Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Hundt-Radowsky, Hartwig: Die Judenschule, oder gründliche Anleitung, in kurzer Zeit ein vollkommener schwarzer oder weißer Jude zu werden. Bd. 2. Jerusalem [i. e. Aarau], 1822.

Bild:
<< vorherige Seite



Was kümmert man sich um die Achtung oder Ver-
achtung dessen, den man selbst verachtet und mit
Groll und Abscheu ansieht? Mag der Jude noch
so schändlich gegen den Christen handeln; er wird
doch von seinen Glaubensgenossen höher geschätzt,
als der rechtlichste Mann, der kein Jude ist. Die
Mißbilligung von wenigen Bessern unter seinen
Mitbrüdern ist ihm also gleichgültig, da er durch
den mächtigen Schild seines Glaubens gedeckt und
durch die laute Stimme der Mehrzahl für jeden
heimlichen und leisen Tadel entschädigt ist.

Früh genug, im fünften Jahre beginnt der
Schulunterricht. Allein nur durch Bitten, Schmei-
cheleien und Geschenke läßt der kleine Jsraelit sich
bewegen, Theil daran zu nehmen. Umsonst versi-
chert man ihn, das Gesetz werde so süß seyn auf
seinen Lippen, wie Zucker und Honig; er werde
"ä graußer Mann, ä reicher Mann" werden, wenn
er hübsch lernte rechnen und schreiben; er bleibt
taub und ungläubig für Alles, bis man endlich ei-
nen förmlichen Vertrag mit ihm eingeht, ihm schon
jetzt Zucker und Honig zu geben, und auch ab-
schläglich etwas Münze ihm zu zahlen. Die Gegen-
stände des Unterrichts vom fünften bis zum zehnten
Jahre bestehen im Geplärr von Gebeten und dem
Kinde ganz unverständlichen biblischen Sprüchen;
im Lesenlernen des Hebräischen; im Uebersetzen aus
dieser Sprache in die Landessprache, welche so wenig



Was kuͤmmert man ſich um die Achtung oder Ver-
achtung deſſen, den man ſelbſt verachtet und mit
Groll und Abſcheu anſieht? Mag der Jude noch
ſo ſchaͤndlich gegen den Chriſten handeln; er wird
doch von ſeinen Glaubensgenoſſen hoͤher geſchaͤtzt,
als der rechtlichſte Mann, der kein Jude iſt. Die
Mißbilligung von wenigen Beſſern unter ſeinen
Mitbruͤdern iſt ihm alſo gleichguͤltig, da er durch
den maͤchtigen Schild ſeines Glaubens gedeckt und
durch die laute Stimme der Mehrzahl fuͤr jeden
heimlichen und leiſen Tadel entſchaͤdigt iſt.

Fruͤh genug, im fuͤnften Jahre beginnt der
Schulunterricht. Allein nur durch Bitten, Schmei-
cheleien und Geſchenke laͤßt der kleine Jſraelit ſich
bewegen, Theil daran zu nehmen. Umſonſt verſi-
chert man ihn, das Geſetz werde ſo ſuͤß ſeyn auf
ſeinen Lippen, wie Zucker und Honig; er werde
»aͤ graußer Mann, aͤ reicher Mann« werden, wenn
er huͤbſch lernte rechnen und ſchreiben; er bleibt
taub und unglaͤubig fuͤr Alles, bis man endlich ei-
nen foͤrmlichen Vertrag mit ihm eingeht, ihm ſchon
jetzt Zucker und Honig zu geben, und auch ab-
ſchlaͤglich etwas Muͤnze ihm zu zahlen. Die Gegen-
ſtaͤnde des Unterrichts vom fuͤnften bis zum zehnten
Jahre beſtehen im Geplaͤrr von Gebeten und dem
Kinde ganz unverſtaͤndlichen bibliſchen Spruͤchen;
im Leſenlernen des Hebraͤiſchen; im Ueberſetzen aus
dieſer Sprache in die Landesſprache, welche ſo wenig

