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Humboldt, Alexander von: Über die Haupt-Ursachen der Temperatur-Verschiedenheit auf dem Erdkörper. In: Abhandlungen der Königlich Preussischen Akademie der Wissenschaften in Berlin. Aus dem Jahre 1827. Berlin, 1830, S. 295-316.

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über die Temperatur-Verschiedenheit auf dem Erdkörper.
fand mit Reaumürschen Thermometern, welche Herr Gay-Lussac und ich
sorgfältig verglichen hatten, bei dem Hafen Callao das Meerwasser im August
wiederum 12°,6; im März 15°,7; während daß außerhalb der Meeres-
ströhmung bei dem Vorgebirge Parinna, das ruhige Meer wie gewöhnlich unter
solchen Breiten die große Wärme von 21 bis 22 Grad zeigte. Es ist hier
nicht der Ort zu entwickeln, wie dieser Strohm kälteren Wassers, welcher
die südliche Schiffahrt von Guayaquill nach Peru und von Peru nach Chili
erschwert, in einigen Monaten von der Garua, das heißt, von den Dünsten
welche die Sonnenscheibe fortwährend verschleiern, in seiner Temperatur
modificirt wird, und wie er das Klima der Peruanischen Ebenen erkältet.

So wie jedes Bestreben des Menschen nach einem wissenschaftlichen
Begreifen von Natur-Erscheinungen sein höchstes Ziel nur in dem klaren
Erkennen unserer eigenen Natur erreicht; so führt auch die Untersuchung,
deren Hauptmomente uns hier beschäftigt haben, zuletzt auf die Art, wie kli-
matische Verhältnisse sich in dem Charakter, dem Kultur-Zustande, viel-
leicht selbst in der Sprach-Entwickelung einzelner Völkerstämme, offenbaren.
Hier ist der Punkt, wo die große Lehre von der Vertheilung der Wärme über
den Erdkörper sich an die Geschichte der Menschheit anknüpft. Eben
deshalb fällt das Problem außerhalb des Gebiets einer rein physikalischen
Empirie. Man kann nicht läugnen, daß das Klima und sein erhebender
oder niederdrückender Einfluß gleichsam das ganze häusliche und bürger-
liche Leben einer Nation durchdringen. Aber viel und mehr noch gehört
der Abstammung, den natürlichen Anlagen, den instinctmäßigen und doch
geistigen Trieben der Menschen an. Nach einer, nun schon veralteten Phi-
losophie, die der ersten Mitte des achtzehnten Jahrhunderts angehört, wurden
Religion, Regierungsform und Richtung des Kunstsinnes bei verschiedenen
Völkern, den Klimaten und der Nahrung hauptsächlich zugeschrieben. Um zu
beweisen, daß ein Theil dieser Ansicht schon in dem tiefsten Alterthume, in
der religiösen und politischen Societät der Pythagoräer, herrschte, sei es mir
erlaubt eine merkwürdige Stelle anzuführen, welche uns beim Photius erhal-
ten ist: "Die Griechen," heißt es darin, "haben an sittlicher Bildung alle
Barbaren übertroffen, weil sie den gemäßigsten Theil der Erde bewohnen.
Die Skythen und Äthiopier, von denen die einen durch Kälte, die anderen
durch Hitze gequält werden, sind eben deshalb von heftiger und leidenschaft-
licher Natur. Die Griechen und vor allen die Athener haben verbessert, was

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über die Temperatur-Verschiedenheit auf dem Erdkörper.
fand mit Reaumürschen Thermometern, welche Herr Gay-Lussac und ich
sorgfältig verglichen hatten, bei dem Hafen Callao das Meerwasser im August
wiederum 12°,6; im März 15°,7; während daß außerhalb der Meeres-
ströhmung bei dem Vorgebirge Pariña, das ruhige Meer wie gewöhnlich unter
solchen Breiten die große Wärme von 21 bis 22 Grad zeigte. Es ist hier
nicht der Ort zu entwickeln, wie dieser Strohm kälteren Wassers, welcher
die südliche Schiffahrt von Guayaquill nach Peru und von Peru nach Chili
erschwert, in einigen Monaten von der Garua, das heißt, von den Dünsten
welche die Sonnenscheibe fortwährend verschleiern, in seiner Temperatur
modificirt wird, und wie er das Klima der Peruanischen Ebenen erkältet.

So wie jedes Bestreben des Menschen nach einem wissenschaftlichen
Begreifen von Natur-Erscheinungen sein höchstes Ziel nur in dem klaren
Erkennen unserer eigenen Natur erreicht; so führt auch die Untersuchung,
deren Hauptmomente uns hier beschäftigt haben, zuletzt auf die Art, wie kli-
matische Verhältnisse sich in dem Charakter, dem Kultur-Zustande, viel-
leicht selbst in der Sprach-Entwickelung einzelner Völkerstämme, offenbaren.
Hier ist der Punkt, wo die große Lehre von der Vertheilung der Wärme über
den Erdkörper sich an die Geschichte der Menschheit anknüpft. Eben
deshalb fällt das Problem außerhalb des Gebiets einer rein physikalischen
Empirie. Man kann nicht läugnen, daß das Klima und sein erhebender
oder niederdrückender Einfluß gleichsam das ganze häusliche und bürger-
liche Leben einer Nation durchdringen. Aber viel und mehr noch gehört
der Abstammung, den natürlichen Anlagen, den instinctmäßigen und doch
geistigen Trieben der Menschen an. Nach einer, nun schon veralteten Phi-
losophie, die der ersten Mitte des achtzehnten Jahrhunderts angehört, wurden
Religion, Regierungsform und Richtung des Kunstsinnes bei verschiedenen
Völkern, den Klimaten und der Nahrung hauptsächlich zugeschrieben. Um zu
beweisen, daß ein Theil dieser Ansicht schon in dem tiefsten Alterthume, in
der religiösen und politischen Societät der Pythagoräer, herrschte, sei es mir
erlaubt eine merkwürdige Stelle anzuführen, welche uns beim Photius erhal-
ten ist: „Die Griechen,” heißt es darin, „haben an sittlicher Bildung alle
Barbaren übertroffen, weil sie den gemäßigsten Theil der Erde bewohnen.
Die Skythen und Äthiopier, von denen die einen durch Kälte, die anderen
durch Hitze gequält werden, sind eben deshalb von heftiger und leidenschaft-
licher Natur. Die Griechen und vor allen die Athener haben verbessert, was

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[315/0022] über die Temperatur-Verschiedenheit auf dem Erdkörper. fand mit Reaumürschen Thermometern, welche Herr Gay-Lussac und ich sorgfältig verglichen hatten, bei dem Hafen Callao das Meerwasser im August wiederum 12°,6; im März 15°,7; während daß außerhalb der Meeres- ströhmung bei dem Vorgebirge Pariña, das ruhige Meer wie gewöhnlich unter solchen Breiten die große Wärme von 21 bis 22 Grad zeigte. Es ist hier nicht der Ort zu entwickeln, wie dieser Strohm kälteren Wassers, welcher die südliche Schiffahrt von Guayaquill nach Peru und von Peru nach Chili erschwert, in einigen Monaten von der Garua, das heißt, von den Dünsten welche die Sonnenscheibe fortwährend verschleiern, in seiner Temperatur modificirt wird, und wie er das Klima der Peruanischen Ebenen erkältet. So wie jedes Bestreben des Menschen nach einem wissenschaftlichen Begreifen von Natur-Erscheinungen sein höchstes Ziel nur in dem klaren Erkennen unserer eigenen Natur erreicht; so führt auch die Untersuchung, deren Hauptmomente uns hier beschäftigt haben, zuletzt auf die Art, wie kli- matische Verhältnisse sich in dem Charakter, dem Kultur-Zustande, viel- leicht selbst in der Sprach-Entwickelung einzelner Völkerstämme, offenbaren. Hier ist der Punkt, wo die große Lehre von der Vertheilung der Wärme über den Erdkörper sich an die Geschichte der Menschheit anknüpft. Eben deshalb fällt das Problem außerhalb des Gebiets einer rein physikalischen Empirie. Man kann nicht läugnen, daß das Klima und sein erhebender oder niederdrückender Einfluß gleichsam das ganze häusliche und bürger- liche Leben einer Nation durchdringen. Aber viel und mehr noch gehört der Abstammung, den natürlichen Anlagen, den instinctmäßigen und doch geistigen Trieben der Menschen an. Nach einer, nun schon veralteten Phi- losophie, die der ersten Mitte des achtzehnten Jahrhunderts angehört, wurden Religion, Regierungsform und Richtung des Kunstsinnes bei verschiedenen Völkern, den Klimaten und der Nahrung hauptsächlich zugeschrieben. Um zu beweisen, daß ein Theil dieser Ansicht schon in dem tiefsten Alterthume, in der religiösen und politischen Societät der Pythagoräer, herrschte, sei es mir erlaubt eine merkwürdige Stelle anzuführen, welche uns beim Photius erhal- ten ist: „Die Griechen,” heißt es darin, „haben an sittlicher Bildung alle Barbaren übertroffen, weil sie den gemäßigsten Theil der Erde bewohnen. Die Skythen und Äthiopier, von denen die einen durch Kälte, die anderen durch Hitze gequält werden, sind eben deshalb von heftiger und leidenschaft- licher Natur. Die Griechen und vor allen die Athener haben verbessert, was R r 2

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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Über die Haupt-Ursachen der Temperatur-Verschiedenheit auf dem Erdkörper. In: Abhandlungen der Königlich Preussischen Akademie der Wissenschaften in Berlin. Aus dem Jahre 1827. Berlin, 1830, S. 295-316, hier S. 315. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_ursachen_1830/22>, abgerufen am 19.04.2024.