Der Fortschritt in der sozialpolitischen und ethischen Erkenntnis auf diesem Gebiete dokumen- tiert sich nicht allein im Unterschied zwischen dem Kinderschutzgesetz von 1839 und 1903, sondern auch in dem Unterschied zwischen dem preußischen Zwangserziehungsgesetz vom 13. März 1878 und dem Fürsorgegesetz vom 2. Juli 1900. Basierte das erstere nur auf dem kriminalpolitischen Ge- sichtspunkt der Sühne für die Straftat, so ver- tritt das letztere die moderne sozialpolitische Er- kenntnis, daß die Aufgabe der Fürsorge Besserung und Erziehung ist. Aus diesem Grunde nahm es auch die körperlich Verwahrlosten unter seine schützenden Fittiche und setzte die Altersgrenze vom 12. auf das 18. Jahr hinauf.
Trotz dieses eminenten Fortschrittes in der Auffassung ist es bisher noch nicht gelungen, diese in der Praxis ebenso zum Ausdruck zu bringen. Zunächst hat sich die Gewohnheit herausgebildet, nur solchen Kindern, die bereits verwahrlost sind, Fürsorgeerziehung angedeihen zu lassen, während den durch ihre Umgebung gefährdeten, aber noch nicht verwahrlosten, diese Wohltat versagt wird. Auch arbeitet die richterliche Maschine viel zu schwerfällig. Den Anträgen auf Fürsorge- erziehung wird viel zu langsam stattgegeben. Zweitens hat auch die Anstaltspflege, die ja zwar überhaupt vor der Familienpflege, die sich
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Der Fortschritt in der sozialpolitischen und ethischen Erkenntnis auf diesem Gebiete dokumen- tiert sich nicht allein im Unterschied zwischen dem Kinderschutzgesetz von 1839 und 1903, sondern auch in dem Unterschied zwischen dem preußischen Zwangserziehungsgesetz vom 13. März 1878 und dem Fürsorgegesetz vom 2. Juli 1900. Basierte das erstere nur auf dem kriminalpolitischen Ge- sichtspunkt der Sühne für die Straftat, so ver- tritt das letztere die moderne sozialpolitische Er- kenntnis, daß die Aufgabe der Fürsorge Besserung und Erziehung ist. Aus diesem Grunde nahm es auch die körperlich Verwahrlosten unter seine schützenden Fittiche und setzte die Altersgrenze vom 12. auf das 18. Jahr hinauf.
Trotz dieses eminenten Fortschrittes in der Auffassung ist es bisher noch nicht gelungen, diese in der Praxis ebenso zum Ausdruck zu bringen. Zunächst hat sich die Gewohnheit herausgebildet, nur solchen Kindern, die bereits verwahrlost sind, Fürsorgeerziehung angedeihen zu lassen, während den durch ihre Umgebung gefährdeten, aber noch nicht verwahrlosten, diese Wohltat versagt wird. Auch arbeitet die richterliche Maschine viel zu schwerfällig. Den Anträgen auf Fürsorge- erziehung wird viel zu langsam stattgegeben. Zweitens hat auch die Anstaltspflege, die ja zwar überhaupt vor der Familienpflege, die sich
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[211/0215]
Der Fortschritt in der sozialpolitischen und
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tiert sich nicht allein im Unterschied zwischen dem
Kinderschutzgesetz von 1839 und 1903, sondern auch
in dem Unterschied zwischen dem preußischen
Zwangserziehungsgesetz vom 13. März 1878 und
dem Fürsorgegesetz vom 2. Juli 1900. Basierte
das erstere nur auf dem kriminalpolitischen Ge-
sichtspunkt der Sühne für die Straftat, so ver-
tritt das letztere die moderne sozialpolitische Er-
kenntnis, daß die Aufgabe der Fürsorge Besserung
und Erziehung ist. Aus diesem Grunde nahm es
auch die körperlich Verwahrlosten unter seine
schützenden Fittiche und setzte die Altersgrenze vom
12. auf das 18. Jahr hinauf.
Trotz dieses eminenten Fortschrittes in der
Auffassung ist es bisher noch nicht gelungen, diese
in der Praxis ebenso zum Ausdruck zu bringen.
Zunächst hat sich die Gewohnheit herausgebildet,
nur solchen Kindern, die bereits verwahrlost sind,
Fürsorgeerziehung angedeihen zu lassen, während
den durch ihre Umgebung gefährdeten, aber noch
nicht verwahrlosten, diese Wohltat versagt wird.
Auch arbeitet die richterliche Maschine viel zu
schwerfällig. Den Anträgen auf Fürsorge-
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Zweitens hat auch die Anstaltspflege, die ja
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Ichenhaeuser, Eliza: Frauenziele. Berlin, 1913, S. 211. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ichenhaeuser_frauenziele_1913/215>, abgerufen am 27.11.2024.
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