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Ideler, Karl Wilhelm: Der religiöse Wahnsinn, erläutert durch Krankengeschichten. Ein Beitrag zur Geschichte der religiösen Wirren der Gegenwart. Halle (Saale), 1847.

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sie sich dann eifrig bemühte, den Verwünschten Hülfe zu lei¬
sten. Aus den Wolken befreit, wurden die Leichen in einem
Bade von Gold- und Silberwasser, Gottesacker genannt, un¬
tergetaucht, und wenn sie aus dem Bade mit Silberstoff be¬
kleidet auftauchten, waren sie fertige Menschen, von aller Ver¬
wünschung befreit, worauf der Ruf Gottes erscholl: "Viele Mil¬
lionen sind nun fertig!" Die G. wurde durch den ihr übertragenen
Beruf in einem hohen Grade geängstigt, und wagte doch nicht,
sich demselben zu entziehen, um nicht gegen Gott ungehorsam
zu sein, obgleich sie sich durch die dazu erforderliche Anstren¬
gung, zu welcher sie jeden Tag mehrmals genöthigt war, sehr
erschöpft fühlte, und ihre Verlegenheit nahm in der Charite
noch zu, da ihre beschwörenden Gesticulationen von andern
Kranken belacht, und als Wahnsinn verhöhnt wurden, welches
nur die Verdammung der gotteslästernden Spötter bewirken
könne. Sie mied daher jede äußere Kundgebung ihrer Heils¬
operationen, und verrichtete dieselben nur in Gedanken, oder
sie nahm sie nur dann wirklich vor, wenn sie sich allein be¬
fand, weil sie dann jedesmal die Hülfeflehenden von ihrer Noth
befreite.

Unter dem steten Einflusse dieser höchst phantastischen
Wahnvorstellungen haben sich ihre religiösen Begriffe in baa¬
ren Unsinn verkehrt. Sie glaubt z. B. daß Gott vor 1500
Jahren aus einem Insect, und mit ihm eine neue Welt ent¬
standen sei, und fragt man sie, woher jenes Insect gekom¬
men sei, so spiegelt sich in ihren Vorstellungen das Bild
des alten Chaos ab, dessen Gewimmel sie nicht anders, als
einen großen Insectenschwarm zu bezeichnen weiß. Die Be¬
griffe von einem ewigen Leben haben bei ihr eine eben so
seltsame Gestalt angenommen, denn ihrer Meinung nach hat
dasselbe schon angefangen, und obgleich die Auferstehung der
Todten unter ihrer Mitwirkung unaufhörlich erfolgt, wobei
eine stufenweise Verwandlung der Menschen in verschiedene
Klassen von Engeln Statt findet, und selbst die Verwünsch¬
ten zu einem bessern Dasein veredelt werden, so ist doch eigent¬
lich hiermit nicht viel gewonnen, da im Grunde Alles beim
Alten bleiben wird. Denn die Menschen müssen nach wie
vor arbeiten, werden häufig erkranken, damit die Aerzte nicht

ſie ſich dann eifrig bemuͤhte, den Verwuͤnſchten Huͤlfe zu lei¬
ſten. Aus den Wolken befreit, wurden die Leichen in einem
Bade von Gold- und Silberwaſſer, Gottesacker genannt, un¬
tergetaucht, und wenn ſie aus dem Bade mit Silberſtoff be¬
kleidet auftauchten, waren ſie fertige Menſchen, von aller Ver¬
wuͤnſchung befreit, worauf der Ruf Gottes erſcholl: „Viele Mil¬
lionen ſind nun fertig!” Die G. wurde durch den ihr uͤbertragenen
Beruf in einem hohen Grade geaͤngſtigt, und wagte doch nicht,
ſich demſelben zu entziehen, um nicht gegen Gott ungehorſam
zu ſein, obgleich ſie ſich durch die dazu erforderliche Anſtren¬
gung, zu welcher ſie jeden Tag mehrmals genoͤthigt war, ſehr
erſchoͤpft fuͤhlte, und ihre Verlegenheit nahm in der Charité
noch zu, da ihre beſchwoͤrenden Geſticulationen von andern
Kranken belacht, und als Wahnſinn verhoͤhnt wurden, welches
nur die Verdammung der gotteslaͤſternden Spoͤtter bewirken
koͤnne. Sie mied daher jede aͤußere Kundgebung ihrer Heils¬
operationen, und verrichtete dieſelben nur in Gedanken, oder
ſie nahm ſie nur dann wirklich vor, wenn ſie ſich allein be¬
fand, weil ſie dann jedesmal die Huͤlfeflehenden von ihrer Noth
befreite.

Unter dem ſteten Einfluſſe dieſer hoͤchſt phantaſtiſchen
Wahnvorſtellungen haben ſich ihre religioͤſen Begriffe in baa¬
ren Unſinn verkehrt. Sie glaubt z. B. daß Gott vor 1500
Jahren aus einem Inſect, und mit ihm eine neue Welt ent¬
ſtanden ſei, und fragt man ſie, woher jenes Inſect gekom¬
men ſei, ſo ſpiegelt ſich in ihren Vorſtellungen das Bild
des alten Chaos ab, deſſen Gewimmel ſie nicht anders, als
einen großen Inſectenſchwarm zu bezeichnen weiß. Die Be¬
griffe von einem ewigen Leben haben bei ihr eine eben ſo
ſeltſame Geſtalt angenommen, denn ihrer Meinung nach hat
daſſelbe ſchon angefangen, und obgleich die Auferſtehung der
Todten unter ihrer Mitwirkung unaufhoͤrlich erfolgt, wobei
eine ſtufenweiſe Verwandlung der Menſchen in verſchiedene
Klaſſen von Engeln Statt findet, und ſelbſt die Verwuͤnſch¬
ten zu einem beſſern Daſein veredelt werden, ſo iſt doch eigent¬
lich hiermit nicht viel gewonnen, da im Grunde Alles beim
Alten bleiben wird. Denn die Menſchen muͤſſen nach wie
vor arbeiten, werden haͤufig erkranken, damit die Aerzte nicht

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Zitationshilfe: Ideler, Karl Wilhelm: Der religiöse Wahnsinn, erläutert durch Krankengeschichten. Ein Beitrag zur Geschichte der religiösen Wirren der Gegenwart. Halle (Saale), 1847, S. 146. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ideler_wahnsinn_1847/154>, abgerufen am 28.04.2024.