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Ideler, Karl Wilhelm: Der religiöse Wahnsinn, erläutert durch Krankengeschichten. Ein Beitrag zur Geschichte der religiösen Wirren der Gegenwart. Halle (Saale), 1847.

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wenn sie erdrosselt würde, welches Gefühl so lange fortgedauert
habe, bis sie "Herr Jesus" habe rufen können. Hierauf habe
sie sich erleichtert gefühlt, und es sei ihr gewesen, als wenn
Etwas vom Bette gesprungen wäre, wobei es einen ordentlichen
Knall gegeben hätte. Ja, fuhr sie fort, der böse Geist geht
herum wie ein brüllender Löwe, und sucht Alles zu verschlin¬
gen. Bei einer anderen Veranlassung hatte sie eine vollstän¬
dige Vision des Teufels, welcher nach ihrer Schilderung von
der Größe eines Menschen sein, ein Horn auf dem Kopfe und
eine Habichtsnase haben solle, und welcher oft ein beständiges
Poltern vor der Thüre ihres Zimmers erregt habe. Merkwür¬
dig ist auch noch ihre spätere Aeußerung, sie hoffte, der Him¬
mel werde sich endlich durch ihr Gebet bewegen lassen, ihr ent¬
stellendes Kopfleiden zu beseitigen, gegen welches sie bisher bei
Menschen vergeblich Hülfe gesucht habe.

Es würde kein Interesse gewähren, das ganz erfolglos in
Anwendung gebrachte Heilverfahren zu schildern, welches bis
zu ihrer im August des nächsten Jahres bewirkten Entlassung
aus der Anstalt fortgesetzt wurde. Seit einer Reihe von Jah¬
ren war durch anhaltende religiöse Schwärmerei jedes andere
natürliche Gefühl in ihrem Gemüth so vollständig unterdrückt
worden, daß wenigstens in der angegebenen Zeit kein Umschwung
seiner Thätigkeit bewirkt werden konnte. Da jene Schwärmerei
zugleich in Theophanieen eine vollständige Rechtfertigung für
den in mystischen Grübeleien verdumpften Verstand der Kran¬
ken fand, so wurde hierdurch ein eben so wesentlicher Grund
ihrer Unheilbarkeit bezeichnet. Nur in sofern ließ sich eine theil¬
weise Aenderung ihres Benehmens hervorrufeu, als sie wenig¬
stens von den unausgesetzten Andachtsübungen abließ, und sich
zu den üblichen weiblichen Beschäftigungen bequemte; auch war
ihr Betragen im höchsten Grade anständig, gesittet und fried¬
fertig. Aber ihr Verstand war zu tief in falsch verstandenen
und übelverdauten religiösen Begriffen verstrickt, und durch sie
zu sehr aller Klarheit, Schärfe und Folgerichtigkeit des Den¬
kens beraubt worden, als daß eine Berichtigung seiner Irr¬
thümer hätte gelingen können. Ihren Gesprächen war daher
auch jene Eintönigkeit der Vorstellungen eigen, welche wir fast
immer antreffen, wenn mystische Gemüthsstimmung dem Be¬

wenn ſie erdroſſelt wuͤrde, welches Gefuͤhl ſo lange fortgedauert
habe, bis ſie „Herr Jeſus” habe rufen koͤnnen. Hierauf habe
ſie ſich erleichtert gefuͤhlt, und es ſei ihr geweſen, als wenn
Etwas vom Bette geſprungen waͤre, wobei es einen ordentlichen
Knall gegeben haͤtte. Ja, fuhr ſie fort, der boͤſe Geiſt geht
herum wie ein bruͤllender Loͤwe, und ſucht Alles zu verſchlin¬
gen. Bei einer anderen Veranlaſſung hatte ſie eine vollſtaͤn¬
dige Viſion des Teufels, welcher nach ihrer Schilderung von
der Groͤße eines Menſchen ſein, ein Horn auf dem Kopfe und
eine Habichtsnaſe haben ſolle, und welcher oft ein beſtaͤndiges
Poltern vor der Thuͤre ihres Zimmers erregt habe. Merkwuͤr¬
dig iſt auch noch ihre ſpaͤtere Aeußerung, ſie hoffte, der Him¬
mel werde ſich endlich durch ihr Gebet bewegen laſſen, ihr ent¬
ſtellendes Kopfleiden zu beſeitigen, gegen welches ſie bisher bei
Menſchen vergeblich Huͤlfe geſucht habe.

