Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Ideler, Karl Wilhelm: Der religiöse Wahnsinn, erläutert durch Krankengeschichten. Ein Beitrag zur Geschichte der religiösen Wirren der Gegenwart. Halle (Saale), 1847.

Bild:
<< vorherige Seite

der Luft beschrieb, um alle Weltgegenden dem Herrn zu wei¬
hen, indem er als Zauberer die Welt umgestalten zu können
glaubte. Es kam ihm öfter vor, als ob Christus in ihm wie¬
dererscheinen werde, bezog dabei namentlich eine Stelle im Je¬
saias, wo von der Gestalt des kommenden Messias als einer
häßlichen die Rede ist, auf sich, und faßte den Entschluß, über
die ganze Erde predigend, segnend und heilend zu wandeln.
Vielfältigen Lärm auf dem Felde hielt er wiederum für teuf¬
lische Demonstrationen, während eine vorbeiziehende Schaaf¬
heerde in ihm die Hoffnung von neuem erweckte, daß die Zeit
nahe sei, in welcher Christus seine Schaafe zu einer großen Ge¬
meinde unter seiner Obhut vereinigen werde, weshalb er knieend
den Herrn anflehte, daß Er auch ihn zu einem Gliede an sei¬
nem Leibe machen möge. Bald aber wich die danach empfun¬
dene seelige Ruhe der Vorstellung, daß er verdammt sei, und
daß der Teufel ihn in der nächsten Nacht holen werde. Ins
Bette gebracht hörte er deutlich aus den Wänden seines Zim¬
mers ein Froschgequak und Unkengeschrei hervordringen.

Indeß auch die dadurch erregte bange Stimmung verlor
sich bald wieder unter inbrünstigem Gebet, und abermals glaubte
er, daß sein Leib eine himmlische Ueberkleidung erhalten und sein
Geist eine höhere Kraft empfangen werde, damit er in Berlin
als dem Centralpunkte der politischen und kirchlichen Welt das
leuchtende und wärmende Himmelslicht über alle Länder aus¬
strömen, und alle Gebrechen und Leiden des socialen Lebens
heilen könne. Das Wehen des höheren Geistes und den Flü¬
gelschlag der himmlischen Taube wollte er durch ein ungemein
schnelles Zusammenschlagen beider Hände beweisen, indem er
Gebete in lateinischer, französischer und deutscher Sprache hielt,
und Kirchenlieder sang. Seine Stimme kam ihm dabei sehr
rein und umfangreich vor, und er sprach dabei zu den fingir¬
ten Engeln: "nun das ist wahr, ihr gebt vortrefflichen Un¬
terricht im Gesange." Zugleich vernahm er einen hellen, liebli¬
chen Chorgesang unter sanfter Instrumentalbegleitung, welcher
von dem monderhellten Himmel zu ihm herabtönte. Auch hatte
er eine innere Anschauung der Himmelsleiter und des durch
dieselbe vermittelten Verkehrs eines kecken Erdenknabens mit
einem Engel. Den Satan dachte er sich außerhalb des Hau¬

der Luft beſchrieb, um alle Weltgegenden dem Herrn zu wei¬
hen, indem er als Zauberer die Welt umgeſtalten zu koͤnnen
glaubte. Es kam ihm oͤfter vor, als ob Chriſtus in ihm wie¬
dererſcheinen werde, bezog dabei namentlich eine Stelle im Je¬
ſaias, wo von der Geſtalt des kommenden Meſſias als einer
haͤßlichen die Rede iſt, auf ſich, und faßte den Entſchluß, uͤber
die ganze Erde predigend, ſegnend und heilend zu wandeln.
Vielfaͤltigen Laͤrm auf dem Felde hielt er wiederum fuͤr teuf¬
liſche Demonſtrationen, waͤhrend eine vorbeiziehende Schaaf¬
heerde in ihm die Hoffnung von neuem erweckte, daß die Zeit
nahe ſei, in welcher Chriſtus ſeine Schaafe zu einer großen Ge¬
meinde unter ſeiner Obhut vereinigen werde, weshalb er knieend
den Herrn anflehte, daß Er auch ihn zu einem Gliede an ſei¬
nem Leibe machen moͤge. Bald aber wich die danach empfun¬
dene ſeelige Ruhe der Vorſtellung, daß er verdammt ſei, und
daß der Teufel ihn in der naͤchſten Nacht holen werde. Ins
Bette gebracht hoͤrte er deutlich aus den Waͤnden ſeines Zim¬
mers ein Froſchgequak und Unkengeſchrei hervordringen.

