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Humboldt, Wilhelm von: Ueber die Buchstabenschrift und ihren Zusammenhang mit dem Sprachbau. In: Abhandlungen der Königlichen Akademie der Wissenschaften zu Berlin. Berlin, 1826. S. 161-188.

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ansehen darf, sondern die geistigen Funken gleichen, die, plötzlich umgestaltend, in einer Nation oder einem Individuum sprühen. Die Mexicanische Hieroglyphik gelangte ebensowenig zur Kunstform. Und doch scheinen mir die Mexicaner unter den uns bekannt gewordenen Amerikanischen Nationen an Charakter und Geist die vorzüglichsten zu seyn, und namentlich die Peruaner weit übertroffen zu haben, so wie ich auch glaube, die Vorzüge ihrer Sprache vor der Peruanischen beweisen zu können. Die Gräßlichkeit ihrer Menschenopfer zeigt sie allerdings in einer unglaublich rohen und abschreckenden Gestalt. Allein die kalte Politik, mit welcher die Peruaner, nach bloßen Einfällen ihrer Regenten, unter dem Schein weiser Bevormundung, ganze Nationen ihren Wohnsitzen entrissen, und blutige Kriege führten, um, soweit sie zu reichen vermochten, den Völkern das Gepräge ihrer mönchischen Einförmigkeit aufzudrücken, ist kaum weniger grausam zu nennen. In der Mexicanischen Geschichte ist regere und individuellere Bewegung, die, wenn auch die Leidenschaften Rohheit verrathen, sich doch, bei hinzukommender Bildung, zu höherer Geistigkeit erhebt. Die Ansiedlung der Mexicaner, die Reihe ihrer Kämpfe mit ihren Nachbarn, die siegreiche Erweiterung ihres Reichs erinnert an die Römische Geschichte. Von dem Gebrauch ihrer Sprache in Dichtkunst und Beredsamkeit läßt sich nicht genau urtheilen, da, was auch von Reden, im Rath und bei häuslichen Veranlassungen, in den Schriftstellern vorkommt, schwerlich hinlänglich treu aufgefaßt ist. Allein es läßt sich sehr wohl denken, daß, vorzüglich in den politischen, dem Ausdruck weder Scharfsinn, noch Feuer, noch hinreißende Gewalt jeder Empfindung gefehlt haben mag. Findet sich doch dies alles noch in unseren Tagen in den Reden der Häuptlinge der Nord-Amerikanischen wilden Horden, deren Aechtheit nicht zu bezweifeln scheint, und wo diese Vorzüge gerade nicht können aus dem Umgange mit Europäern abgeleitet werden. Da Alles, was den Menschen bewegt, in seine Sprache übergeht, so muß man wohl die Stärke und Eigenthümlichkeit der Empfindungsweise und des Charakters im Leben überhaupt von der intellectuellen Richtung und der Neigung zu Ideen unterscheiden. Beides strahlt in dem Ausdruck wieder, aber auf die Gestaltung und den Bau der Sprache kann doch, ohne das letztere, nicht mächtig und dauernd gewirkt werden.

