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Humboldt, Alexander von: Schreiben des Herrn Oberbergraths von Humboldt an Herrn van Mons in Brüssel über den chemischen Prozeß der Vitalität. In: Neues Journal der Physik, Bd. 4, H. 2 (1797), S. 171-179.

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dern Arten von Thieren gemacht habe) in eine Auflösung
des Opiums in Alcohol. Die Metalle oder der Galva-
nismus erregten darin keine Bewegung weiter. Jch
warf nun den einen Fuß in reines Wasser, den andern
in oxygenirte Salzsäure. Der erstere blieb unbeweglich;
der zweyte hingegen gab wieder starke Zusammenziehun-
gen, und zeigte, daß seine Reitzbarkeit wieder hergestellt
war. Die gemeinen Säuren unterdrücken die Reitzbar-
keit der Nervenfiber. Ein durch gewöhnliche Salzsäure
unempfindlich gemachter Cruralnerve bleibt unempfind-
lich, wenn man ihn auch in die Auflösung der Pottasche
legt. Aber die Mineralsäuren erhöhen die Muskelkräfte,
indem sie die Elemente der Muskelfaser verdichten. Es
ist mit Säuren, wie mit der Kälte; diese unterdrückt die
Nerven und verstärkt die Muskeln. Die Muskeln und
Nerven haben spezifische Reitze, der Verschiedenheit ihrer
Elemente gemäß. Die fürchterliche Action der Alkalien
auf die Nerven scheint uns die Wirkung der Secretion
der Saamenflüßigkeit im Blute zu erklären. Eben dies
in dem ganzen Systeme verbreitete Alkali dient zum
wohlthätigen Stimulus für die thierische Faser. Aus
ihm erkläre ich mir die Wildheit fischessender Völker. --
Mein älterer Bruder, der in dem Studium der Anato-
mie sehr geübt ist, brachte Zink und Silber an das Maul
und das Gehirn eines todten Fisches; er gab keine Be-
wegung von sich. Jch goß oxygenirte Salzsäure auf die
Nerven, und in eben dem Augenblicke wurden die Zusam-
menziehungen sehr stark. Herr Herz und mehrere Ge-
lehrte von Berlin waren bey diesen und mehrern andern
Versuchen gegenwärtig. Das Herz eben dieses Fisches,
das durchaus zu schlagen aufgehört hatte, fieng die Be-
wegung wieder regelmäßig an, als ich es in oxygenirte
Salzsäure gelegte hatte. Eben dieser Versuch gelang
mehrere male mit Froschherzen. Ein in Pottaschauflö-
sung gelegtes Herz verlohr seine Reitzbarkeit auf immer;

auch

dern Arten von Thieren gemacht habe) in eine Aufloͤſung
des Opiums in Alcohol. Die Metalle oder der Galva-
nismus erregten darin keine Bewegung weiter. Jch
warf nun den einen Fuß in reines Waſſer, den andern
in oxygenirte Salzſaͤure. Der erſtere blieb unbeweglich;
der zweyte hingegen gab wieder ſtarke Zuſammenziehun-
gen, und zeigte, daß ſeine Reitzbarkeit wieder hergeſtellt
war. Die gemeinen Saͤuren unterdruͤcken die Reitzbar-
keit der Nervenfiber. Ein durch gewoͤhnliche Salzſaͤure
unempfindlich gemachter Cruralnerve bleibt unempfind-
lich, wenn man ihn auch in die Aufloͤſung der Pottaſche
legt. Aber die Mineralſaͤuren erhoͤhen die Muskelkraͤfte,
indem ſie die Elemente der Muskelfaſer verdichten. Es
iſt mit Saͤuren, wie mit der Kaͤlte; dieſe unterdruͤckt die
Nerven und verſtaͤrkt die Muskeln. Die Muskeln und
Nerven haben ſpezifiſche Reitze, der Verſchiedenheit ihrer
Elemente gemaͤß. Die fuͤrchterliche Action der Alkalien
auf die Nerven ſcheint uns die Wirkung der Secretion
der Saamenfluͤßigkeit im Blute zu erklaͤren. Eben dies
in dem ganzen Syſteme verbreitete Alkali dient zum
wohlthaͤtigen Stimulus fuͤr die thieriſche Faſer. Aus
ihm erklaͤre ich mir die Wildheit fiſcheſſender Voͤlker. —
Mein aͤlterer Bruder, der in dem Studium der Anato-
mie ſehr geuͤbt iſt, brachte Zink und Silber an das Maul
und das Gehirn eines todten Fiſches; er gab keine Be-
wegung von ſich. Jch goß oxygenirte Salzſaͤure auf die
Nerven, und in eben dem Augenblicke wurden die Zuſam-
menziehungen ſehr ſtark. Herr Herz und mehrere Ge-
lehrte von Berlin waren bey dieſen und mehrern andern
Verſuchen gegenwaͤrtig. Das Herz eben dieſes Fiſches,
das durchaus zu ſchlagen aufgehoͤrt hatte, fieng die Be-
wegung wieder regelmaͤßig an, als ich es in oxygenirte
Salzſaͤure gelegte hatte. Eben dieſer Verſuch gelang
mehrere male mit Froſchherzen. Ein in Pottaſchaufloͤ-
ſung gelegtes Herz verlohr ſeine Reitzbarkeit auf immer;

