Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Ichenhaeuser, Eliza: Frauenziele. Berlin, 1913.

Bild:
<< vorherige Seite

frau des kontraktlich gebundenen Landarbeiters
bekommt einen Tagelohn von 0,75-1,-Mark.

Also mit Ausnahme der Wanderarbeiterin und
der freien Ehefrau, die nur Saisonarbeit leisten,
eine Bezahlung, die die Lebenshaltung der länd-
lichen Arbeiterin sehr tief bewertet. Und die bessere
Bezahlung der Saisonarbeiterin wiegt die Sorge
um den Unterhalt im Winter und die besonders
schlechten und sittengefährdenden Bedingungen
unter denen die Wanderarbeiterinnen leben, nicht
auf. Die Ehefrau aber, die die schwerste Arbeit
in Stall und Feld, in Haus und Küche verrichtet
und außerdem noch Saisonarbeit obliegen muß,
führt ein so anstrengendes Leben, daß ihre Töchter
schon aus Angst, es ihr einmal gleichtun zu
müssen, lieber in die Stadt ziehen und sich einem
anderen Erwerb zuwenden. Freiin von Puttlitz
meinte zwar, es schade nichts, wenn ihre äußere
Schönheit schnell verblühe, sie lebe doch ein reiches
Leben. Mit viel mehr Verständnis für die Be-
dürfnisse der arbeitenden Klasse sagt aber Dr. Rosa
Kempff: "Alle poetische Verherrlichung der ruhe-
losen, niemals rastenden bäuerlichen Hausmutter
führt nicht darüber hinweg, daß es ein Zeichen
tiefer Kulturstufe bedeutet, wenn Frauen infolge
Überanstrengung in der Mitte ihres Lebens be-
reits greisenhafte Züge aufweisen, zum Schaden

frau des kontraktlich gebundenen Landarbeiters
bekommt einen Tagelohn von 0,75-1,-Mark.

Also mit Ausnahme der Wanderarbeiterin und
der freien Ehefrau, die nur Saisonarbeit leisten,
eine Bezahlung, die die Lebenshaltung der länd-
lichen Arbeiterin sehr tief bewertet. Und die bessere
Bezahlung der Saisonarbeiterin wiegt die Sorge
um den Unterhalt im Winter und die besonders
schlechten und sittengefährdenden Bedingungen
unter denen die Wanderarbeiterinnen leben, nicht
auf. Die Ehefrau aber, die die schwerste Arbeit
in Stall und Feld, in Haus und Küche verrichtet
und außerdem noch Saisonarbeit obliegen muß,
führt ein so anstrengendes Leben, daß ihre Töchter
schon aus Angst, es ihr einmal gleichtun zu
müssen, lieber in die Stadt ziehen und sich einem
anderen Erwerb zuwenden. Freiin von Puttlitz
meinte zwar, es schade nichts, wenn ihre äußere
Schönheit schnell verblühe, sie lebe doch ein reiches
Leben. Mit viel mehr Verständnis für die Be-
dürfnisse der arbeitenden Klasse sagt aber Dr. Rosa
Kempff: „Alle poetische Verherrlichung der ruhe-
losen, niemals rastenden bäuerlichen Hausmutter
führt nicht darüber hinweg, daß es ein Zeichen
tiefer Kulturstufe bedeutet, wenn Frauen infolge
Überanstrengung in der Mitte ihres Lebens be-
reits greisenhafte Züge aufweisen, zum Schaden