Indeß auch die dadurch erregte bange Stimmung verlor
ſich bald wieder unter inbruͤnſtigem Gebet, und abermals glaubte
er, daß ſein Leib eine himmliſche Ueberkleidung erhalten und ſein
Geiſt eine hoͤhere Kraft empfangen werde, damit er in Berlin
als dem Centralpunkte der politiſchen und kirchlichen Welt das
leuchtende und waͤrmende Himmelslicht uͤber alle Laͤnder aus¬
ſtroͤmen, und alle Gebrechen und Leiden des ſocialen Lebens
heilen koͤnne. Das Wehen des hoͤheren Geiſtes und den Fluͤ¬
gelſchlag der himmliſchen Taube wollte er durch ein ungemein
ſchnelles Zuſammenſchlagen beider Haͤnde beweiſen, indem er
Gebete in lateiniſcher, franzoͤſiſcher und deutſcher Sprache hielt,
und Kirchenlieder ſang. Seine Stimme kam ihm dabei ſehr
rein und umfangreich vor, und er ſprach dabei zu den fingir¬
ten Engeln: „nun das iſt wahr, ihr gebt vortrefflichen Un¬
terricht im Geſange.” Zugleich vernahm er einen hellen, liebli¬
chen Chorgeſang unter ſanfter Inſtrumentalbegleitung, welcher
von dem monderhellten Himmel zu ihm herabtoͤnte. Auch hatte
er eine innere Anſchauung der Himmelsleiter und des durch
dieſelbe vermittelten Verkehrs eines kecken Erdenknabens mit
einem Engel. Den Satan dachte er ſich außerhalb des Hau¬

