Immermann, Karl: Der Carneval und die Somnambüle. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 5. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 139–273. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.einer glänzenden diplomatischen Carriere und gebot mir, am bestimmten Tage in der Bundesstadt zu sein, weil an demselben der Minister * dort eintreffen werde, dem er mich empfehlen, mich vorstellen wolle. Ich hatte immer mit Leidenschaft mich in jenes Fach gewünscht, ich glaubte dazu geboren zu sein. Die Welt und ihre Verhältnisse als Stellvertreter der Fürsten kennen zu lernen -- das erschien mir in gewisser Hinsicht wie ein Abglanz des fürstlichen Daseins selbst. Freudig reis'te ich ab, den Koffer voll politischer Werke; mein Weg führte über Ems. Dort wollte ich nur eine Nacht verweilen, lernte aber unglücklicherweise ein Frauenzimmer kennen, von dem in diesem Abschnitte leider noch öfter die Rede sein wird, und blieb drei Tage an der Lahn. Als ich in Frankfurt ankam, war Alles zu spät, der Minister war abgereis't, mein Gönner empfing mich mit Kälte. Er zeigte sich befremdet über die Nichtachtung seines Wortes, das verhängnißvolle Abenteuer unterwegs hatte mir den Pfad zur Größe verschüttet. Ich bin nicht Diplomat geworden. Das geschah, ehe meine Frau mir Unterricht über Italien und Frankreich gab. So ist es mir hundertmal gegangen. Ich kam fast nie zu dem, was ich erreichen wollte. Ein alter akademischer Bruder nannte mich deßhalb den Virtuosen im Quängeln. Weiß ich doch nicht einmal, ob ich in diesem Abschnitte meiner sogenannten Denkwürdigkeiten erzählen werde, was ich zu erzählen mir vorgesetzt hatte! Ich wollte nämlich den Kölnischen Carneval schildern, einer glänzenden diplomatischen Carriere und gebot mir, am bestimmten Tage in der Bundesstadt zu sein, weil an demselben der Minister * dort eintreffen werde, dem er mich empfehlen, mich vorstellen wolle. Ich hatte immer mit Leidenschaft mich in jenes Fach gewünscht, ich glaubte dazu geboren zu sein. Die Welt und ihre Verhältnisse als Stellvertreter der Fürsten kennen zu lernen — das erschien mir in gewisser Hinsicht wie ein Abglanz des fürstlichen Daseins selbst. Freudig reis'te ich ab, den Koffer voll politischer Werke; mein Weg führte über Ems. Dort wollte ich nur eine Nacht verweilen, lernte aber unglücklicherweise ein Frauenzimmer kennen, von dem in diesem Abschnitte leider noch öfter die Rede sein wird, und blieb drei Tage an der Lahn. Als ich in Frankfurt ankam, war Alles zu spät, der Minister war abgereis't, mein Gönner empfing mich mit Kälte. Er zeigte sich befremdet über die Nichtachtung seines Wortes, das verhängnißvolle Abenteuer unterwegs hatte mir den Pfad zur Größe verschüttet. Ich bin nicht Diplomat geworden. Das geschah, ehe meine Frau mir Unterricht über Italien und Frankreich gab. So ist es mir hundertmal gegangen. Ich kam fast nie zu dem, was ich erreichen wollte. Ein alter akademischer Bruder nannte mich deßhalb den Virtuosen im Quängeln. Weiß ich doch nicht einmal, ob ich in diesem Abschnitte meiner sogenannten Denkwürdigkeiten erzählen werde, was ich zu erzählen mir vorgesetzt hatte! Ich wollte nämlich den Kölnischen Carneval schildern, <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0013"/> einer glänzenden diplomatischen Carriere und gebot mir, am bestimmten Tage in der Bundesstadt zu sein, weil an demselben der Minister * dort eintreffen werde, dem er mich empfehlen, mich vorstellen wolle. Ich hatte immer mit Leidenschaft mich in jenes Fach gewünscht, ich glaubte dazu geboren zu sein. Die Welt und ihre Verhältnisse als Stellvertreter der Fürsten kennen zu lernen — das erschien mir in gewisser Hinsicht wie ein Abglanz des fürstlichen Daseins selbst. Freudig reis'te ich ab, den Koffer voll politischer Werke; mein Weg führte über Ems. Dort wollte ich nur eine Nacht verweilen, lernte aber unglücklicherweise ein Frauenzimmer kennen, von dem in diesem Abschnitte leider noch öfter die Rede sein wird, und blieb drei Tage an der Lahn. Als ich in Frankfurt ankam, war Alles zu spät, der Minister war abgereis't, mein Gönner empfing mich mit Kälte. Er zeigte sich befremdet über die Nichtachtung seines Wortes, das verhängnißvolle Abenteuer unterwegs hatte mir den Pfad zur Größe verschüttet. Ich bin nicht Diplomat geworden. Das geschah, ehe meine Frau mir Unterricht über Italien und Frankreich gab.</p><lb/> <p>So ist es mir hundertmal gegangen. Ich kam fast nie zu dem, was ich erreichen wollte. Ein alter akademischer Bruder nannte mich deßhalb den Virtuosen im Quängeln. Weiß ich doch nicht einmal, ob ich in diesem Abschnitte meiner sogenannten Denkwürdigkeiten erzählen werde, was ich zu erzählen mir vorgesetzt hatte! Ich wollte nämlich den Kölnischen Carneval schildern,<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0013]
einer glänzenden diplomatischen Carriere und gebot mir, am bestimmten Tage in der Bundesstadt zu sein, weil an demselben der Minister * dort eintreffen werde, dem er mich empfehlen, mich vorstellen wolle. Ich hatte immer mit Leidenschaft mich in jenes Fach gewünscht, ich glaubte dazu geboren zu sein. Die Welt und ihre Verhältnisse als Stellvertreter der Fürsten kennen zu lernen — das erschien mir in gewisser Hinsicht wie ein Abglanz des fürstlichen Daseins selbst. Freudig reis'te ich ab, den Koffer voll politischer Werke; mein Weg führte über Ems. Dort wollte ich nur eine Nacht verweilen, lernte aber unglücklicherweise ein Frauenzimmer kennen, von dem in diesem Abschnitte leider noch öfter die Rede sein wird, und blieb drei Tage an der Lahn. Als ich in Frankfurt ankam, war Alles zu spät, der Minister war abgereis't, mein Gönner empfing mich mit Kälte. Er zeigte sich befremdet über die Nichtachtung seines Wortes, das verhängnißvolle Abenteuer unterwegs hatte mir den Pfad zur Größe verschüttet. Ich bin nicht Diplomat geworden. Das geschah, ehe meine Frau mir Unterricht über Italien und Frankreich gab.
So ist es mir hundertmal gegangen. Ich kam fast nie zu dem, was ich erreichen wollte. Ein alter akademischer Bruder nannte mich deßhalb den Virtuosen im Quängeln. Weiß ich doch nicht einmal, ob ich in diesem Abschnitte meiner sogenannten Denkwürdigkeiten erzählen werde, was ich zu erzählen mir vorgesetzt hatte! Ich wollte nämlich den Kölnischen Carneval schildern,
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools
|
URL zu diesem Werk: | https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_carneval_1910 |
URL zu dieser Seite: | https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_carneval_1910/13 |
Zitationshilfe: | Immermann, Karl: Der Carneval und die Somnambüle. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 5. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 139–273. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_carneval_1910/13>, abgerufen am 16.02.2025. |