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0079" n="75"/>
frau des kontraktlich gebundenen Landarbeiters<lb/>
bekommt einen Tagelohn von 0,75-1,-Mark.</p><lb/>
            <p>Also mit Ausnahme der Wanderarbeiterin und<lb/>
der freien Ehefrau, die nur Saisonarbeit leisten,<lb/>
eine Bezahlung, die die Lebenshaltung der länd-<lb/>
lichen Arbeiterin sehr tief bewertet. Und die bessere<lb/>
Bezahlung der Saisonarbeiterin wiegt die Sorge<lb/>
um den Unterhalt im Winter und die besonders<lb/>
schlechten und sittengefährdenden Bedingungen<lb/>
unter denen die Wanderarbeiterinnen leben, nicht<lb/>
auf. Die Ehefrau aber, die die schwerste Arbeit<lb/>
in Stall und Feld, in Haus und Küche verrichtet<lb/>
und außerdem noch Saisonarbeit obliegen muß,<lb/>
führt ein so anstrengendes Leben, daß ihre Töchter<lb/>
schon aus Angst, es ihr einmal gleichtun zu<lb/>
müssen, lieber in die Stadt ziehen und sich einem<lb/>
anderen Erwerb zuwenden. Freiin von Puttlitz<lb/>
meinte zwar, es schade nichts, wenn ihre äußere<lb/>
Schönheit schnell verblühe, sie lebe doch ein reiches<lb/>
Leben. Mit viel mehr Verständnis für die Be-<lb/>
dürfnisse der arbeitenden Klasse sagt aber Dr. Rosa<lb/>
Kempff: &#x201E;Alle poetische Verherrlichung der ruhe-<lb/>
losen, niemals rastenden bäuerlichen Hausmutter<lb/>
führt nicht darüber hinweg, daß es ein Zeichen<lb/>
tiefer Kulturstufe bedeutet, wenn Frauen infolge<lb/>
Überanstrengung in der Mitte ihres Lebens be-<lb/>
reits greisenhafte Züge aufweisen, zum Schaden<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[75/0079] frau des kontraktlich gebundenen Landarbeiters bekommt einen Tagelohn von 0,75-1,-Mark. Also mit Ausnahme der Wanderarbeiterin und der freien Ehefrau, die nur Saisonarbeit leisten, eine Bezahlung, die die Lebenshaltung der länd- lichen Arbeiterin sehr tief bewertet. Und die bessere Bezahlung der Saisonarbeiterin wiegt die Sorge um den Unterhalt im Winter und die besonders schlechten und sittengefährdenden Bedingungen unter denen die Wanderarbeiterinnen leben, nicht auf. Die Ehefrau aber, die die schwerste Arbeit in Stall und Feld, in Haus und Küche verrichtet und außerdem noch Saisonarbeit obliegen muß, führt ein so anstrengendes Leben, daß ihre Töchter schon aus Angst, es ihr einmal gleichtun zu müssen, lieber in die Stadt ziehen und sich einem anderen Erwerb zuwenden. Freiin von Puttlitz meinte zwar, es schade nichts, wenn ihre äußere Schönheit schnell verblühe, sie lebe doch ein reiches Leben. Mit viel mehr Verständnis für die Be- dürfnisse der arbeitenden Klasse sagt aber Dr. Rosa Kempff: „Alle poetische Verherrlichung der ruhe- losen, niemals rastenden bäuerlichen Hausmutter führt nicht darüber hinweg, daß es ein Zeichen tiefer Kulturstufe bedeutet, wenn Frauen infolge Überanstrengung in der Mitte ihres Lebens be- reits greisenhafte Züge aufweisen, zum Schaden

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Texte der ersten Frauenbewegung, betreut von Anna Pfundt und Thomas Gloning, JLU Gießen: Bereitstellung der Texttranskription. (2020-12-07T10:34:09Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Anna Pfundt, Juliane Nau: Bearbeitung der digitalen Edition. (2020-12-07T10:34:09Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: gekennzeichnet; Druckfehler: gekennzeichnet; fremdsprachliches Material: keine Angabe; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; I/J in Fraktur: wie Vorlage; i/j in Fraktur: keine Angabe; Kolumnentitel: keine Angabe; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine Angabe; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: wie Vorlage; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: ja;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/ichenhaeuser_frauenziele_1913
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/ichenhaeuser_frauenziele_1913/79
Zitationshilfe: Ichenhaeuser, Eliza: Frauenziele. Berlin, 1913, S. 75. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ichenhaeuser_frauenziele_1913/79>, abgerufen am 23.11.2024.