Es wuͤrde kein Intereſſe gewaͤhren, das ganz erfolglos in
Anwendung gebrachte Heilverfahren zu ſchildern, welches bis
zu ihrer im Auguſt des naͤchſten Jahres bewirkten Entlaſſung
aus der Anſtalt fortgeſetzt wurde. Seit einer Reihe von Jah¬
ren war durch anhaltende religioͤſe Schwaͤrmerei jedes andere
natuͤrliche Gefuͤhl in ihrem Gemuͤth ſo vollſtaͤndig unterdruͤckt
worden, daß wenigſtens in der angegebenen Zeit kein Umſchwung
ſeiner Thaͤtigkeit bewirkt werden konnte. Da jene Schwaͤrmerei
zugleich in Theophanieen eine vollſtaͤndige Rechtfertigung fuͤr
den in myſtiſchen Gruͤbeleien verdumpften Verſtand der Kran¬
ken fand, ſo wurde hierdurch ein eben ſo weſentlicher Grund
ihrer Unheilbarkeit bezeichnet. Nur in ſofern ließ ſich eine theil¬
weiſe Aenderung ihres Benehmens hervorrufeu, als ſie wenig¬
ſtens von den unausgeſetzten Andachtsuͤbungen abließ, und ſich
zu den uͤblichen weiblichen Beſchaͤftigungen bequemte; auch war
ihr Betragen im hoͤchſten Grade anſtaͤndig, geſittet und fried¬
fertig. Aber ihr Verſtand war zu tief in falſch verſtandenen
und uͤbelverdauten religioͤſen Begriffen verſtrickt, und durch ſie
zu ſehr aller Klarheit, Schaͤrfe und Folgerichtigkeit des Den¬
kens beraubt worden, als daß eine Berichtigung ſeiner Irr¬
thuͤmer haͤtte gelingen koͤnnen. Ihren Geſpraͤchen war daher
auch jene Eintoͤnigkeit der Vorſtellungen eigen, welche wir faſt
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[87/0095] wenn ſie erdroſſelt wuͤrde, welches Gefuͤhl ſo lange fortgedauert habe, bis ſie „Herr Jeſus” habe rufen koͤnnen. Hierauf habe ſie ſich erleichtert gefuͤhlt, und es ſei ihr geweſen, als wenn Etwas vom Bette geſprungen waͤre, wobei es einen ordentlichen Knall gegeben haͤtte. Ja, fuhr ſie fort, der boͤſe Geiſt geht herum wie ein bruͤllender Loͤwe, und ſucht Alles zu verſchlin¬ gen. Bei einer anderen Veranlaſſung hatte ſie eine vollſtaͤn¬ dige Viſion des Teufels, welcher nach ihrer Schilderung von der Groͤße eines Menſchen ſein, ein Horn auf dem Kopfe und eine Habichtsnaſe haben ſolle, und welcher oft ein beſtaͤndiges Poltern vor der Thuͤre ihres Zimmers erregt habe. Merkwuͤr¬ dig iſt auch noch ihre ſpaͤtere Aeußerung, ſie hoffte, der Him¬ mel werde ſich endlich durch ihr Gebet bewegen laſſen, ihr ent¬ ſtellendes Kopfleiden zu beſeitigen, gegen welches ſie bisher bei Menſchen vergeblich Huͤlfe geſucht habe. Es wuͤrde kein Intereſſe gewaͤhren, das ganz erfolglos in Anwendung gebrachte Heilverfahren zu ſchildern, welches bis zu ihrer im Auguſt des naͤchſten Jahres bewirkten Entlaſſung aus der Anſtalt fortgeſetzt wurde. Seit einer Reihe von Jah¬ ren war durch anhaltende religioͤſe Schwaͤrmerei jedes andere natuͤrliche Gefuͤhl in ihrem Gemuͤth ſo vollſtaͤndig unterdruͤckt worden, daß wenigſtens in der angegebenen Zeit kein Umſchwung ſeiner Thaͤtigkeit bewirkt werden konnte. Da jene Schwaͤrmerei zugleich in Theophanieen eine vollſtaͤndige Rechtfertigung fuͤr den in myſtiſchen Gruͤbeleien verdumpften Verſtand der Kran¬ ken fand, ſo wurde hierdurch ein eben ſo weſentlicher Grund ihrer Unheilbarkeit bezeichnet. Nur in ſofern ließ ſich eine theil¬ weiſe Aenderung ihres Benehmens hervorrufeu, als ſie wenig¬ ſtens von den unausgeſetzten Andachtsuͤbungen abließ, und ſich zu den uͤblichen weiblichen Beſchaͤftigungen bequemte; auch war ihr Betragen im hoͤchſten Grade anſtaͤndig, geſittet und fried¬ fertig. Aber ihr Verſtand war zu tief in falſch verſtandenen und uͤbelverdauten religioͤſen Begriffen verſtrickt, und durch ſie zu ſehr aller Klarheit, Schaͤrfe und Folgerichtigkeit des Den¬ kens beraubt worden, als daß eine Berichtigung ſeiner Irr¬ thuͤmer haͤtte gelingen koͤnnen. Ihren Geſpraͤchen war daher auch jene Eintoͤnigkeit der Vorſtellungen eigen, welche wir faſt immer antreffen, wenn myſtiſche Gemuͤthsſtimmung dem Be¬

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Zitationshilfe: Ideler, Karl Wilhelm: Der religiöse Wahnsinn, erläutert durch Krankengeschichten. Ein Beitrag zur Geschichte der religiösen Wirren der Gegenwart. Halle (Saale), 1847, S. 87. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ideler_wahnsinn_1847/95>, abgerufen am 21.11.2024.