ansehen darf, sondern die geistigen Funken gleichen, die, plötzlich umgestaltend, in einer Nation oder einem Individuum sprühen. Die Mexicanische Hieroglyphik gelangte ebensowenig zur Kunstform. Und doch scheinen mir die Mexicaner unter den uns bekannt gewordenen Amerikanischen Nationen an Charakter und Geist die vorzüglichsten zu seyn, und namentlich die Peruaner weit übertroffen zu haben, so wie ich auch glaube, die Vorzüge ihrer Sprache vor der Peruanischen beweisen zu können. Die Gräßlichkeit ihrer Menschenopfer zeigt sie allerdings in einer unglaublich rohen und abschreckenden Gestalt. Allein die kalte Politik, mit welcher die Peruaner, nach bloßen Einfällen ihrer Regenten, unter dem Schein weiser Bevormundung, ganze Nationen ihren Wohnsitzen entrissen, und blutige Kriege führten, um, soweit sie zu reichen vermochten, den Völkern das Gepräge ihrer mönchischen Einförmigkeit aufzudrücken, ist kaum weniger grausam zu nennen. In der Mexicanischen Geschichte ist regere und individuellere Bewegung, die, wenn auch die Leidenschaften Rohheit verrathen, sich doch, bei hinzukommender Bildung, zu höherer Geistigkeit erhebt. Die Ansiedlung der Mexicaner, die Reihe ihrer Kämpfe mit ihren Nachbarn, die siegreiche Erweiterung ihres Reichs erinnert an die Römische Geschichte. Von dem Gebrauch ihrer Sprache in Dichtkunst und Beredsamkeit läßt sich nicht genau urtheilen, da, was auch von Reden, im Rath und bei häuslichen Veranlassungen, in den Schriftstellern vorkommt, schwerlich hinlänglich treu aufgefaßt ist. Allein es läßt sich sehr wohl denken, daß, vorzüglich in den politischen, dem Ausdruck weder Scharfsinn, noch Feuer, noch hinreißende Gewalt jeder Empfindung gefehlt haben mag. Findet sich doch dies alles noch in unseren Tagen in den Reden der Häuptlinge der Nord-Amerikanischen wilden Horden, deren Aechtheit nicht zu bezweifeln scheint, und wo diese Vorzüge gerade nicht können aus dem Umgange mit Europäern abgeleitet werden. Da Alles, was den Menschen bewegt, in seine Sprache übergeht, so muß man wohl die Stärke und Eigenthümlichkeit der Empfindungsweise und des Charakters im Leben überhaupt von der intellectuellen Richtung und der Neigung zu Ideen unterscheiden. Beides strahlt in dem Ausdruck wieder, aber auf die Gestaltung und den Bau der Sprache kann doch, ohne das letztere, nicht mächtig und dauernd gewirkt werden.

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ansehen darf, sondern die geistigen Funken gleichen, die, plötzlich umgestaltend, in einer Nation oder einem Individuum sprühen. Die Mexicanische Hieroglyphik gelangte ebensowenig zur Kunstform. Und doch scheinen mir die Mexicaner unter den uns bekannt gewordenen Amerikanischen Nationen an Charakter und Geist die vorzüglichsten zu seyn, und namentlich die Peruaner weit übertroffen zu haben, so wie ich auch glaube, die Vorzüge ihrer Sprache vor der Peruanischen beweisen zu können. Die Gräßlichkeit ihrer Menschenopfer zeigt sie allerdings in einer unglaublich rohen und abschreckenden Gestalt. Allein die kalte Politik, mit welcher die Peruaner, nach bloßen Einfällen ihrer Regenten, unter dem Schein weiser Bevormundung, ganze Nationen ihren Wohnsitzen entrissen, und blutige Kriege führten, um, soweit sie zu reichen vermochten, den Völkern das Gepräge ihrer mönchischen Einförmigkeit aufzudrücken, ist kaum weniger grausam zu nennen. In der Mexicanischen Geschichte ist regere und individuellere Bewegung, die, wenn auch die Leidenschaften Rohheit verrathen, sich doch, bei hinzukommender Bildung, zu höherer Geistigkeit erhebt. Die Ansiedlung der Mexicaner, die Reihe ihrer Kämpfe mit ihren Nachbarn, die siegreiche Erweiterung ihres Reichs erinnert an die Römische Geschichte. Von dem Gebrauch ihrer Sprache in Dichtkunst und Beredsamkeit läßt sich nicht