Ideler, Karl Wilhelm: Der religiöse Wahnsinn, erläutert durch Krankengeschichten. Ein Beitrag zur Geschichte der religiösen Wirren der Gegenwart. Halle (Saale), 1847.rückgerufen, wenn sie auch nicht eher darüber Gewißheit erlan¬ 6. An einem Sonntage vor Ostern 1846 störte der Drechs¬ F., von hagerer Statur und bleichem Gesichte, mit kei¬ ruͤckgerufen, wenn ſie auch nicht eher daruͤber Gewißheit erlan¬ 6. An einem Sonntage vor Oſtern 1846 ſtoͤrte der Drechs¬ F., von hagerer Statur und bleichem Geſichte, mit kei¬ <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0109" n="101"/> ruͤckgerufen, wenn ſie auch nicht eher daruͤber Gewißheit erlan¬<lb/> gen koͤnne, als bis ſie ihn ſaͤhe. Sie hielt es wenigſtens fuͤr<lb/> moͤglich, daß Gott jeden ſehr guten Menſchen, gleichwie Chri¬<lb/> ſtus, vom Tode erwecken koͤnne, und verſicherte außerdem nicht<lb/> zu wiſſen, warum ſie ſoviel habe leiden muͤſſen. Um dieſen<lb/> Ueberreſt ihres Wahns durch eine kraͤftige Maaßregel zu vertil¬<lb/> gen, brachte ich daher die Einreibung der Brechweinſteinſalbe<lb/> mit ſo entſchieden guͤnſtigem Erfolge bei ihr in Anwendung,<lb/> daß auch nicht die geringſte Spur von Unklarheit und Befan¬<lb/> genheit des Bewußtſeins mehr bemerkt wurde. Da die be¬<lb/> ſchraͤnkten Vermoͤgensumſtaͤnde ihres Vaters eine moͤglichſte Ab¬<lb/> kuͤrzung des Heilverfahrens gebieteriſch forderten, ſo wurde ſie<lb/> im Februar 1846 nach mehrmonatlicher Dauer einer vollen<lb/> Beſonnenheit als geheilt entlaſſen.</p><lb/> </div> <div n="1"> <head>6.<lb/></head> <p>An einem Sonntage vor Oſtern 1846 ſtoͤrte der Drechs¬<lb/> lergeſelle <hi rendition="#b #fr">F.</hi>, zwanzig und einige Jahre alt, aus Thuͤringen<lb/> gebuͤrtig, durch laute Ausrufungen den oͤffentlichen Gottesdienſt<lb/> in der hieſigen Domkirche, wodurch ſeine Verhaftung und Ab¬<lb/> fuͤhrung in das Polizeigefaͤngniß nothwendig gemacht wurde.<lb/> Ich erhielt den amtlichen Auftrag, ſeinen Gemuͤthszuſtand zu<lb/> unterſuchen, und von ihm die Beweggruͤnde zu erforſchen, wel¬<lb/> che ihn veranlaßt hatten, an hohe Behoͤrden Briefe voll my¬<lb/> ſtiſcher Declamationen zu ſchreiben. Folgendes iſt ein Auszug<lb/> meines uͤber ihn erſtatteten Berichts.</p><lb/> <p>F., von hagerer Statur und bleichem Geſichte, mit kei¬<lb/> nen auffallenden Krankheitsſymptomen behaftet, verraͤth ſchon<lb/> in ſeiner ganzen aͤußeren Erſcheinung einen hohen Grad von<lb/> Gemuͤthsaufregung durch unruhige Geſtikulationen, durch be¬<lb/> wegten Geſichtsausdruck, beſonders aber durch einen haſtigen,<lb/> wortreichen Redefluß, in welchem er ſich nur ungern unterbre¬<lb/> chen laͤßt. Offenbar beſitzt er nur einen geringen Grad von<lb/> geiſtiger Bildung und ſehr mittelmaͤßige Verſtandeskraͤfte, ſo<lb/> daß es ihm ſchwer faͤllt, ſeine Vorſtellungen naͤher zu bezeich¬<lb/> nen. Vielleicht wuͤrde ihm dies in Bezug auf Gegenſtaͤnde<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [101/0109]
ruͤckgerufen, wenn ſie auch nicht eher daruͤber Gewißheit erlan¬
gen koͤnne, als bis ſie ihn ſaͤhe. Sie hielt es wenigſtens fuͤr
moͤglich, daß Gott jeden ſehr guten Menſchen, gleichwie Chri¬
ſtus, vom Tode erwecken koͤnne, und verſicherte außerdem nicht
zu wiſſen, warum ſie ſoviel habe leiden muͤſſen. Um dieſen
Ueberreſt ihres Wahns durch eine kraͤftige Maaßregel zu vertil¬
gen, brachte ich daher die Einreibung der Brechweinſteinſalbe
mit ſo entſchieden guͤnſtigem Erfolge bei ihr in Anwendung,
daß auch nicht die geringſte Spur von Unklarheit und Befan¬
genheit des Bewußtſeins mehr bemerkt wurde. Da die be¬
ſchraͤnkten Vermoͤgensumſtaͤnde ihres Vaters eine moͤglichſte Ab¬
kuͤrzung des Heilverfahrens gebieteriſch forderten, ſo wurde ſie
im Februar 1846 nach mehrmonatlicher Dauer einer vollen
Beſonnenheit als geheilt entlaſſen.
6.
An einem Sonntage vor Oſtern 1846 ſtoͤrte der Drechs¬
lergeſelle F., zwanzig und einige Jahre alt, aus Thuͤringen
gebuͤrtig, durch laute Ausrufungen den oͤffentlichen Gottesdienſt
in der hieſigen Domkirche, wodurch ſeine Verhaftung und Ab¬
fuͤhrung in das Polizeigefaͤngniß nothwendig gemacht wurde.
Ich erhielt den amtlichen Auftrag, ſeinen Gemuͤthszuſtand zu
unterſuchen, und von ihm die Beweggruͤnde zu erforſchen, wel¬
che ihn veranlaßt hatten, an hohe Behoͤrden Briefe voll my¬
ſtiſcher Declamationen zu ſchreiben. Folgendes iſt ein Auszug
meines uͤber ihn erſtatteten Berichts.
F., von hagerer Statur und bleichem Geſichte, mit kei¬
nen auffallenden Krankheitsſymptomen behaftet, verraͤth ſchon
in ſeiner ganzen aͤußeren Erſcheinung einen hohen Grad von
Gemuͤthsaufregung durch unruhige Geſtikulationen, durch be¬
wegten Geſichtsausdruck, beſonders aber durch einen haſtigen,
wortreichen Redefluß, in welchem er ſich nur ungern unterbre¬
chen laͤßt. Offenbar beſitzt er nur einen geringen Grad von
geiſtiger Bildung und ſehr mittelmaͤßige Verſtandeskraͤfte, ſo
daß es ihm ſchwer faͤllt, ſeine Vorſtellungen naͤher zu bezeich¬
nen. Vielleicht wuͤrde ihm dies in Bezug auf Gegenſtaͤnde
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |