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Humboldt, Alexander von: Auszüge aus Briefen. In: Annalen der Botanick, Bd. 1, St. 3 (1792), S. 236-239.

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wenn sie Monate lang dem Sonnenlichte entzogen wa-
ren, grün, aber an den Spizen der neu gesprossenen
Blätter dunkel, nach unten zu lichter grassgrün, ja oft,
wie über Tage, mit Rispen blühen zu sehen. Diese dem
gemeinen Bergmann sehr bekannte Erscheinung, mach-
te mich noch aufmerksamer, als ich auf Kurprinz Fried-
rich August zu Grossschirma denselben, riesenmässigen
Lich. verticillatus, von welchem das Exemplar durch
den Herrn Bergrath von Charpentier an den Kurfür-
sten
(einen tiefen Kenner und Beschüzer der Pflanzen-
kunde) geschikt ist, mit lichte grassgrünen Keimen
fand. Etwas ähnliches bemerkte ich vor kurzem an
einem anderen, sehr eleganten, wie ich glaube, noch
unbeschriebenen Lich. filament. auf dem Weiss Taube-
ner Stoln zu Marienberg im Obergebirge -- und doch
hatte beide nie ein Sonnenstrahl getroffen. Um diese
sonderbaren Phaenomene noch mehr aufzuklären, stell-
te ich eigene Versuche, mit blühenden und nicht blü-
henden Pflanzen an, die ich in die Grube sezte. Sie blü-
heten ungestört fort, und die Blätter die sich entwickel-
ten, waren grün, doch an den Spizen am dunkelsten.
Bey den im Stollen aufkeimenden Erbsen war auch
dieser Unterscheid der Blätterfarbe nicht einmal bemerk-
bar. Wiedersprechen diese Versuche nun denen der
Herren Ingenhouss und Senebier über die Bleichsucht der
dem Sonnenlicht entzogenen Vegetabilien? Ich glaube
Nein. Nach meinen Ideen ist Anhäufung des Oxygenes
(des Grundstoffs der dephlog. Luft) Ursach der Bleich-
sucht. Das Oxygene oder das Gas selbst wird entbun-
den, entweder durch Sonnenlicht (wie die Färbung
der deplogistisirten Salzsäure, Acide muriatique suroxy-
gene beweist) oder durch Verwandschaft zu einer an-

wenn ſie Monate lang dem Sonnenlichte entzogen wa-
ren, grün, aber an den Spizen der neu geſproſſenen
Blätter dunkel, nach unten zu lichter graſsgrün, ja oft,
wie über Tage, mit Riſpen blühen zu ſehen. Dieſe dem
gemeinen Bergmann ſehr bekannte Erſcheinung, mach-
te mich noch aufmerkſamer, als ich auf Kurprinz Fried-
rich Auguſt zu Groſsſchirma denſelben, rieſenmäſſigen
Lich. verticillatus, von welchem das Exemplar durch
den Herrn Bergrath von Charpentier an den Kurfür-
ſten
(einen tiefen Kenner und Beſchüzer der Pflanzen-
kunde) geſchikt iſt, mit lichte graſsgrünen Keimen
fand. Etwas ähnliches bemerkte ich vor kurzem an
einem anderen, ſehr eleganten, wie ich glaube, noch
unbeſchriebenen Lich. filament. auf dem Weiſs Taube-
ner Stoln zu Marienberg im Obergebirge — und doch
hatte beide nie ein Sonnenſtrahl getroffen. Um dieſe
ſonderbaren Phænomene noch mehr aufzuklären, ſtell-
te ich eigene Verſuche, mit blühenden und nicht blü-
henden Pflanzen an, die ich in die Grube ſezte. Sie blü-
heten ungeſtört fort, und die Blätter die ſich entwickel-
ten, waren grün, doch an den Spizen am dunkelſten.
Bey den im Stollen aufkeimenden Erbſen war auch
dieſer Unterſcheid der Blätterfarbe nicht einmal bemerk-
bar. Wiederſprechen dieſe Verſuche nun denen der
Herren Ingenhouſs und Senebier über die Bleichſucht der
dem Sonnenlicht entzogenen Vegetabilien? Ich glaube
Nein. Nach meinen Ideen iſt Anhäufung des Oxygenes
(des Grundſtoffs der dephlog. Luft) Urſach der Bleich-
ſucht. Das Oxygene oder das Gas ſelbſt wird entbun-
den, entweder durch Sonnenlicht (wie die Färbung
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[238/0003] wenn ſie Monate lang dem Sonnenlichte entzogen wa- ren, grün, aber an den Spizen der neu geſproſſenen Blätter dunkel, nach unten zu lichter graſsgrün, ja oft, wie über Tage, mit Riſpen blühen zu ſehen. Dieſe dem gemeinen Bergmann ſehr bekannte Erſcheinung, mach- te mich noch aufmerkſamer, als ich auf Kurprinz Fried- rich Auguſt zu Groſsſchirma denſelben, rieſenmäſſigen Lich. verticillatus, von welchem das Exemplar durch den Herrn Bergrath von Charpentier an den Kurfür- ſten (einen tiefen Kenner und Beſchüzer der Pflanzen- kunde) geſchikt iſt, mit lichte graſsgrünen Keimen fand. Etwas ähnliches bemerkte ich vor kurzem an einem anderen, ſehr eleganten, wie ich glaube, noch unbeſchriebenen Lich. filament. auf dem Weiſs Taube- ner Stoln zu Marienberg im Obergebirge — und doch hatte beide nie ein Sonnenſtrahl getroffen. Um dieſe ſonderbaren Phænomene noch mehr aufzuklären, ſtell- te ich eigene Verſuche, mit blühenden und nicht blü- henden Pflanzen an, die ich in die Grube ſezte. Sie blü- heten ungeſtört fort, und die Blätter die ſich entwickel- ten, waren grün, doch an den Spizen am dunkelſten. Bey den im Stollen aufkeimenden Erbſen war auch dieſer Unterſcheid der Blätterfarbe nicht einmal bemerk- bar. Wiederſprechen dieſe Verſuche nun denen der Herren Ingenhouſs und Senebier über die Bleichſucht der dem Sonnenlicht entzogenen Vegetabilien? Ich glaube Nein. Nach meinen Ideen iſt Anhäufung des Oxygenes (des Grundſtoffs der dephlog. Luft) Urſach der Bleich- ſucht. Das Oxygene oder das Gas ſelbſt wird entbun- den, entweder durch Sonnenlicht (wie die Färbung der deplogiſtiſirten Salzſäure, Acide muriatique ſuroxy- gené beweist) oder durch Verwandſchaft zu einer an-

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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Auszüge aus Briefen. In: Annalen der Botanick, Bd. 1, St. 3 (1792), S. 236-239, hier S. 238. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_usterijanuar_1792/3>, abgerufen am 09.11.2024.