That jenes Verworfnen sprach. Sehen Sie, sagte der Richter

denn jetzt, mein Herr, in dem Augenblick, wo das Gericht mich freispricht: Ich habe alles das begangen, was man mir nicht hat beweisen können. Mich ergötzte das Treffen, welches Sie täglich meinem Scharfsinne lieferten, mich beschäftigte der Feldzug, den wir gegen einander sechs Monate lang führten. Nun ist Friede geschlossen, und der eine General kann dem andern getrost die Karten aufdecken. — Aeußerst überrascht von diesen Worten, erklärte ich ihm, daß die Untersuchung von Neuem beginnen müsse. Die Mühe will ich Ihnen ersparen, versetzte er. Mein Leben ist verbraucht, zwischen Himmel und Erde giebt es nichts Neues mehr für mich, und die Gräfin hat sich von mir losgesagt! So wollen wir denn die Tinte sparen, und unser Geständniß roth unterzeichnen. — Blitzschnell hatte er bei den letzten Worten ein Messer, welches auf dem Tische lag, ergriffen, und ehe ich noch zu einem Gedanken kommen konnte, sah ich einen Blutstrom aus seiner Brust springen. Er fiel ohne Laut, ohne Regung; bei der Section zeigte sich das Herz mitten durchbohrt. So endete jener ausgezeichnete Mensch. In meiner Gerichtsstube können Sie noch am Boden den Fleck sehn, den kein Waschen und Scheuern ganz zu vertilgen vermocht hat. — Gustav entsetzte sich vor diesem Nachtstück, ein Schauder rieselte durch seine Adern, als er in die Gerichtsstube trat, wo der erste Blick, den er scheu auf den Boden richtete, ihm einen grauen Streifen zeigte, der von der blutigen That jenes Verworfnen sprach. Sehen Sie, sagte der Richter

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Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T12:19:09Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T12:19:09Z)

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Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




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Zitationshilfe: Immermann, Karl: Der Carneval und die Somnambüle. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 5. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 139–273. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_carneval_1910/130>, abgerufen am 17.05.2024.