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0210" n="202"/>
der Luft be&#x017F;chrieb, um alle Weltgegenden dem Herrn zu wei¬<lb/>
hen, indem er als Zauberer die Welt umge&#x017F;talten zu ko&#x0364;nnen<lb/>
glaubte. Es kam ihm o&#x0364;fter vor, als ob Chri&#x017F;tus in ihm wie¬<lb/>
derer&#x017F;cheinen werde, bezog dabei namentlich eine Stelle im Je¬<lb/>
&#x017F;aias, wo von der Ge&#x017F;talt des kommenden Me&#x017F;&#x017F;ias als einer<lb/>
ha&#x0364;ßlichen die Rede i&#x017F;t, auf &#x017F;ich, und faßte den Ent&#x017F;chluß, u&#x0364;ber<lb/>
die ganze Erde predigend, &#x017F;egnend und heilend zu wandeln.<lb/>
Vielfa&#x0364;ltigen La&#x0364;rm auf dem Felde hielt er wiederum fu&#x0364;r teuf¬<lb/>
li&#x017F;che Demon&#x017F;trationen, wa&#x0364;hrend eine vorbeiziehende Schaaf¬<lb/>
heerde in ihm die Hoffnung von neuem erweckte, daß die Zeit<lb/>
nahe &#x017F;ei, in welcher Chri&#x017F;tus &#x017F;eine Schaafe zu einer großen Ge¬<lb/>
meinde unter &#x017F;einer Obhut vereinigen werde, weshalb er knieend<lb/>
den Herrn anflehte, daß Er auch ihn zu einem Gliede an &#x017F;ei¬<lb/>
nem Leibe machen mo&#x0364;ge. Bald aber wich die danach empfun¬<lb/>
dene &#x017F;eelige Ruhe der Vor&#x017F;tellung, daß er verdammt &#x017F;ei, und<lb/>
daß der Teufel ihn in der na&#x0364;ch&#x017F;ten Nacht holen werde. Ins<lb/>
Bette gebracht ho&#x0364;rte er deutlich aus den Wa&#x0364;nden &#x017F;eines Zim¬<lb/>
mers ein Fro&#x017F;chgequak und Unkenge&#x017F;chrei hervordringen.</p><lb/>
        <p>Indeß auch die dadurch erregte bange Stimmung verlor<lb/>
&#x017F;ich bald wieder unter inbru&#x0364;n&#x017F;tigem Gebet, und abermals glaubte<lb/>
er, daß &#x017F;ein Leib eine himmli&#x017F;che Ueberkleidung erhalten und &#x017F;ein<lb/>
Gei&#x017F;t eine ho&#x0364;here Kraft empfangen werde, damit er in Berlin<lb/>
als dem Centralpunkte der politi&#x017F;chen und kirchlichen Welt das<lb/>
leuchtende und wa&#x0364;rmende Himmelslicht u&#x0364;ber alle La&#x0364;nder aus¬<lb/>
&#x017F;tro&#x0364;men, und alle Gebrechen und Leiden des &#x017F;ocialen Lebens<lb/>
heilen ko&#x0364;nne. Das Wehen des ho&#x0364;heren Gei&#x017F;tes und den Flu&#x0364;¬<lb/>
gel&#x017F;chlag der himmli&#x017F;chen Taube wollte er durch ein ungemein<lb/>
&#x017F;chnelles Zu&#x017F;ammen&#x017F;chlagen beider Ha&#x0364;nde bewei&#x017F;en, indem er<lb/>
Gebete in lateini&#x017F;cher, franzo&#x0364;&#x017F;i&#x017F;cher und deut&#x017F;cher Sprache hielt,<lb/>
und Kirchenlieder &#x017F;ang. Seine Stimme kam ihm dabei &#x017F;ehr<lb/>
rein und umfangreich vor, und er &#x017F;prach dabei zu den fingir¬<lb/>
ten Engeln: &#x201E;nun das i&#x017F;t wahr, ihr gebt vortrefflichen Un¬<lb/>
terricht im Ge&#x017F;ange.&#x201D; Zugleich vernahm er einen hellen, liebli¬<lb/>
chen Chorge&#x017F;ang unter &#x017F;anfter In&#x017F;trumentalbegleitung, welcher<lb/>
von dem monderhellten Himmel zu ihm herabto&#x0364;nte. Auch hatte<lb/>
er eine innere An&#x017F;chauung der Himmelsleiter und des durch<lb/>
die&#x017F;elbe vermittelten Verkehrs eines kecken Erdenknabens mit<lb/>
einem Engel. Den Satan dachte er &#x017F;ich außerhalb des Hau¬<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[202/0210] der Luft beſchrieb, um alle Weltgegenden dem Herrn zu wei¬ hen, indem er als Zauberer die Welt umgeſtalten zu koͤnnen glaubte. Es kam ihm oͤfter vor, als ob Chriſtus in ihm wie¬ dererſcheinen werde, bezog dabei namentlich eine Stelle im Je¬ ſaias, wo von der Geſtalt des kommenden Meſſias als einer haͤßlichen die Rede iſt, auf ſich, und faßte den Entſchluß, uͤber die ganze Erde predigend, ſegnend und heilend zu wandeln. Vielfaͤltigen Laͤrm auf dem Felde hielt er wiederum fuͤr teuf¬ liſche Demonſtrationen, waͤhrend eine vorbeiziehende Schaaf¬ heerde in ihm die Hoffnung von neuem erweckte, daß die Zeit nahe ſei, in welcher Chriſtus ſeine Schaafe zu einer großen Ge¬ meinde unter ſeiner Obhut vereinigen werde, weshalb er knieend den Herrn anflehte, daß Er auch ihn zu einem Gliede an ſei¬ nem Leibe machen moͤge. Bald aber wich die danach empfun¬ dene ſeelige Ruhe der Vorſtellung, daß er verdammt ſei, und daß der Teufel ihn in der naͤchſten Nacht holen werde. Ins Bette gebracht hoͤrte er deutlich aus den Waͤnden ſeines Zim¬ mers ein Froſchgequak und Unkengeſchrei hervordringen. Indeß auch die dadurch erregte bange Stimmung verlor ſich bald wieder unter inbruͤnſtigem Gebet, und abermals glaubte er, daß ſein Leib eine himmliſche Ueberkleidung erhalten und ſein Geiſt eine hoͤhere Kraft empfangen werde, damit er in Berlin als dem Centralpunkte der politiſchen und kirchlichen Welt das leuchtende und waͤrmende Himmelslicht uͤber alle Laͤnder aus¬ ſtroͤmen, und alle Gebrechen und Leiden des ſocialen Lebens heilen koͤnne. Das Wehen des hoͤheren Geiſtes und den Fluͤ¬ gelſchlag der himmliſchen Taube wollte er durch ein ungemein ſchnelles Zuſammenſchlagen beider Haͤnde beweiſen, indem er Gebete in lateiniſcher, franzoͤſiſcher und deutſcher Sprache hielt, und Kirchenlieder ſang. Seine Stimme kam ihm dabei ſehr rein und umfangreich vor, und er ſprach dabei zu den fingir¬ ten Engeln: „nun das iſt wahr, ihr gebt vortrefflichen Un¬ terricht im Geſange.” Zugleich vernahm er einen hellen, liebli¬ chen Chorgeſang unter ſanfter Inſtrumentalbegleitung, welcher von dem monderhellten Himmel zu ihm herabtoͤnte. Auch hatte er eine innere Anſchauung der Himmelsleiter und des durch dieſelbe vermittelten Verkehrs eines kecken Erdenknabens mit einem Engel. Den Satan dachte er ſich außerhalb des Hau¬

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/ideler_wahnsinn_1847
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/ideler_wahnsinn_1847/210
Zitationshilfe: Ideler, Karl Wilhelm: Der religiöse Wahnsinn, erläutert durch Krankengeschichten. Ein Beitrag zur Geschichte der religiösen Wirren der Gegenwart. Halle (Saale), 1847, S. 202. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ideler_wahnsinn_1847/210>, abgerufen am 05.05.2024.