Gänzliche Gleichgültigkeit gegen Vergangenheit und Zukunft ist entweder viehischer Stumpfsinn, der nur für die Befriedigung der thierischen Bedürfnisse des Augenblicks sorgt, oder es ist -- noch schreck- licher -- das dumpfe Hinstarren der Verzweiflung. Unglücklicher, der du in diesem Zustande schwebst, nur Gottes Engel kann dich beschützen.
Der Mensch, der vor Jahrtausenden der erste war, und der, so nach vielen Jahrtausenden der letzte seyn wird; der Bewohner des nördlichsten Thule und jener, der an den fernsten Klippen des Südmeers umherklimmt, sind Eines Geschlechts, und Kinder eines einzigen allliebenden Vaters, so gut wie jene, die mit einander zu Einer Zeit unter einem Dache leben. Sie werden blos durch eine Reihe von Zahlen geschieden, die Meilen und Jahre bezeichnen. Was sie trennt, ist ein kaum bemerk- barer Punkt in dem unermeßlichen Meer der Un- endlichkeit. Daher ist auch der Wunsch eines Men- schen nicht tadelhaft, zu wissen, was vor ihm ge- schahe, und was nach ihm geschehen wird. Sein Wunsch wird um so sehnlicher, sein Forschen um so emsiger seyn, je mehr der Kreis seines Wirkens und seiner Umgebungen von Vergangenheit und Zu- kunft berührt werden.
Sehr mannichfach waren die Mittel, deren sich die Menschen von jeher bedienten, um künftige und verborgene Dinge zu erforschen; und eben so groß war die Menge von Begebenheiten und Vorfällen,
Gaͤnzliche Gleichguͤltigkeit gegen Vergangenheit und Zukunft iſt entweder viehiſcher Stumpfſinn, der nur fuͤr die Befriedigung der thieriſchen Beduͤrfniſſe des Augenblicks ſorgt, oder es iſt — noch ſchreck- licher — das dumpfe Hinſtarren der Verzweiflung. Ungluͤcklicher, der du in dieſem Zuſtande ſchwebſt, nur Gottes Engel kann dich beſchuͤtzen.
Der Menſch, der vor Jahrtauſenden der erſte war, und der, ſo nach vielen Jahrtauſenden der letzte ſeyn wird; der Bewohner des noͤrdlichſten Thule und jener, der an den fernſten Klippen des Suͤdmeers umherklimmt, ſind Eines Geſchlechts, und Kinder eines einzigen allliebenden Vaters, ſo gut wie jene, die mit einander zu Einer Zeit unter einem Dache leben. Sie werden blos durch eine Reihe von Zahlen geſchieden, die Meilen und Jahre bezeichnen. Was ſie trennt, iſt ein kaum bemerk- barer Punkt in dem unermeßlichen Meer der Un- endlichkeit. Daher iſt auch der Wunſch eines Men- ſchen nicht tadelhaft, zu wiſſen, was vor ihm ge- ſchahe, und was nach ihm geſchehen wird. Sein Wunſch wird um ſo ſehnlicher, ſein Forſchen um ſo emſiger ſeyn, je mehr der Kreis ſeines Wirkens und ſeiner Umgebungen von Vergangenheit und Zu- kunft beruͤhrt werden.
Sehr mannichfach waren die Mittel, deren ſich die Menſchen von jeher bedienten, um kuͤnftige und verborgene Dinge zu erforſchen; und eben ſo groß war die Menge von Begebenheiten und Vorfaͤllen,
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Gaͤnzliche Gleichguͤltigkeit gegen Vergangenheit
und Zukunft iſt entweder viehiſcher Stumpfſinn, der
nur fuͤr die Befriedigung der thieriſchen Beduͤrfniſſe
des Augenblicks ſorgt, oder es iſt — noch ſchreck-
licher — das dumpfe Hinſtarren der Verzweiflung.
Ungluͤcklicher, der du in dieſem Zuſtande ſchwebſt,
nur Gottes Engel kann dich beſchuͤtzen.
Der Menſch, der vor Jahrtauſenden der erſte
war, und der, ſo nach vielen Jahrtauſenden der
letzte ſeyn wird; der Bewohner des noͤrdlichſten
Thule und jener, der an den fernſten Klippen des
Suͤdmeers umherklimmt, ſind Eines Geſchlechts,
und Kinder eines einzigen allliebenden Vaters, ſo
gut wie jene, die mit einander zu Einer Zeit unter
einem Dache leben. Sie werden blos durch eine
Reihe von Zahlen geſchieden, die Meilen und Jahre
bezeichnen. Was ſie trennt, iſt ein kaum bemerk-
barer Punkt in dem unermeßlichen Meer der Un-
endlichkeit. Daher iſt auch der Wunſch eines Men-
ſchen nicht tadelhaft, zu wiſſen, was vor ihm ge-
ſchahe, und was nach ihm geſchehen wird. Sein
Wunſch wird um ſo ſehnlicher, ſein Forſchen um ſo
emſiger ſeyn, je mehr der Kreis ſeines Wirkens
und ſeiner Umgebungen von Vergangenheit und Zu-
kunft beruͤhrt werden.
Sehr mannichfach waren die Mittel, deren ſich
die Menſchen von jeher bedienten, um kuͤnftige und
verborgene Dinge zu erforſchen; und eben ſo groß
war die Menge von Begebenheiten und Vorfaͤllen,
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Hundt-Radowsky, Hartwig: Die Judenschule, oder gründliche Anleitung, in kurzer Zeit ein vollkommener schwarzer oder weißer Jude zu werden. Bd. 1. Jerusalem [i. e. Aarau], 1822, S. 262. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hundtradowsky_judenschule01_1822/296>, abgerufen am 23.11.2024.
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