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0103" n="103"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
Was ku&#x0364;mmert man &#x017F;ich um die Achtung oder Ver-<lb/>
achtung de&#x017F;&#x017F;en, den man &#x017F;elb&#x017F;t verachtet und mit<lb/>
Groll und Ab&#x017F;cheu an&#x017F;ieht? Mag der Jude noch<lb/>
&#x017F;o &#x017F;cha&#x0364;ndlich gegen den Chri&#x017F;ten handeln; er wird<lb/>
doch von &#x017F;einen Glaubensgeno&#x017F;&#x017F;en ho&#x0364;her ge&#x017F;cha&#x0364;tzt,<lb/>
als der rechtlich&#x017F;te Mann, der kein Jude i&#x017F;t. Die<lb/>
Mißbilligung von wenigen Be&#x017F;&#x017F;ern unter &#x017F;einen<lb/>
Mitbru&#x0364;dern i&#x017F;t ihm al&#x017F;o gleichgu&#x0364;ltig, da er durch<lb/>
den ma&#x0364;chtigen Schild &#x017F;eines Glaubens gedeckt und<lb/>
durch die laute Stimme der Mehrzahl fu&#x0364;r jeden<lb/>
heimlichen und lei&#x017F;en Tadel ent&#x017F;cha&#x0364;digt i&#x017F;t.</p><lb/>
        <p>Fru&#x0364;h genug, im fu&#x0364;nften Jahre beginnt der<lb/>
Schulunterricht. Allein nur durch Bitten, Schmei-<lb/>
cheleien und Ge&#x017F;chenke la&#x0364;ßt der kleine J&#x017F;raelit &#x017F;ich<lb/>
bewegen, Theil daran zu nehmen. Um&#x017F;on&#x017F;t ver&#x017F;i-<lb/>
chert man ihn, das Ge&#x017F;etz werde &#x017F;o &#x017F;u&#x0364;ß &#x017F;eyn auf<lb/>
&#x017F;einen Lippen, wie Zucker und Honig; er werde<lb/>
»a&#x0364; graußer Mann, a&#x0364; reicher Mann« werden, wenn<lb/>
er hu&#x0364;b&#x017F;ch lernte rechnen und &#x017F;chreiben; er bleibt<lb/>
taub und ungla&#x0364;ubig fu&#x0364;r Alles, bis man endlich ei-<lb/>
nen fo&#x0364;rmlichen Vertrag mit ihm eingeht, ihm &#x017F;chon<lb/>
jetzt Zucker und Honig zu geben, und auch ab-<lb/>
&#x017F;chla&#x0364;glich etwas Mu&#x0364;nze ihm zu zahlen. Die Gegen-<lb/>
&#x017F;ta&#x0364;nde des Unterrichts vom fu&#x0364;nften bis zum zehnten<lb/>
Jahre be&#x017F;tehen im Gepla&#x0364;rr von Gebeten und dem<lb/>
Kinde ganz unver&#x017F;ta&#x0364;ndlichen bibli&#x017F;chen Spru&#x0364;chen;<lb/>
im Le&#x017F;enlernen des Hebra&#x0364;i&#x017F;chen; im Ueber&#x017F;etzen aus<lb/>
die&#x017F;er Sprache in die Landes&#x017F;prache, welche &#x017F;o wenig<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[103/0103] Was kuͤmmert man ſich um die Achtung oder Ver- achtung deſſen, den man ſelbſt verachtet und mit Groll und Abſcheu anſieht? Mag der Jude noch ſo ſchaͤndlich gegen den Chriſten handeln; er wird doch von ſeinen Glaubensgenoſſen hoͤher geſchaͤtzt, als der rechtlichſte Mann, der kein Jude iſt. Die Mißbilligung von wenigen Beſſern unter ſeinen Mitbruͤdern iſt ihm alſo gleichguͤltig, da er durch den maͤchtigen Schild ſeines Glaubens gedeckt und durch die laute Stimme der Mehrzahl fuͤr jeden heimlichen und leiſen Tadel entſchaͤdigt iſt. Fruͤh genug, im fuͤnften Jahre beginnt der Schulunterricht. Allein nur durch Bitten, Schmei- cheleien und Geſchenke laͤßt der kleine Jſraelit ſich bewegen, Theil daran zu nehmen. Umſonſt verſi- chert man ihn, das Geſetz werde ſo ſuͤß ſeyn auf ſeinen Lippen, wie Zucker und Honig; er werde »aͤ graußer Mann, aͤ reicher Mann« werden, wenn er huͤbſch lernte rechnen und ſchreiben; er bleibt taub und unglaͤubig fuͤr Alles, bis man endlich ei- nen foͤrmlichen Vertrag mit ihm eingeht, ihm ſchon jetzt Zucker und Honig zu geben, und auch ab- ſchlaͤglich etwas Muͤnze ihm zu zahlen. Die Gegen- ſtaͤnde des Unterrichts vom fuͤnften bis zum zehnten Jahre beſtehen im Geplaͤrr von Gebeten und dem Kinde ganz unverſtaͤndlichen bibliſchen Spruͤchen; im Leſenlernen des Hebraͤiſchen; im Ueberſetzen aus dieſer Sprache in die Landesſprache, welche ſo wenig

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/hundtradowsky_judenschule02_1822
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/hundtradowsky_judenschule02_1822/103
Zitationshilfe: Hundt-Radowsky, Hartwig: Die Judenschule, oder gründliche Anleitung, in kurzer Zeit ein vollkommener schwarzer oder weißer Jude zu werden. Bd. 2. Jerusalem [i. e. Aarau], 1822, S. 103. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hundtradowsky_judenschule02_1822/103>, abgerufen am 21.06.2024.