Jn einem der größten Wälder Germaniens sah' ich einmal, ich weiß nicht, ob wachend oder im Traume, denn es ging mir, wie dem Apostel Paulus, der nicht wußte, ob er im Leibe oder aus- ser dem Leibe gewesen war; dort also sah' ich ein- mal ein Fürstenthümchen, dessen Beherrscher wohl in etwas mehr, als figürlichem Verstande, den Na- men eines Landesvaters verdiente. Jn dieser gros- sen Monarchie von sechs und einer halben gevierten Meile, konnte nemlich fast jedes hübsche Weib und jedes schöne Mädchen sich rühmen, ein Unterpfand der landesväterlichen Liebe zu besitzen. Der sech- zig jährige "Titus," denn so ward er in einem Geburtstagsgedichte seines Hofpoeten, eines ver- rückten Magisters aus L--g, deren es dort noch mehrere giebt, buchstäblich genannt, der sechzigjäh- rige "Titus" konnte, wenn gleich nicht unter die Bildnisse aller seiner Unterthanen, doch unter jene seiner meisten Minister, Räthe, Beamten und Diener, ja selbst seiner ganzen Armee mit Wahr- heit die Worte setzen: Ipse seci, wenn anders nur nicht die Rede von den Bildern, sondern bloß von den Originalen war. Man kann folglich leicht den- ken, wie treu und liebevoll sie sämmtlich ihm an- hiengen, und wie einig und verträglich mit einander sie lebten. Nur ein einziges Mal, erzählte man mir, wäre bald diese patriarchalische Ruhe gestört wor- den. Der Herr Oberjägermeister prügelte nemlich
Jn einem der groͤßten Waͤlder Germaniens ſah’ ich einmal, ich weiß nicht, ob wachend oder im Traume, denn es ging mir, wie dem Apoſtel Paulus, der nicht wußte, ob er im Leibe oder auſ- ſer dem Leibe geweſen war; dort alſo ſah’ ich ein- mal ein Fuͤrſtenthuͤmchen, deſſen Beherrſcher wohl in etwas mehr, als figuͤrlichem Verſtande, den Na- men eines Landesvaters verdiente. Jn dieſer groſ- ſen Monarchie von ſechs und einer halben gevierten Meile, konnte nemlich faſt jedes huͤbſche Weib und jedes ſchoͤne Maͤdchen ſich ruͤhmen, ein Unterpfand der landesvaͤterlichen Liebe zu beſitzen. Der ſech- zig jaͤhrige »Titus,« denn ſo ward er in einem Geburtstagsgedichte ſeines Hofpoeten, eines ver- ruͤckten Magiſters aus L—g, deren es dort noch mehrere giebt, buchſtaͤblich genannt, der ſechzigjaͤh- rige »Titus« konnte, wenn gleich nicht unter die Bildniſſe aller ſeiner Unterthanen, doch unter jene ſeiner meiſten Miniſter, Raͤthe, Beamten und Diener, ja ſelbſt ſeiner ganzen Armee mit Wahr- heit die Worte ſetzen: Ipse ſeci, wenn anders nur nicht die Rede von den Bildern, ſondern bloß von den Originalen war. Man kann folglich leicht den- ken, wie treu und liebevoll ſie ſaͤmmtlich ihm an- hiengen, und wie einig und vertraͤglich mit einander ſie lebten. Nur ein einziges Mal, erzaͤhlte man mir, waͤre bald dieſe patriarchaliſche Ruhe geſtoͤrt wor- den. Der Herr Oberjaͤgermeiſter pruͤgelte nemlich
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0349"n="349"/><p>Jn einem der groͤßten Waͤlder Germaniens<lb/>ſah’ ich einmal, ich weiß nicht, ob wachend oder<lb/>
im Traume, denn es ging mir, wie dem Apoſtel<lb/>
Paulus, der nicht wußte, ob er im Leibe oder auſ-<lb/>ſer dem Leibe geweſen war; dort alſo ſah’ ich ein-<lb/>
mal ein Fuͤrſtenthuͤmchen, deſſen Beherrſcher wohl<lb/>
