noch jetzt hin und wieder um Seelen und Köpfe, wie um Dreier und Pfenninge streitet; und nach dem Vorbilde desselben ersann man ein anderes Politikspiel, welches für das gemeine Leben, für alle Stände, Volksklassen und Glaubenssekten be- rechnet ist. Jeder, der nur auf seinen Vortheil sich versteht, seinem Eigennutz alle Gefühle für Recht und Billigkeit, für Tugend und Menschlichkeit un- terzuordnen, und sich als das höchste Ziel, so wie seine Umgebungen als Mittel zu betrachten und zu benutzen weiß, ist fähig, ohne geographische, diplo- matische, geschichtliche und statistische Kenntnisse, ohne Zeitungen und Landkarten, ohne Kanonen und Soldaten dies Spielchen mitzuspielen, und heißt dann ein "politischer Mann" oder ein "weis- ser Jude."
Um also dies letztere zu seyn oder zu werden, braucht man sein Präputium weder dem Mohel, noch dem Moloch zu opfern, wenn man sich nur mit recht gläubiger fester Ueberzeugung zu der er- habenen, allein selig machenden Lehre bekennt: Al- les, was mir nützt, ist recht; was mir schadet, ist unrecht. Ob man übrigens zwei, oder sieben Sa- kramente oder gar keines annimmt; ob man an einen oder an drei Götter glaubt; ob man sich beim Abschiede aus diesem Leben nach dem alten Sprüchworte: wer gut schmiert, der gut fährt, mit Oehl besalben läßt oder ungesalbt gen Himmel
noch jetzt hin und wieder um Seelen und Koͤpfe, wie um Dreier und Pfenninge ſtreitet; und nach dem Vorbilde deſſelben erſann man ein anderes Politikſpiel, welches fuͤr das gemeine Leben, fuͤr alle Staͤnde, Volksklaſſen und Glaubensſekten be- rechnet iſt. Jeder, der nur auf ſeinen Vortheil ſich verſteht, ſeinem Eigennutz alle Gefuͤhle fuͤr Recht und Billigkeit, fuͤr Tugend und Menſchlichkeit un- terzuordnen, und ſich als das hoͤchſte Ziel, ſo wie ſeine Umgebungen als Mittel zu betrachten und zu benutzen weiß, iſt faͤhig, ohne geographiſche, diplo- matiſche, geſchichtliche und ſtatiſtiſche Kenntniſſe, ohne Zeitungen und Landkarten, ohne Kanonen und Soldaten dies Spielchen mitzuſpielen, und heißt dann ein »politiſcher Mann« oder ein »weiſ- ſer Jude.«
Um alſo dies letztere zu ſeyn oder zu werden, braucht man ſein Praͤputium weder dem Mohel, noch dem Moloch zu opfern, wenn man ſich nur mit recht glaͤubiger feſter Ueberzeugung zu der er- habenen, allein ſelig machenden Lehre bekennt: Al- les, was mir nuͤtzt, iſt recht; was mir ſchadet, iſt unrecht. Ob man uͤbrigens zwei, oder ſieben Sa- kramente oder gar keines annimmt; ob man an einen oder an drei Goͤtter glaubt; ob man ſich beim Abſchiede aus dieſem Leben nach dem alten Spruͤchworte: wer gut ſchmiert, der gut faͤhrt, mit Oehl beſalben laͤßt oder ungeſalbt gen Himmel
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0122"n="122"/>
noch jetzt hin und wieder um <hirendition="#g">Seelen</hi> und <hirendition="#g">Koͤpfe,</hi><lb/>
wie um Dreier und Pfenninge ſtreitet; und nach<lb/>
dem Vorbilde deſſelben erſann man ein anderes<lb/>
Politikſpiel, welches fuͤr das gemeine Leben, fuͤr<lb/>
alle Staͤnde, Volksklaſſen und Glaubensſekten be-<lb/>
