behandet wurden, wie sie denn auch von Seiten ihres Vaters einer zärtlichen Liebe sich zu erfreuen hatten. Die Kindheit der G. verstrich daher unter freundlichen Verhältnissen, zu de¬ ren Glück ihre ungestörte Körperentwickelung wesentlich beitrug. Indeß noch während ihres Schulbesuchs traf sie das harte Loos, daß ihr Vater seinen Posten verlor, und aller Subsi¬ stenzmittel beraubt, sich von ihr trennen, und sie der Sorge eines Freundes überlassen mußte. Tief betrübt, schon im frü¬ hen Alter, noch bei Lebzeiten ihrer Aeltern, eine Waise ge¬ worden zu sein, fühlte sie das Drückende ihrer Lage um so pein¬ licher, als ihr dieselbe durch Nöthigung zu lästigen Arbeiten noch mehr erschwert wurde. Nach erfolgter Einsegnung kam sie im 15. Jahre nach Berlin, wo sie 4 Jahre lang unter er¬ träglichen Verhältnissen Dienste bei verschiedenen Familien nahm, und sie würde sich wohl gefühlt haben, wenn nicht ihr Vater wegen Verdacht auf Falschmünzerei verhaftet worden, und im Gefängnisse gestorben wäre. Die bittere Erinnerung an sein klägliches Ende, die Trauer um ihre Mutter, von welcher sie nur so viel erfuhr, daß dieselbe nicht gestorben sei, die Tren¬ nung von ihrem Bruder, alles dies trübte ihren Sinn, und ließ einen Hang zur Schwermuth zurück, welcher zwar ihre körperliche Gesundheit nicht trübte, aber im späteren Leben wesentlich zur Entstehung ihres Wahns beitrug.
Ein Bäckergeselle verleitete sie durch ein Eheversprechen zum Concubinat, in welchem sie auf längere Zeit mit ihm lebte, so daß sie ihm 2 Kinder gebar. Nachdem er sie lange mit eiteln Hoffnungen vertröstet hatte, war sie endlich genöthigt, sich von ihm zu trennen; ja sie mußte den Beistand der Ge¬ richte aufrufen, um von ihm für die Erziehung beider Kinder eine Summe von 140 Thalern zu erlangen. Hierdurch wurde sie in den Stand gesetzt, sich bei einer Frau einzumiethen, welche die Pflege der Kinder übernahm, während sie selbst ihren Unterhalt durch Waschen und Scheuern sich erwarb. Leichtsinnig, wie so Viele unter ähnlichen Verhältnissen, schlug sie sich dies verschuldete Mißgeschick aus dem Sinn, besaß aber doch Muttergefühl genug, um sich in der Nähe ihrer Kinder glücklich zu fühlen, und auf jede andere Erheiterung Verzicht zu leisten. Im 30. Jahre heirathete sie einen Schuhmacher,
behandet wurden, wie ſie denn auch von Seiten ihres Vaters einer zaͤrtlichen Liebe ſich zu erfreuen hatten. Die Kindheit der G. verſtrich daher unter freundlichen Verhaͤltniſſen, zu de¬ ren Gluͤck ihre ungeſtoͤrte Koͤrperentwickelung weſentlich beitrug. Indeß noch waͤhrend ihres Schulbeſuchs traf ſie das harte Loos, daß ihr Vater ſeinen Poſten verlor, und aller Subſi¬ ſtenzmittel beraubt, ſich von ihr trennen, und ſie der Sorge eines Freundes uͤberlaſſen mußte. Tief betruͤbt, ſchon im fruͤ¬ hen Alter, noch bei Lebzeiten ihrer Aeltern, eine Waiſe ge¬ worden zu ſein, fuͤhlte ſie das Druͤckende ihrer Lage um ſo pein¬ licher, als ihr dieſelbe durch Noͤthigung zu laͤſtigen Arbeiten noch mehr erſchwert wurde. Nach erfolgter Einſegnung kam ſie im 15. Jahre nach Berlin, wo ſie 4 Jahre lang unter er¬ traͤglichen Verhaͤltniſſen Dienſte bei verſchiedenen Familien nahm, und ſie wuͤrde ſich wohl gefuͤhlt haben, wenn nicht ihr Vater wegen Verdacht auf Falſchmuͤnzerei verhaftet worden, und im Gefaͤngniſſe geſtorben waͤre. Die bittere Erinnerung an ſein klaͤgliches Ende, die Trauer um ihre Mutter, von welcher ſie nur ſo viel erfuhr, daß dieſelbe nicht geſtorben ſei, die Tren¬ nung von ihrem Bruder, alles dies truͤbte ihren Sinn, und ließ einen Hang zur Schwermuth zuruͤck, welcher zwar ihre koͤrperliche Geſundheit nicht truͤbte, aber im ſpaͤteren Leben weſentlich zur Entſtehung ihres Wahns beitrug.
