Ideler, Karl Wilhelm: Der religiöse Wahnsinn, erläutert durch Krankengeschichten. Ein Beitrag zur Geschichte der religiösen Wirren der Gegenwart. Halle (Saale), 1847.die Nächte verpraßte, so viel, um nur die nothwendigsten Zwanzig Jahre dauerte dies infernalische Verhältniß, bis die Naͤchte verpraßte, ſo viel, um nur die nothwendigſten Zwanzig Jahre dauerte dies infernaliſche Verhaͤltniß, bis <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0118" n="110"/> die Naͤchte verpraßte, ſo viel, um nur die nothwendigſten<lb/> Beduͤrfniſſe zu befriedigen, und wie ſehr ſie ſich auch anſtrengte,<lb/> durch weibliche Arbeiten bis tief in die Naͤchte hinein, einen<lb/> Nothpfennig anzuſchaffen, ſo konnte ſie doch nicht ihren und<lb/> der Kinder Hunger ſtillen. Nur ſelten wagte ſie es, die<lb/> Kirche zu beſuchen, da ihre Kleider gewoͤhnlich ſo zerlumpt<lb/> waren, daß ſie ſich nicht oͤffentlich ſehen laſſen konnte. Nicht<lb/> einmal den Troſt des Gebetes goͤnnte ihr der Scheußliche,<lb/> denn er ſchlug ſie jedesmal, wenn er ſie bei demſelben an¬<lb/> traf, unſtreitig weil er darin eine ſtille Anklage ſeiner Ver¬<lb/> worfenheit fand. Sie iſt auch uͤberzeugt, daß er mit luͤder¬<lb/> lichen Weibern, mit denen er gemeinſchaftlich in einem Ma¬<lb/> gazin arbeitete, einen verbotenen Umgang gepflogen, und daß<lb/> er ihnen Geld zugeſteckt habe, waͤhrend ſie ſelbſt mit den<lb/> Kindern darben mußte.</p><lb/> <p>Zwanzig Jahre dauerte dies infernaliſche Verhaͤltniß, bis<lb/> der Ruchloſe in Folge ſeiner unaufhoͤrlichen Ausſchweifungen<lb/> eines elenden Todes in der Charité ſtarb. Wer zaͤhlt die<lb/> Thraͤnen und Seufzer, welche er ihr waͤhrend dieſer langen<lb/> Marterzeit auspreßte, wer mißt die Summe der bitterſten Noth,<lb/> welche ſie erdulden mußte! Denn zu allem geſchilderten Elende<lb/> geſellte ſich noch das Ungemach von 10 Wochenbetten, in de¬<lb/> nen ſie mit Entbehrungen der ſchlimmſten Art zu kaͤmpfen<lb/> hatte, daher denn auch die meiſten Kinder aus Mangel an<lb/> hinreichender Ernaͤhrung und Pflege fruͤhzeitig ſtarben, und<lb/> nur drei am Leben blieben. Die meiſten Entbindungen gin¬<lb/> gen doch noch gluͤcklich genug von Statten; nur nach einer<lb/> Fruͤhgeburt in Folge eines Schlages auf den Unterleib litt ſie<lb/> 18 Wochen lang an einem ſtarken Mutterblutfluß, durch wel¬<lb/> chen ſie auf das Aeußerſte entkraͤftet wurde. Huͤlflos ſchmach¬<lb/> tete ſie mit zwei kleinen Kindern, denen ſie oft keinen Biſſen<lb/> Brodt reichen konnte, wobei ihr das Herz blutete. Ihr Lei¬<lb/> den wurde noch durch ein ſchlimmes Geſchwuͤr, wahrſcheinlich<lb/> in einer Kieferhoͤhle erſchwert, welches durch eine Zahnluͤcke<lb/> aufbrach, und eine Menge von Eiter ergoß. Ehe es ſo weit<lb/> kam, hatte ſie an betaͤubenden Kopfſchmerzen gelitten, ſie konnte<lb/> Tage lang nicht ſprechen, ſich nur durch Zeichen verſtaͤndlich<lb/> machen, fuͤhlte aber nach der Befreiung von dieſer Plage eine<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [110/0118]
die Naͤchte verpraßte, ſo viel, um nur die nothwendigſten
Beduͤrfniſſe zu befriedigen, und wie ſehr ſie ſich auch anſtrengte,
durch weibliche Arbeiten bis tief in die Naͤchte hinein, einen
Nothpfennig anzuſchaffen, ſo konnte ſie doch nicht ihren und
der Kinder Hunger ſtillen. Nur ſelten wagte ſie es, die
Kirche zu beſuchen, da ihre Kleider gewoͤhnlich ſo zerlumpt
waren, daß ſie ſich nicht oͤffentlich ſehen laſſen konnte. Nicht
einmal den Troſt des Gebetes goͤnnte ihr der Scheußliche,
denn er ſchlug ſie jedesmal, wenn er ſie bei demſelben an¬
traf, unſtreitig weil er darin eine ſtille Anklage ſeiner Ver¬
worfenheit fand. Sie iſt auch uͤberzeugt, daß er mit luͤder¬
lichen Weibern, mit denen er gemeinſchaftlich in einem Ma¬
gazin arbeitete, einen verbotenen Umgang gepflogen, und daß
er ihnen Geld zugeſteckt habe, waͤhrend ſie ſelbſt mit den
Kindern darben mußte.
Zwanzig Jahre dauerte dies infernaliſche Verhaͤltniß, bis
der Ruchloſe in Folge ſeiner unaufhoͤrlichen Ausſchweifungen
eines elenden Todes in der Charité ſtarb. Wer zaͤhlt die
Thraͤnen und Seufzer, welche er ihr waͤhrend dieſer langen
Marterzeit auspreßte, wer mißt die Summe der bitterſten Noth,
welche ſie erdulden mußte! Denn zu allem geſchilderten Elende
geſellte ſich noch das Ungemach von 10 Wochenbetten, in de¬
nen ſie mit Entbehrungen der ſchlimmſten Art zu kaͤmpfen
hatte, daher denn auch die meiſten Kinder aus Mangel an
hinreichender Ernaͤhrung und Pflege fruͤhzeitig ſtarben, und
nur drei am Leben blieben. Die meiſten Entbindungen gin¬
gen doch noch gluͤcklich genug von Statten; nur nach einer
Fruͤhgeburt in Folge eines Schlages auf den Unterleib litt ſie
18 Wochen lang an einem ſtarken Mutterblutfluß, durch wel¬
chen ſie auf das Aeußerſte entkraͤftet wurde. Huͤlflos ſchmach¬
tete ſie mit zwei kleinen Kindern, denen ſie oft keinen Biſſen
Brodt reichen konnte, wobei ihr das Herz blutete. Ihr Lei¬
den wurde noch durch ein ſchlimmes Geſchwuͤr, wahrſcheinlich
in einer Kieferhoͤhle erſchwert, welches durch eine Zahnluͤcke
aufbrach, und eine Menge von Eiter ergoß. Ehe es ſo weit
kam, hatte ſie an betaͤubenden Kopfſchmerzen gelitten, ſie konnte
Tage lang nicht ſprechen, ſich nur durch Zeichen verſtaͤndlich
machen, fuͤhlte aber nach der Befreiung von dieſer Plage eine
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