genau urtheilen, da, was auch von Reden, im Rath und bei häuslichen Veranlassungen, in den Schriftstellern vorkommt, schwerlich hinlänglich treu aufgefaßt ist. Allein es läßt sich sehr wohl denken, daß, vorzüglich in den politischen, dem Ausdruck weder Scharfsinn, noch Feuer, noch hinreißende Gewalt jeder Empfindung gefehlt haben mag. Findet sich doch dies alles noch in unseren Tagen in den Reden der Häuptlinge der Nord-Amerikanischen wilden Horden, deren Aechtheit nicht zu bezweifeln scheint, und wo diese Vorzüge gerade nicht können aus dem Umgange mit Europäern abgeleitet werden. Da Alles, was den Menschen bewegt, in seine Sprache übergeht, so muß man wohl die Stärke und Eigenthümlichkeit der Empfindungsweise und des Charakters im Leben überhaupt von der intellectuellen Richtung und der Neigung zu Ideen unterscheiden. Beides strahlt in dem Ausdruck wieder, aber auf die Gestaltung und den Bau der Sprache kann doch, ohne das letztere, nicht mächtig und dauernd gewirkt werden.</p>
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[183/0023] ansehen darf, sondern die geistigen Funken gleichen, die, plötzlich umgestaltend, in einer Nation oder einem Individuum sprühen. Die Mexicanische Hieroglyphik gelangte ebensowenig zur Kunstform. Und doch scheinen mir die Mexicaner unter den uns bekannt gewordenen Amerikanischen Nationen an Charakter und Geist die vorzüglichsten zu seyn, und namentlich die Peruaner weit übertroffen zu haben, so wie ich auch glaube, die Vorzüge ihrer Sprache vor der Peruanischen beweisen zu können. Die Gräßlichkeit ihrer Menschenopfer zeigt sie allerdings in einer unglaublich rohen und abschreckenden Gestalt. Allein die kalte Politik, mit welcher die Peruaner, nach bloßen Einfällen ihrer Regenten, unter dem Schein weiser Bevormundung, ganze Nationen ihren Wohnsitzen entrissen, und blutige Kriege führten, um, soweit sie zu reichen vermochten, den Völkern das Gepräge ihrer mönchischen Einförmigkeit aufzudrücken, ist kaum weniger grausam zu nennen. In der Mexicanischen Geschichte ist regere und individuellere Bewegung, die, wenn auch die Leidenschaften Rohheit verrathen, sich doch, bei hinzukommender Bildung, zu höherer Geistigkeit erhebt. Die Ansiedlung der Mexicaner, die Reihe ihrer Kämpfe mit ihren Nachbarn, die siegreiche Erweiterung ihres Reichs erinnert an die Römische Geschichte. Von dem Gebrauch ihrer Sprache in Dichtkunst und Beredsamkeit läßt sich nicht genau urtheilen, da, was auch von Reden, im Rath und bei häuslichen Veranlassungen, in den Schriftstellern vorkommt, schwerlich hinlänglich treu aufgefaßt ist. Allein es läßt sich sehr wohl denken, daß, vorzüglich in den politischen, dem Ausdruck weder Scharfsinn, noch Feuer, noch hinreißende Gewalt jeder Empfindung gefehlt haben mag. Findet sich doch dies alles noch in unseren Tagen in den Reden der Häuptlinge der Nord-Amerikanischen wilden Horden, deren Aechtheit nicht zu bezweifeln scheint, und wo diese Vorzüge gerade nicht können aus dem Umgange mit Europäern abgeleitet werden. Da Alles, was den Menschen bewegt, in seine Sprache übergeht, so muß man wohl die Stärke und Eigenthümlichkeit der Empfindungsweise und des Charakters im Leben überhaupt von der intellectuellen Richtung und der Neigung zu Ideen unterscheiden. Beides strahlt in dem Ausdruck wieder, aber auf die Gestaltung und den Bau der Sprache kann doch, ohne das letztere, nicht mächtig und dauernd gewirkt werden.

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Zitationshilfe: Humboldt, Wilhelm von: Ueber die Buchstabenschrift und ihren Zusammenhang mit dem Sprachbau. In: Abhandlungen der Königlichen Akademie der Wissenschaften zu Berlin. Berlin, 1826. S. 161-188, S. 183. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_sprachbau_1826/23>, abgerufen am 19.04.2024.