in etwas mehr, als figuͤrlichem Verſtande, den Na-<lb/>
men eines Landesvaters verdiente. Jn dieſer groſ-<lb/>ſen Monarchie von ſechs und einer halben gevierten<lb/>
Meile, konnte nemlich faſt jedes huͤbſche Weib und<lb/>
jedes ſchoͤne Maͤdchen ſich ruͤhmen, ein Unterpfand<lb/>
der landesvaͤterlichen Liebe zu beſitzen. Der ſech-<lb/>
zig jaͤhrige »<hirendition="#g">Titus</hi>,« denn ſo ward er in einem<lb/>
Geburtstagsgedichte ſeines Hofpoeten, eines ver-<lb/>
ruͤckten Magiſters aus L—g, deren es dort noch<lb/>
mehrere giebt, buchſtaͤblich genannt, der ſechzigjaͤh-<lb/>
rige »<hirendition="#g">Titus</hi>« konnte, wenn gleich nicht unter die<lb/>
Bildniſſe <hirendition="#g">aller</hi>ſeiner Unterthanen, doch unter<lb/>
jene ſeiner meiſten Miniſter, Raͤthe, Beamten und<lb/>
Diener, ja ſelbſt ſeiner ganzen Armee mit Wahr-<lb/>
heit die Worte ſetzen: <hirendition="#aq">Ipse ſeci,</hi> wenn anders nur<lb/>
nicht die Rede von den Bildern, ſondern bloß von<lb/>
den Originalen war. Man kann folglich leicht den-<lb/>
ken, wie treu und liebevoll ſie ſaͤmmtlich ihm an-<lb/>
hiengen, und wie einig und vertraͤglich mit einander<lb/>ſie lebten. Nur ein einziges Mal, erzaͤhlte man mir,<lb/>
waͤre bald dieſe patriarchaliſche Ruhe geſtoͤrt wor-<lb/>
den. Der Herr Oberjaͤgermeiſter pruͤgelte nemlich<lb/></p></div></body></text></TEI>
[349/0349]
Jn einem der groͤßten Waͤlder Germaniens
ſah’ ich einmal, ich weiß nicht, ob wachend oder
im Traume, denn es ging mir, wie dem Apoſtel
Paulus, der nicht wußte, ob er im Leibe oder auſ-
ſer dem Leibe geweſen war; dort alſo ſah’ ich ein-
mal ein Fuͤrſtenthuͤmchen, deſſen Beherrſcher wohl
in etwas mehr, als figuͤrlichem Verſtande, den Na-
men eines Landesvaters verdiente. Jn dieſer groſ-
ſen Monarchie von ſechs und einer halben gevierten
Meile, konnte nemlich faſt jedes huͤbſche Weib und
jedes ſchoͤne Maͤdchen ſich ruͤhmen, ein Unterpfand
der landesvaͤterlichen Liebe zu beſitzen. Der ſech-
zig jaͤhrige »Titus,« denn ſo ward er in einem
Geburtstagsgedichte ſeines Hofpoeten, eines ver-
ruͤckten Magiſters aus L—g, deren es dort noch
mehrere giebt, buchſtaͤblich genannt, der ſechzigjaͤh-
rige »Titus« konnte, wenn gleich nicht unter die
Bildniſſe aller ſeiner Unterthanen, doch unter
jene ſeiner meiſten Miniſter, Raͤthe, Beamten und
Diener, ja ſelbſt ſeiner ganzen Armee mit Wahr-
heit die Worte ſetzen: Ipse ſeci, wenn anders nur
nicht die Rede von den Bildern, ſondern bloß von
den Originalen war. Man kann folglich leicht den-
ken, wie treu und liebevoll ſie ſaͤmmtlich ihm an-
hiengen, und wie einig und vertraͤglich mit einander
ſie lebten. Nur ein einziges Mal, erzaͤhlte man mir,
waͤre bald dieſe patriarchaliſche Ruhe geſtoͤrt wor-
den. Der Herr Oberjaͤgermeiſter pruͤgelte nemlich
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Hundt-Radowsky, Hartwig: Die Judenschule, oder gründliche Anleitung, in kurzer Zeit ein vollkommener schwarzer oder weißer Jude zu werden. Bd. 3. Jerusalem [i. e. Aarau], 1823, S. 349. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hundtradowsky_judenschule03_1823/349>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.