rechnet iſt. Jeder, der nur auf ſeinen Vortheil ſich<lb/>
verſteht, ſeinem Eigennutz alle Gefuͤhle fuͤr Recht<lb/>
und Billigkeit, fuͤr Tugend und Menſchlichkeit un-<lb/>
terzuordnen, und ſich als das hoͤchſte Ziel, ſo wie<lb/>ſeine Umgebungen als Mittel zu betrachten und zu<lb/>
benutzen weiß, iſt faͤhig, ohne geographiſche, diplo-<lb/>
matiſche, geſchichtliche und ſtatiſtiſche Kenntniſſe,<lb/>
ohne Zeitungen und Landkarten, ohne Kanonen und<lb/>
Soldaten dies Spielchen mitzuſpielen, und heißt<lb/>
dann ein »<hirendition="#g">politiſcher Mann</hi>« oder ein »<hirendition="#g">weiſ-<lb/>ſer Jude.</hi>«</p><lb/><p>Um alſo dies letztere zu ſeyn oder zu werden,<lb/>
braucht man ſein Praͤputium weder dem <hirendition="#g">Mohel,</hi><lb/>
noch dem <hirendition="#g">Moloch</hi> zu opfern, wenn man ſich nur<lb/>
mit recht glaͤubiger feſter Ueberzeugung zu der er-<lb/>
habenen, allein ſelig machenden Lehre bekennt: Al-<lb/>
les, was mir nuͤtzt, iſt recht; was mir ſchadet, iſt<lb/>
unrecht. Ob man uͤbrigens zwei, oder ſieben Sa-<lb/>
kramente oder gar keines annimmt; ob man an<lb/>
einen oder an drei Goͤtter glaubt; ob man ſich<lb/>
beim Abſchiede aus dieſem Leben nach dem alten<lb/>
Spruͤchworte: wer gut ſchmiert, der gut faͤhrt,<lb/>
mit Oehl beſalben laͤßt oder ungeſalbt gen Himmel<lb/></p></div></body></text></TEI>
[122/0122]
noch jetzt hin und wieder um Seelen und Koͤpfe,
wie um Dreier und Pfenninge ſtreitet; und nach
dem Vorbilde deſſelben erſann man ein anderes
Politikſpiel, welches fuͤr das gemeine Leben, fuͤr
alle Staͤnde, Volksklaſſen und Glaubensſekten be-
rechnet iſt. Jeder, der nur auf ſeinen Vortheil ſich
verſteht, ſeinem Eigennutz alle Gefuͤhle fuͤr Recht
und Billigkeit, fuͤr Tugend und Menſchlichkeit un-
terzuordnen, und ſich als das hoͤchſte Ziel, ſo wie
ſeine Umgebungen als Mittel zu betrachten und zu
benutzen weiß, iſt faͤhig, ohne geographiſche, diplo-
matiſche, geſchichtliche und ſtatiſtiſche Kenntniſſe,
ohne Zeitungen und Landkarten, ohne Kanonen und
Soldaten dies Spielchen mitzuſpielen, und heißt
dann ein »politiſcher Mann« oder ein »weiſ-
ſer Jude.«
Um alſo dies letztere zu ſeyn oder zu werden,
braucht man ſein Praͤputium weder dem Mohel,
noch dem Moloch zu opfern, wenn man ſich nur
mit recht glaͤubiger feſter Ueberzeugung zu der er-
habenen, allein ſelig machenden Lehre bekennt: Al-
les, was mir nuͤtzt, iſt recht; was mir ſchadet, iſt
unrecht. Ob man uͤbrigens zwei, oder ſieben Sa-
kramente oder gar keines annimmt; ob man an
einen oder an drei Goͤtter glaubt; ob man ſich
beim Abſchiede aus dieſem Leben nach dem alten
Spruͤchworte: wer gut ſchmiert, der gut faͤhrt,
mit Oehl beſalben laͤßt oder ungeſalbt gen Himmel
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Hundt-Radowsky, Hartwig: Die Judenschule, oder gründliche Anleitung, in kurzer Zeit ein vollkommener schwarzer oder weißer Jude zu werden. Bd. 3. Jerusalem [i. e. Aarau], 1823, S. 122. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hundtradowsky_judenschule03_1823/122>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.