Ein Baͤckergeſelle verleitete ſie durch ein Eheverſprechen zum Concubinat, in welchem ſie auf laͤngere Zeit mit ihm lebte, ſo daß ſie ihm 2 Kinder gebar. Nachdem er ſie lange mit eiteln Hoffnungen vertroͤſtet hatte, war ſie endlich genoͤthigt, ſich von ihm zu trennen; ja ſie mußte den Beiſtand der Ge¬ richte aufrufen, um von ihm fuͤr die Erziehung beider Kinder eine Summe von 140 Thalern zu erlangen. Hierdurch wurde ſie in den Stand geſetzt, ſich bei einer Frau einzumiethen, welche die Pflege der Kinder uͤbernahm, waͤhrend ſie ſelbſt ihren Unterhalt durch Waſchen und Scheuern ſich erwarb. Leichtſinnig, wie ſo Viele unter aͤhnlichen Verhaͤltniſſen, ſchlug ſie ſich dies verſchuldete Mißgeſchick aus dem Sinn, beſaß aber doch Muttergefuͤhl genug, um ſich in der Naͤhe ihrer Kinder gluͤcklich zu fuͤhlen, und auf jede andere Erheiterung Verzicht zu leiſten. Im 30. Jahre heirathete ſie einen Schuhmacher,
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behandet wurden, wie ſie denn auch von Seiten ihres Vaters
einer zaͤrtlichen Liebe ſich zu erfreuen hatten. Die Kindheit
der G. verſtrich daher unter freundlichen Verhaͤltniſſen, zu de¬
ren Gluͤck ihre ungeſtoͤrte Koͤrperentwickelung weſentlich beitrug.
Indeß noch waͤhrend ihres Schulbeſuchs traf ſie das harte
Loos, daß ihr Vater ſeinen Poſten verlor, und aller Subſi¬
ſtenzmittel beraubt, ſich von ihr trennen, und ſie der Sorge
eines Freundes uͤberlaſſen mußte. Tief betruͤbt, ſchon im fruͤ¬
hen Alter, noch bei Lebzeiten ihrer Aeltern, eine Waiſe ge¬
worden zu ſein, fuͤhlte ſie das Druͤckende ihrer Lage um ſo pein¬
licher, als ihr dieſelbe durch Noͤthigung zu laͤſtigen Arbeiten
noch mehr erſchwert wurde. Nach erfolgter Einſegnung kam
ſie im 15. Jahre nach Berlin, wo ſie 4 Jahre lang unter er¬
traͤglichen Verhaͤltniſſen Dienſte bei verſchiedenen Familien nahm,
und ſie wuͤrde ſich wohl gefuͤhlt haben, wenn nicht ihr Vater
wegen Verdacht auf Falſchmuͤnzerei verhaftet worden, und im
Gefaͤngniſſe geſtorben waͤre. Die bittere Erinnerung an ſein
klaͤgliches Ende, die Trauer um ihre Mutter, von welcher ſie
nur ſo viel erfuhr, daß dieſelbe nicht geſtorben ſei, die Tren¬
nung von ihrem Bruder, alles dies truͤbte ihren Sinn, und
ließ einen Hang zur Schwermuth zuruͤck, welcher zwar ihre
koͤrperliche Geſundheit nicht truͤbte, aber im ſpaͤteren Leben
weſentlich zur Entſtehung ihres Wahns beitrug.
Ein Baͤckergeſelle verleitete ſie durch ein Eheverſprechen
zum Concubinat, in welchem ſie auf laͤngere Zeit mit ihm lebte,
ſo daß ſie ihm 2 Kinder gebar. Nachdem er ſie lange mit
eiteln Hoffnungen vertroͤſtet hatte, war ſie endlich genoͤthigt,
ſich von ihm zu trennen; ja ſie mußte den Beiſtand der Ge¬
richte aufrufen, um von ihm fuͤr die Erziehung beider Kinder
eine Summe von 140 Thalern zu erlangen. Hierdurch wurde
ſie in den Stand geſetzt, ſich bei einer Frau einzumiethen,
welche die Pflege der Kinder uͤbernahm, waͤhrend ſie ſelbſt
ihren Unterhalt durch Waſchen und Scheuern ſich erwarb.
Leichtſinnig, wie ſo Viele unter aͤhnlichen Verhaͤltniſſen, ſchlug
ſie ſich dies verſchuldete Mißgeſchick aus dem Sinn, beſaß aber
doch Muttergefuͤhl genug, um ſich in der Naͤhe ihrer Kinder
gluͤcklich zu fuͤhlen, und auf jede andere Erheiterung Verzicht
zu leiſten. Im 30. Jahre heirathete ſie einen Schuhmacher,
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Ideler, Karl Wilhelm: Der religiöse Wahnsinn, erläutert durch Krankengeschichten. Ein Beitrag zur Geschichte der religiösen Wirren der Gegenwart. Halle (Saale), 1847, S. 139. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ideler_wahnsinn_1847/147>, abgerufen am 16.02.2025.
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