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[174/0005] dern Arten von Thieren gemacht habe) in eine Aufloͤſung des Opiums in Alcohol. Die Metalle oder der Galva- nismus erregten darin keine Bewegung weiter. Jch warf nun den einen Fuß in reines Waſſer, den andern in oxygenirte Salzſaͤure. Der erſtere blieb unbeweglich; der zweyte hingegen gab wieder ſtarke Zuſammenziehun- gen, und zeigte, daß ſeine Reitzbarkeit wieder hergeſtellt war. Die gemeinen Saͤuren unterdruͤcken die Reitzbar- keit der Nervenfiber. Ein durch gewoͤhnliche Salzſaͤure unempfindlich gemachter Cruralnerve bleibt unempfind- lich, wenn man ihn auch in die Aufloͤſung der Pottaſche legt. Aber die Mineralſaͤuren erhoͤhen die Muskelkraͤfte, indem ſie die Elemente der Muskelfaſer verdichten. Es iſt mit Saͤuren, wie mit der Kaͤlte; dieſe unterdruͤckt die Nerven und verſtaͤrkt die Muskeln. Die Muskeln und Nerven haben ſpezifiſche Reitze, der Verſchiedenheit ihrer Elemente gemaͤß. Die fuͤrchterliche Action der Alkalien auf die Nerven ſcheint uns die Wirkung der Secretion der Saamenfluͤßigkeit im Blute zu erklaͤren. Eben dies in dem ganzen Syſteme verbreitete Alkali dient zum wohlthaͤtigen Stimulus fuͤr die thieriſche Faſer. Aus ihm erklaͤre ich mir die Wildheit fiſcheſſender Voͤlker. — Mein aͤlterer Bruder, der in dem Studium der Anato- mie ſehr geuͤbt iſt, brachte Zink und Silber an das Maul und das Gehirn eines todten Fiſches; er gab keine Be- wegung von ſich. Jch goß oxygenirte Salzſaͤure auf die Nerven, und in eben dem Augenblicke wurden die Zuſam- menziehungen ſehr ſtark. Herr Herz und mehrere Ge- lehrte von Berlin waren bey dieſen und mehrern andern Verſuchen gegenwaͤrtig. Das Herz eben dieſes Fiſches, das durchaus zu ſchlagen aufgehoͤrt hatte, fieng die Be- wegung wieder regelmaͤßig an, als ich es in oxygenirte Salzſaͤure gelegte hatte. Eben dieſer Verſuch gelang mehrere male mit Froſchherzen. Ein in Pottaſchaufloͤ- ſung gelegtes Herz verlohr ſeine Reitzbarkeit auf immer; auch

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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Schreiben des Herrn Oberbergraths von Humboldt an Herrn van Mons in Brüssel über den chemischen Prozeß der Vitalität. In: Neues Journal der Physik, Bd. 4, H. 2 (1797), S. 171-179, hier S. 174. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_vitalitaet_1797/5>, abgerufen am 28.03.2024.